(Siehe auch: Attraktives Deutschland? Wir ignorieren unser wahres Einwanderungsproblem (WELT)
Gabor Steingart, 01.12.2022
"Deutschland ist ein Einwanderungsland"
Der Satz ist zu einer Floskel verkommen, weil er eine Absicht beschreibt, aber nicht den Status quo. Denn Deutschland ist ein weltweit geschätzter Zufluchtsort für Armutsflüchtlinge und politisch Verfolgte, aber kein modernes Einwanderungsland.
Fakt ist: Frauen und Männer mit nicht-deutscher Herkunft sind überproportional häufig arbeitslos und beziehen überdurchschnittlich häufig Hartz-IV-Leistungen. Die Arbeitslosenquote unter Ausländern liegt nach aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bei 13,5 Prozent, bei Deutschen beträgt sie 4,7 Prozent.
Echte Einwanderungsländer haben einen deutlich anderen Datenkranz zu bieten. Sie nehmen nur diejenigen, die sie rufen und vorher auswählen, weil ihre Volkswirtschaft sie benötigt. Sie definieren klare Standards, die sie anschließend auch mit kühler Konsequenz durchsetzen.
Die Mangellage auf dem Arbeitsmarkt wird absehbar noch extremer werden: Die Zahl derer, die arbeiten oder arbeiten könnten – das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial – lag zuletzt bei 47,4 Millionen. 2060 könnten es nach Berechnungen des Forschungsinstituts IAB nur noch knapp 31,3 Millionen sein.
Die jetzigen Anstrengungen des Gesetzgebers allein werden das gewünschte Ziel einer nach ökonomischen Kriterien gesteuerten Zuwanderung nicht erfüllen können.
Die Koalition will unter anderem:
….die Staatsbürgerschaft reformieren. Konkret: Wer hier legal lebt, soll bereits nach fünf Jahren eingebürgert werden können. Bisher geht das in der Regel nach acht Jahren.
…langjährig in Deutschland Geduldeten, die nicht abgeschoben werden können und inzwischen gut integriert sind, die Möglichkeit auf ein dauerhaftes Bleiberecht geben. Voraussetzung ist, dass sie sich selbst versorgen können und ausreichende Deutschkenntnisse besitzen.
…die Hürden für Arbeitsmigration senken. Unter anderem plant die Koalition ein Punktesystem für die Arbeitsplatzsuche in Deutschland. Auch sollen Migranten mit Jobzusage, die einschlägige Berufserfahrung in ihrer Heimat nachweisen können, hier bei uns schneller arbeiten dürfen.
Fünf Kritikpunkte sind zu nennen:
1. Der Staat müsste gegenüber den Arbeitsmigranten mit einer Stimme sprechen. Wenn es um Arbeitsmigration geht, sind die Zuständigkeiten bis heute zersplittert – zwischen Deutschlands Auslandsvertretungen, der Bundesagentur für Arbeit, dem Bundesamt BAMF, Ländern, Kommunen und Kammern.
2. Die Regierungspläne sehen bislang keine verbindlichen Quoten für Qualifikationsniveaus und Berufe vor. Deutschland sagt nicht klar, was es braucht. Kein Wunder also: Der Anteil der Geringqualifizierten unter den Migranten ist – laut einer vergleichenden OECD-Studie – in Deutschland höher als in anderen Ländern.
3. Das geplante Punkte-System zeigt in die richtige Richtung, aber es schützt nicht vor Missbrauch. Eingeführt werden soll eine „Chancenkarte“ – auch für Menschen, die sich in Deutschland erst noch auf Arbeitsplatzsuche begeben wollen. Offen bleibt, welche Konsequenzen der Staat zieht, wenn Chancenkarten-Besitzer nicht suchen oder erfolglos suchen.
4. Die gesamte Bildungs-Infrastruktur stimmt nicht, damit Deutschland ein erfolgreiches Einwanderungsland werden kann. Die Schulen und die Weiterbildungsindustrie sind auf Hunderttausende, die gezielt aus- und weitergebildet werden sollen, nicht vorbereitet.
Fazit: Die deutsche Migrationspolitik weist einen Systemfehler auf. Sie wird von der Nachfrage der Migranten getrieben. Wenn viele Menschen es in ihrem Heimatland nicht mehr aushalten, kommen sie zu uns. Richtig wäre die Umstellung auf ein System, das vom deutschen Angebot ausgeht.
Alles andere kann man auch machen. Aber das ist dann keine Einwanderungs-, sondern Sozialpolitik.
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