28 Dezember 2022

Anpassung an Wetterextreme - Der verlogene Kampf gegen den Klimawandel (WELT+)

Anpassung an Wetterextreme
Der verlogene Kampf gegen den Klimawandel

Die Beatles hatten sich soeben aufgelöst, als ihr Gitarrist George Harrison zusammen mit anderen Weltstars am 1. August 1971 sein berühmtes „Concert for Bangladesh“ in New York veranstaltete. Die Einnahmen kamen den Opfern des verheerendsten Tropensturms aller Zeiten zugute. Im November 1970 waren bis zu einer halben Million Menschen durch Zyklon „Bhola“ ums Leben gekommen.
Starke Stürme hatten in Südasien lange Zeit extreme Folgen; Zehntausende Opfer gab es immer wieder: etwa 1942, 1965, 1991. Seit 1970 hat sich die Einwohnerzahl von Bangladesch fast verdreifacht. Doch als 2020 der Zyklon „Amphan“ auf ähnlicher Bahn wie einst Bhola und noch stärker übers Land zog, starben nicht Hunderttausende, sondern 128 Menschen. Bangladesch war vorbereitet.
Einer der größten Fortschritte der Menschheitsgeschichte findet kaum Erwähnung: Das Risiko, in Wetterextremen ums Leben zu kommen, hat sich für den globalen Durchschnittsbürger um mehr als 90 Prozent verringert. Nicht mal mehr ein Zehntel der Opfer bei Wetterkatastrophen gibt es noch im Vergleich zur Zeit vor hundert Jahren – und das, obwohl sich die Weltbevölkerung in derselben Zeit vervierfacht hat - und trotz globaler Erwärmung. 

1887 tötete eine Flut des Gelben Flusses in China rund zwei Millionen Menschen, 1931 gar vier Millionen am Yangtze-Huai-Fluss. Solche Opferzahlen werden nicht mehr annähernd erreicht. Und nicht nur Stürme und Flusshochwasser verlaufen weltweit mit weitaus weniger Todesopfern als früher, sondern alle anderen Arten von Wetterkatastrophen ebenfalls.

Hungersnöte rafften früher Millionen dahin. Trotz Bevölkerungswachstums und Klimawandel stehen pro Person nun ein Drittel mehr Kalorien zur Verfügung als vor 60 Jahren. Nie hungerten weniger Menschen als im vergangenen Jahrzehnt.

Das Dilemma der fossilen Energie

Die historische Fortschrittsgeschichte hat einen Hauptgrund: fossile Energie. Kohle, Öl und Gas ermöglichten gigantischen Wohlstandszuwachs. Mit Frühwarnsystemen, Evakuierungswegen, Rettungsmannschaften, besseren Gebäuden, Deichen, Klimaanlagen, Kühlhäusern für Medikamente und Lebensmittel, prosperierender Landwirtschaft und vielem mehr gelang es der Menschheit immer besser, sich die gefährliche Natur vom Hals zu halten.

Die Welt steht vor einem Dilemma. Fossile Energien mit ihrer hohen Energiedichte und leichten Verfügbarkeit holten Milliarden Menschen aus der Armut. Gleichzeitig befördern sie die globale Erwärmung.

Der bislang einzige Wirtschafts-Nobelpreisträger der Klimaforschung hat das Dilemma erforscht. Der Ökonom William Nordhaus beschäftigt sich mit der Frage, bis zu welcher Temperatur es billiger wäre, die Erwärmung in Kauf zu nehmen, anstatt eine teure Energiewende zu CO₂-armer Energie zu finanzieren. Ab etwa 3,5 Grad wäre die globale Erwärmung teurer als die Kosten für Treibhausgas-Reduzierung, hat Nordhaus ermittelt.

