Unbarmherziger Ton
Unter den Wortführern waren auch nicht nur Lokalpolitiker wie die Hamburger Grünen-Abgeordnete und Fachsprecherin ihrer Partei für Antidiskriminierung, die mit dem Satz verewigt ist, dass sie jedem freiwillig Ungeimpften gern kommentarlos aufs Maul hauen würde. Von der Berliner Gesundheitssenatorin findet sich der Satz, dass sie allen empfehle, jeden Kontakt zu Ungeimpften zu vermeiden. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist mit dem Plädoyer für Beugehaft und Rentenkürzungen vertreten.
Wer sich impfen lasse, schütze nicht nur sich, sondern auch andere, lautete das zentrale Argument der Impfkampagne. Heute wissen wir, dass die Impfung gegen schwere Krankheitsverläufe hilft, nicht gegen Ansteckung. Das ist kein zu vernachlässigender Vorteil, doch es ist eben etwas ganz anderes als Fremdschutz.
Es ist, als ob ein Fieberanfall das Land befallen hätte, und das nicht nur verbal. Viele haben das vergessen, aber in München war es zwischenzeitlich sogar verboten, sich mit einem Buch auf einer Parkbank niederzulassen. Andernorts rückte die Polizei aus, um Kinder vom Rodelberg zu vertreiben oder die Weitergabe einer Bratwurst am Bratwurststand zu unterbinden, weil das Teilen einer Wurst in der Öffentlichkeit als Ordnungswidrigkeit galt.
Wir machen den gleichen Fehler wieder
Was lehrt uns die Verwirrung? Nicht viel, fürchte ich. Wenn nicht alles täuscht, sind wir gerade dabei, den Fehler des Rigorismus zu wiederholen. Es sieht so aus, als ob die Befürworter der entschiedensten Corona-Maßnahmen einfach weitergezogen wären.
Man trifft im Lager der Klimaretter nicht nur viele Leute wieder, die schon vor zwei Jahren das große Wort führten. Auch die Entschiedenheit, die keinen Widerspruch duldet, ist ungebrochen vorhanden.
Mit der Inbrunst, mit der eben noch Fallzahlen extrapoliert wurden, wird nun vorgerechnet, wie lange wir noch zu leben haben, wenn nicht sofort das gesellschaftliche Leben angehalten wird. An die Stelle des Corona-Lockdowns tritt der Klima-Lockdown. Wer den Untergang vor Augen hat, darf nicht fackeln, das kennen wir inzwischen nur zu gut. Wo es um das Überleben der Menschheit geht, wäre es fahrlässig, sich auf die Einsichtsfähigkeit der Bürger zu verlassen, nicht wahr?
Dass die Krise das Tor aufstoßen werde zu einer besseren, gerechteren Welt, das war schon die Hoffnung im Sommer 2020. Auch der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Kampf gegen das System. Viele, die sich in der Klimaschutzbewegung engagieren, träumen heimlich von der Abschaffung des Kapitalismus. Wobei: So heimlich ist der Traum gar nicht mehr.
Klimaaktivisten mit Back-to-the-Future-Programm
Die „Letzte Generation“ spricht offen darüber, dass man den Wohlstand um 50 Jahre zurückdrehen müsse, auf das „materielle Level der 70er Jahre“, und das könne nur „ein Vorgeschmack“ sein, wie es in einer ihrer Verlautbarungen heißt. Keine Ahnung, wo sie bei ihrem Back-to-the-Future-Programm enden wollen. Bei der Erfindung des Autos? Oder noch besser: vor der Einführung der Dampfmaschine? Vielleicht sollte man sich doch beizeiten einen Vorrat an Antibiotika zurücklegen, damit man zumindest die erste Tuberkulose-Welle überlebt.
Woher kommt diese fixe Idee, wir hätten nur noch zwei, drei Jahre, um die Welt vor dem Kollaps zu retten? Die Theorie der Kipppunkte, also die Annahme, der Klimawandel würde, einmal in Gang gesetzt, unweigerlich eine Kaskade von Katastrophen auslösen, steht wissenschaftlich eher auf dünnen Beinen. Andererseits: Mit „Follow the Science“ war nie gemeint, dass man sich auf die Wissenschaft verlassen solle. Gemeint war immer: vertrauenswürdige Wissenschaft, also Wissenschaft, der man selbst vertraut.
Leichtfertiger Umgang mit Zahlen
Es ist auffällig, wie leichthändig mit Zahlen operiert wird. Luisa Neubauer spricht davon, dass unser verantwortungsloses Verhalten noch Hunderttausende Kilometer entfernt schlimme Folgen habe. Spötter werden anmerken, dass der Mond damit ebenfalls als Rückzugsgebiet ausscheidet. Das hatte Luisa Neubauer vermutlich nicht im Sinn, als sie die Folgen des Klimawandels interplanetar deutete.
Ich hatte vor vier Wochen bei „Ist das euer Ernst?“, meiner kleinen Talkshow auf FOCUS Online, eine der Sprecherinnen der „Letzten Generation“ zu Gast. Als ich mich nicht sofort von der Dringlichkeit ihres Anliegens überzeugt zeigte, hielt mir meine Gesprächspartnerin vor, dass schon 2050 die Menschen in Deutschland um Essen kämpfen würden, weil die Klimakrise auch die Nahrungsmittelproduktion zum Erliegen bringen werde.
Meinen Einwand, dass es ein langer Weg sei, bis die Deutschen an Hungerödemen litten, weil sie im Zweifel ärmeren Nationen das Essen wegkaufen würden, konterte sie mit dem Argument, dass dies ebenfalls schlimm sei. Damit hatte sie zweifellos recht. Ich fand es allerdings verblüffend, wie schnell sie sich von einer Prognose verabschiedete, auf die sie eben noch ihre Argumentation aufgebaut hatte. Wir kennen auch das aus der Corona-Krise. Eine düstere Vorhersage jagt die andere, und wenn es trotzdem ganz anders kommt, heißt es: „Ja, stimmt, aber das liegt daran, dass die Menschen aufgrund der Prognosen ihr Verhalten geändert haben.“
„No Covid in China ist eine totalitäre Realität“
Ich habe mir im Zuge der Recherche für diese Kolumne noch einmal das No-Covid-Konzept angesehen, in dem die Befürworter vorschlugen, Deutschland in grüne und rote Zonen zu unterteilen. Grün für virusfrei, rot für virusbelastet.
Es gibt dazu ein Schaubild, wie sich die Verfechter den Kontakt zwischen den beiden Zonen vorstellten. Es zeigt zwei durch dicke Balken getrennte Flächen, zwischen denen eine gepunktete Linie verläuft, um den sicheren Übergang von einer grünen Zone zur anderen zu markieren. „Das Restrisiko in den Übergangsbereichen und an den Kontaktpunkten wird durch ausgewiesene Transitorte (z.B. speziell geschützte Tankstellen) minimiert“, lautet die Erklärung.
Ich verweise an dieser Stelle auf Dieter Janecek, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, damit es nicht heißt, ich würde zu polemisch werden. „No Covid in China ist eine totalitäre Realität der absoluten sozialen Kontrolle“, schrieb er vor einigen Tagen auf Twitter. „In Deutschland war es glücklicherweise nur eine totalitäre Ideologie, die sich am Ende nicht durchsetzen konnte. Trotzdem beängstigend, wie weit viele zu gehen bereit waren.“
Wie hieß es immer bei den Linken? Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
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