28 November 2022

WM in Katar, Randale in Brüssel Manche feiern halt anders als andere (Cicero)

WM in Katar, Randale in Brüssel
Manche feiern halt anders als andere
Am Wochenende ist es in Belgien zu Ausschreitungen durch kulturbereichernde Fußballfans gekommen. Aber keine Sorge, denn das hat alles nichts mit nichts zu tun, und überhaupt war ein anderes Ereignis viel schlimmer: ZDF-Experte Sandro Wagner hat „Bademantel“ gesagt.
VON BEN KRISCHKE am 28. November 2022
Die größte japanische Community Deutschlands lebt in Düsseldorf. Wer sich mit ihr befasst, stößt eher früher als später auf den Begriff „Little Tokyo“, was ausschließlich respektvoll gemeint ist. Vom Ramen-Imbiss bis zur Buchhandlung: Dank 8400 Japanern kann man japanisches Leben nirgendwo anders in Deutschland so konzentriert erleben, erlesen und erschmecken wie in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens. Und weil das Einheimischen wie Touristen gleichermaßen gefällt, darf ein Hinweis auf „Little Tokyo“ freilich auch in keinem Reiseführer, gedruckt wie digital, über Düsseldorf fehlen. 

Folgt man dem, was über die Hintergründe des japanischen Lebens in Düsseldorf bekannt ist, soll alles mit einer japanischen Delegation begonnen haben, die im Juli 1862 auf Durchreise war und sich am heutigen Graf-Adolf-Platz mit Altbier erfrischte. Die Gegenwart liest sich nun so: „Obwohl die Japaner als siebtgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe eine kleine Minderheit bilden, prägen sie seit über 50 Jahren das Stadtbild und bereichern das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt.“
Japaner schlagen Düsseldorf nicht kurz und klein

Nun wollte es der Fußballgott jüngst so, dass Deutschland am Dienstag vergangene Woche sein Auftaktspiel bei der WM in Katar gegen die japanische Nationalelf bestreiten musste. Und er wollte auch, dass dieses Spiel 2:1 für die Japaner ausgegangen ist, weil die ihre stärkste Phase nutzten, um erst gegen Deutschland auszugleichen und wenig später den Siegtreffer zu erzielen. Dieser ging je ungefähr zur Hälfte auf das Konto des japanischen Torschützen Takumo Asano, der beim Bundesligisten VfL Bochum unter Vertrag steht, und auf jenes von Verteidiger Nico Schlotterbeck, der ihm dabei zusah, ohne nennenswert einzugreifen. 

Es ließe sich nun trefflich darüber streiten, ob dieser Sieg Japans im statistischen Sinne „verdient“ war. Worüber es wiederum nichts zu streiten gibt, ist das Verhalten der japanischen Fans, die in katarischen Stadien ihre Sitzreihen aufräumen, bevor sie gehen, auch sonst sehr höfliche Zeitgenossen sind und sogar so freundlich waren, Düsseldorf nach dem Sieg gegen Deutschland nicht kurz und klein zu schlagen. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt nämlich ein Blick nach Brüssel.
Die einen räumen auf, die anderen reißen ab

Auch dort gibt es eine Minderheit, die sich aus rund 35.000 Personen speist, die marokkanische Wurzeln haben. Nun wollte es der Fußballgott außerdem so, dass Belgien bei dieser Fußballweltmeisterschaft unter anderem auf Marokko trifft. Und er wollte auch, dass dieses Spiel 2:0 für die Marokkaner endet. Statt Sieger-Sashimi gab es in Brüssel anschließend auf die Fresse, weil laut Polizeiangaben Dutzende kulturbereichernde Fußballfans mit marokkanischem Pass spontan beschlossen hatten, randalierend durch die Straßen zu ziehen, Sicherheitskräfte anzugreifen und das Ganze mit ihren Smartphones zu filmen. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Ähnliche Krawalle fanden zur gleichen Zeit in Lüttich und Antwerpen statt.

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Nun hat das bestimmt mal wieder nichts mit nichts zu tun und überhaupt feiern manche eben anders als andere. Die einen feiern im Stillen, die anderen mit der Autohupe. Die einen räumen auf, die anderen reißen ab. So bleibt das Universum der Kulturbereichernden im Gleichgewicht. Außerdem war ein anderes Ereignis der jüngsten Fußballgeschichte noch viel schlimmer als diese Ausschreitungen. Nämlich, dass der ZDF-Experte Sandro Wagner am Sonntagabend von „katarischen Bademänteln“ gesprochen hat, statt den korrekten Begriff „Thawb“ für die weißen Katari-Gewänder zu nutzen.
„One Love“ ist das einzige, was zählt

„Der Eindruck des 1:1 gegen die ,Furia Roja' wird im Nachhinein getrübt – denn ZDF-Experte Sandro Wagner leistete sich einen flapsigen Kommentar“, betrauert das intellektuelle Flaggschiff des deutschen Online-Journalismus, T-Online, diesen „Eklat“. Und irgendwelche Leute twittern jetzt Zeug wie „ZDF in Rassismus-Skandal verwickelt. ÖRR beschäftigt Menschen mit zweifelhafter Gesinnung. Inakzeptabel!“ oder – Rechtschreibfehler im Original – „Die Klamotten der Menschen als Katarische Bademäntel zu bezeichnen ist einfach nur rassistisch und eckelhaft! Man merkt wie Hasserfüllt die Kommentatoren wiedermal sind gegen Katar!“

Mal abgesehen davon, dass sich der nüchterne Beobachter notgedrungen fragt, welche Art von Rassismus das eigentlich sein soll, der sich gegen Klamotten richtet, weiß der woke Online-Mob eben ganz genau, wie er Prioritäten zu setzen hat. Vorschlag zur Güte: Wir schicken Sandro Wagner in einem Thawb nach Brüssel, wo er dann zwischen der Polizei und marokkanischen „Fans“ vermitteln kann. Bei der Gelegenheit kann er dann direkt und stellvertretend Abbitte bei den dortigen Marokkanern leisten, weil er arabische Gewänder nicht zu schätzen weiß.  

Jede Minderheit hat das Recht, irgendwann als Bereicherung für „das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt“ in einem Reiseführer zu stehen. Und wenn das mit irgendwelchen Minderheiten in irgendeinem europäischen Land partout nicht gelingen mag, müssen sich die Einheimischen bei der Integration eben mehr anstrengen und die verantwortlichen Politiker eben mehr Geld in antirassistische Maßnahmen investieren, damit Personen von „zweifelhafter Gesinnung“ nicht mehr „Bademantel“ sagen. Denn die zentrale und unverhandelbare Botschaft dieser WM lautet bekanntermaßen: „One Love“ über alles.

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