21 November 2022

Verfassungsschutz-Chef verteidigt „Letzte Generation“ - Stützen des Systems (Cicero+)

Verfassungsschutz-Chef verteidigt „Letzte Generation“ -
Stützen des Systems
Gegen Corona-Querdenker und die rechtspopulistische Opposition legte sich Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang mächtig ins Zeug. Doch bei radikalen Klimaschützern, die Straftaten als politisches Erpressungsmittel nutzen, will er keinen Extremismus erkennen. Wie der Chef des Inlandsgeheimdienstes hier argumentiert, ist ein Skandal.
VON DANIEL GRÄBER am 18. November 2022
Thomas Haldenwang ist sehr geschmeidig. Das muss er wohl sein. Denn er wurde Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, weil sein Vorgänger zu störrisch war. Seit Haldenwang den Inlandsgeheimdienst führt, agiert die Behörde stets im Sinne der Bundesregierung. Wer Extremist ist und deshalb unter Beobachtung gestellt wird, entscheidet Haldenwangs Verfassungsschutz nicht mehr nach objektiv nachvollziehbaren Kriterien, sondern nach politischer Wetterlage.
Bei der AfD konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Er bezeichnete die Oppositionspartei öffentlich sofort als „Prüffall“, obwohl ihm damals noch keine ausreichenden Anhaltspunkte vorlagen, um sie wegen Rechtsextremismusverdachts zu beobachten. Das hat ihm ein Gericht später zwar um die Ohren gehauen und ist in einer Demokratie eigentlich ein Unding. Doch Folgen hatte seine voreilige und rechtswidrige Öffentlichkeitsarbeit keine. Kein Wunder. Es war politisch genau so gewollt.
Als später die Proteste gegen die Corona-Politik zunehmend unangenehm für die Bundesregierung wurden, erfand Haldenwang kurzerhand eine neue Extremismus-Kategorie: die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. So konnte er den harten Kern der nicht richtig ins Links-Rechts-Schema passenden Querdenker-Szene mit geheimdienstlichen Mitteln ins Visier nehmen.
Wohlwollend und verständnisvoll
Jetzt allerdings, bei den sich immer weiter radikalisierenden Klimaaktivisten, die mit Straßenblockaden und Kartoffelbreiattacken für Aufmerksamkeit sorgen, will der oberste Verfassungsschützer nicht so genau hinsehen. Das machte er in einer Gesprächsrunde des „Demokratie-Forums Hambacher Schloss“ deutlich. Gastgeber Michel Friedmann sprach ihn am Ende der Veranstaltung eher wohlwollend auf die Aktionen der „Letzten Generation“ an. Und Haldenwang äußerte sich daraufhin ebenso wohlwollend und verständnisvoll.
Warnungen vor dem Entstehen einer Klima-RAF seien aus seiner „fachlichen Sicht“ Nonsens, sagte Haldenwang. „Ich bin in erster Linie erstmal ganz froh und glücklich, dass sich junge Menschen auf einmal wieder für Politik interessieren und dafür interessieren, die Zustände im Land zu verbessern und sich engagieren für so ein elementares Thema wie Klimawandel.“ Das Ankleben auf Straßen und die Beschädigung von Gemälden seien zwar Straftaten, so der Verfassungsschutzpräsident. „Aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch.“
Respekt für das System
„Extremistisch ist immer dann, wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt wird“, erklärte Haldenwang. „Und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht. Die sagen: Hey, Regierung, ihr habt so lange geschlafen. Ihr, Regierung, müsstet jetzt endlich mal was tun.“ Anders könne man gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert.

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Das ist eine absurde Argumentation. Um das zu erkennen, genügt ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns mal vor, es wären keine Klimaaktivisten, die protestierten, damit die Klimakoalition ihr Regierungsprogramm schneller und entschiedener umsetzt, sondern Migrationsaktivisten, die sich auf Straßen kleben, um die Regierung zur wirksamen Grenzkontrolle zu zwingen. Würde sich Haldenwang dann genauso darüber freuen, dass sich junge Leute endlich wieder für Politik interessieren? Und würde er dann genauso feinsinnig darüber dozieren, dass Straftaten, mit denen eine demokratisch gewählte Regierung unter Druck gesetzt werden soll, kein Extremismus seien, sondern eine Respektsbekundung gegenüber dem demokratischen System?

Straftaten im politischen Meinungskampf  

Natürlich nicht. Denn es ist Unsinn. Selbstverständlich macht nicht jede Straftat einen politischen Aktivisten zum Extremisten. Wenn er etwa im Supermarkt Kaugummis klaut, ist das zwar Ladendiebstahl, aber ein Fall für Polizei und Justiz, keiner für den Verfassungsschutz. Wer aber Autofahrer daran hindert, von A nach B zu kommen, um gesellschaftlichen Ziele durchzusetzen, für die er im demokratischen Meinungsstreit keine Mehrheiten findet, nutzt Straftaten (in diesem Fall Nötigung) als Mittel der politischen Auseinandersetzung.

Das ist in einer Demokratie nicht akzeptabel. Wenn Haldenwang das für harmlos hält, solange es der richtigen Sache (in diesem Fall Klimaschutz) dient, verkennt er die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Denn an die demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln müssen sich alle halten: die „Guten“ wie die „Bösen“.

Erpresserbrief an Kanzler Scholz

Seine Aussage, die „Letzte Generation“ bringe zum Ausdruck, wie sehr sie dieses System respektiere, indem sie die Regierung zum Handeln auffordere, ist ein Skandal. Denn wie diese Aufforderung aussieht, lässt sich schwarz auf weiß nachlesen: in einem Erpresserbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz, den die – von einer schwerreichen Erdöl-Erbin aus den USA finanzierten – Klimaaktivisten auf ihrer Internetseite veröffentlicht haben.

„Handeln wir jetzt nicht entschlossen und tun nicht alles, was in unserer Macht steht, werden wir unsere Lebensgrundlagen unwiederbringlich vernichten. Es wird ohne unser Zutun immer heißer werden, Milliarden Menschen werden leiden und sterben“, beschreiben die Straßenkleber darin das übliche Weltuntergangsszenario. „Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung wird ins Wanken geraten. Sie wissen das. Es wurde Ihnen bereits erklärt.“

Widerstand und Ultimatum

Der pathetische Ton steht in einem merkwürdigen Kontrast zur Kleinteiligkeit der Gegenmaßnahmen, die dann gefordert werden: ein Tempolimit von 100 km/h und das Neun-Euro-Ticket. Umso entschiedener wird die Forderung mit einem Ultimatum bekräftigt: „Sollten wir von Ihnen bis zum 07.10.2022 keine Antwort erhalten, die uns zeigt, dass Sie diese Maßnahme umsetzen werden, sehen wir keine andere Möglichkeit, als gegen Ihren aktuellen Kurs Widerstand zu leisten. Wir werden in diesem Fall ab dem 10.10.2022 erneut für eine maximale Störung der öffentlichen Ordnung sorgen. Diese Störung werden wir nicht einstellen, bis wir von Ihnen eine Reaktion bekommen, die es unserem Gewissen erlaubt, aufzuhören.“ Dieser Ankündigung haben sie Folge geleistet.

Das eigene Gewissen, das über allem anderen steht, die höhere Moral, die große, alles bedrohende Gefahr, das Recht auf, ja die Pflicht zum Widerstand: So reden keine überzeugten Demokraten. So reden Extremisten.

Herr Haldenwang, übernehmen Sie. Und erfinden Sie zur Not eine neue Kategorie.

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