2017 kalkulierte Nordhaus, dass eine Erwärmung von drei Grad die Welt 2,1 Prozent Wirtschaftswachstum kosten würde. Die Zahlen des Nobelpreisträgers raubten Aktivisten den Weltuntergang: Bis Ende des Jahrhunderts rechnen Ökonomen mit mehreren hundert Prozent Wirtschaftswachstum, da fallen ökonomische Klimawandelfolgen kaum ins Gewicht.

Das Zwei-Grad-Ziel der Weltgemeinschaft soll verhindern, dass Inseln versinken und womöglich andere unumkehrbare Risiken heraufbeschworen werden. Aus ökonomischer Sicht hat Nordhaus das Zwei-Grad-Ziel kritisiert: Das Ziel wäre „unmöglich“, die Kosten wären zu hoch im Vergleich zu den zu erwartenden Schäden.

Die Unternehmensberatung McKinsey hat ausgerechnet, dass es allein Europa mehr als fünf Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung kosten würde, seine CO₂-Emissionen auf netto Null zu reduzieren bis 2050.

Lebenssicherheit für 800 Millionen Menschen ohne Strom

Radikale Reduzierung des CO₂-Ausstoßes lässt sich nur mit hohem Aufwand erzwingen, die Mittel fehlen anderswo – etwa bei der Umsetzung der anderen 16 Menschheitsziele der Vereinten Nationen, zu denen die Bekämpfung von Armut und Hunger gehören. Verknappte fossile Energie lässt sich kurzfristig unzureichend mit CO₂-armer Energie ersetzen, wie die aktuelle Energiekrise zeigt – Wohlstandsverlust ist die Folge.

Besonders jenen 800 Millionen Menschen, die noch keinen Strom haben, brächte Energie kurzfristig weitaus mehr Lebenssicherheit als CO₂-Minderung. Dennoch torpediert die Europäische Union gerade die Erschließung von Gas, Öl und Kohle in Afrika, kauft aber gleichzeitig selber umso mehr davon. 

Der Fokus auf CO₂-Eindämmung im Kampf gegen die Folgen der Erwärmung erweist sich als problematisch. Ob ein Sturm, ein Feuer, eine Dürre oder Regen zur Katastrophe wird, entscheidet unwesentlich der Grad der Erwärmung. Ein Wetterextrem ohne Klimawandel fiele vielleicht ein paar Prozent schwächer aus, ähnliche Schutzmaßnahmen wären aber auch ohne Erwärmung nötig.

Erhöhtes Risiko für Wetterextreme bedeutet nicht zwingend mehr Katastrophen. Daten zeigen bislang keine klimabedingte Zunahme von Wetterschäden. Waldbrände etwa sind seit Jahrzehnten rückläufig, trotz globaler Erwärmung. Menschen haben gelernt, sich besser gegen die Feuer zu wappnen. 

Einer führenden Klimaforscherin wurde es nun zu viel. Zusammen mit zwei Kollegen forderte sie in einem Aufsatz im Wissenschaftsmagazin „Communications Earth & Environment“ im Frühjahr: „Hört auf, das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen.“

Derselbe Hurrikan, der im reichen Florida keine Todesopfer gefordert hat, könnte im nahen Haiti Hunderte Menschen töten – entscheidend sind Schutzmaßnahmen. Katastrophen entstünden, wenn Naturgefahren auf die Anfälligkeit einer Siedlung träfen, schreiben die Forscher: „Häufig bestimmt der soziale, politische und wirtschaftliche Status die Auswirkungen.“

Jene Faktoren müssten bekannt sein, um Katastrophen zu lindern. „Die Natur oder das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen, lenkt die Verantwortung ab.“ In der Folge drohten Mängel nicht diskutiert und nicht behoben zu werden.

Doch nicht Schutzmaßnahmen, sondern CO₂-Minderung ist Kern der Klimapolitik, er ist sogar festgeschrieben in der UN-Klimarahmenkonvention. Mit dem Fokus auf CO₂-Emissionen setzen sich UN und Regierungen an die Schaltstelle der Problemlösung. Anpassungsmaßnahmen hingegen würden in die Zuständigkeit von Ingenieuren und Lokalpolitikern fallen.

Alle paar Wochen warnt UN-Chef António Guterres in schrillen Worten vor dem Klimawandel. „Wir sind auf der Autobahn zur Klimahölle“, rief er anlässlich der UN-Klimatagung im November.

Beliebtes Thema in einer komplexen Welt

Berichte des UN-Klimarates beschreiben die globale Erwärmung als ein Problem der CO₂-Dosis, zuständig sind Naturwissenschaftler und Ökonomen. Anpassungsmöglichkeiten an Wettergefahren diskutiert der Rat einseitig als Kostenfaktor, während er bei der angestrebten CO₂-Minderung den Nutzen im Auge hat.

CO₂-Politik erlaubt Regulierungen sämtlicher Lebensbereiche: Ob beim Energieverbrauch, im Verkehr, beim Essen, beim Wohnen, beim Bauen und eigentlich überall sonst könnte CO₂ eingespart werden – ein unerschöpfliches Politikfeld.

Die Behauptung, mit dem CO₂-Ausstoß über das Wohl der Menschheit zu entscheiden, macht Klimapolitik zu einem beliebten Thema in einer ansonsten komplexen Welt. Dieser Klima-Reduktionismus verspricht Handlungsmacht. Debatten über Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel hingegen untergraben das Bestreben, deshalb gibt es Streit.

Als „eine Art Faulheit“ bezeichnete der amerikanische Klimaschutz-Vorkämpfer und Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Al Gore, vor 30 Jahren den Einsatz für Anpassungsmaßnahmen. Er setzte den Ton. Auf der jüngsten UN-Klimakonferenz im November sagte der Verhandlungsleiter der USA, John Kerry, das Wichtigste wäre CO₂-Minderung, um die Notwendigkeit der Anpassung zu verringern.

Der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, erklärte anlässlich der Konferenz: „Der einzige Weg in eine zu managende Zukunft ist, fossile Energien auslaufen zu lassen.“ Das Wort Anpassung gehöre zur Strategie der Verzögerung von Maßnahmen zur Einschränkung des CO₂-Ausstoßes, schrieb der Klimatologe Michael Mann gerade, der nach eigener Aussage einen „Krieg“ gegen „Klimaleugner“ führt, was ihn zum wohl bekanntesten Klimaforscher der Welt gemacht hat.

Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und Aktivisten profitieren, die den Kampf gegen den Klimawandel als einen „Gut gegen Böse“-Diskurs inszenieren: Die Trennung in „moralische“ Menschen, für die CO₂-Minderung Priorität hat, und „Gegner“. Dabei ergeben sich Einwände gegen einen Fokus auf CO₂-Minderung gerade aus moralischen Erwägungen, um menschliches Wohlergehen sicherzustellen. 

Mittlerweile mehren sich Stimmen aus der Klimaforschung für besseren Schutz. Die Menschheit müsse ihren Fokus stärker auf Anpassung an Wetterextreme richten, sagte im März der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Jochem Marotzke. Auf diesem Gebiet müsse auch im politischen Diskurs mehr geschehen. „Es ist bisher viel attraktiver zu fordern, den Klimawandel aufzuhalten, als sich an ihn anzupassen“, bemängelt Marotzke in der „Südwestpresse“.

Nach der Flutkatastrophe in Westdeutschland vergangenes Jahr schien es, als wäre die Bedeutung funktionierenden Katastrophenschutzes in Deutschland deutlich geworden. Klimaschutz und Anpassung seien „die beiden Säulen einer verantwortungsvollen Klimapolitik“, teilt die Bundesregierung mit.

Wenn es konkret wird, sieht es anders aus. Fertige Pläne für ein Forschungsinstitut für Klimawandel-Anpassung hat die Bundesregierung gerade abgelehnt. Stattdessen genehmigte sie ein Institut für Astronomie.

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