Doch dieser Kompromiss – die Grünen mussten die Mini-Laufzeitverlängerung für alle drei statt nur zwei AKW schlucken, die FDP verzichtete auf eine richtige Verlängerung mit neuen Brennelementen – scheint schon wieder zu wackeln. Denn die Liberalen nehmen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck unter Beschuss und werfen ihm vor, in der Atomkraftdebatte mit gezinkten Karten gespielt zu haben.
FDP macht Druck
„Mich besorgt, dass Prüfaufträge, die von grün geführten Ministerien durchgeführt werden, in Zukunft wohl nicht mehr vorbehaltlos für bare Münze genommen werden können“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai diese Woche der Welt. Anlass war eine gemeinsame Recherche von Cicero und Welt am Sonntag, die anhand von bislang unveröffentlichten Regierungsdokumenten aufzeigt, dass die beiden von Grünen geführten Bundesministerien für Wirtschaft und für Umwelt die AKW-Laufzeitverlängerung entgegen öffentlicher Beteuerungen von Anfang an verhindern und verzögern wollten.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr wiederum zeigte sich „sehr erstaunt, dass es bei der Frage der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke offenbar keine ergebnisoffene Prüfung seitens der zuständigen Ministerien gab“. Da sich Deutschland „mitten in einer Energiekrise“ befinde, brauche es „Fakten und unabhängige Einschätzungen“, sagte Dürr und forderte Habeck auf: „Ich erwarte nun, dass das Bundeswirtschaftsministerium die publik gewordenen Vorgänge schnellstmöglich aufklärt.“
Habeck hält seine Akten geheim
Doch davon ist bisher nichts zu spüren. Im Gegenteil: Während das von Steffi Lemke geführte Umweltministerium unserem Antrag auf Akteneinsicht stattgab und uns mehr als 100 interne E-Mails, Vermerke, Entwürfe und Stellungnahmen zur Verfügung stellte, kamen aus Robert Habecks Ministerium bislang nur vertröstende Worte. Man bat um Geduld und Verständnis für die „in der aktuellen Situation sehr hohe Arbeitsbelastung in unserem Haus“. Allerdings hatte Cicero den Akteneinsichtsantrag, der sich auf das Umweltinformationsgesetz stützt, bereits am 16. Juli an Ministerien gestellt. Die gesetzlich vorgesehene Frist von maximal zwei Monaten ist seit mehr als anderthalb Monaten abgelaufen.
Dagegen wehren wir uns nun auf juristischem Weg. Cicero hat beim Verwaltungsgericht Berlin eine Untätigkeitsklage gegen das Bundeswirtschaftsministerium eingereicht und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das Gericht soll Habecks Ministerium dazu verpflichten, alle Unterlagen „zu der ab dem 24. Februar 2022 diskutierten Möglichkeit einer Laufzeitverlängerung oder Wiederinbetriebnahme deutscher Kernkraftwerke“ vorzulegen.
Rechtsanwalt Christoph Partsch, der uns in dieser Sache vertritt, ist ein Spezialist für solche Auskunfts- und Informationsklagen und schätzt die Erfolgsaussichten als hoch ein. „Es gibt nach dem europarechtlich abgesicherten Umweltinformationsgesetz einen Anspruch auf Einsicht für jeden in die beantragten Unterlagen des Bundeswirtschaftsministeriums“, erklärt Partsch die Rechtslage. „Die Verzögerungstaktik des Ministeriums ist eines Rechtsstaats unwürdig.“
Widerspruch aus der „Fachebene“
Hat Robert Habeck etwas zu verbergen? In den bislang vorliegenden Unterlagen aus dem Umweltministerium befinden sich etliche E-Mails, die zwischen beiden Ministerien hin- und hergingen. Darunter auch eine, die einen Eindruck davon vermittelt, was in den bislang geheimgehaltenen Atomkraft-Akten des Wirtschaftsministeriums womöglich zu finden ist: Widerspruch aus den eigenen Reihen.
In der E-Mail, die wir an dieser Stelle in Auszügen dokumentieren, leitet Habecks Pressesprecherin eine Einschätzung aus der „Fachebene“ des Wirtschaftsministeriums an ihren Kollegen im Umweltministerium weiter. Es geht um die Frage, wieviel Erdgas durch einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke eingespart werden könnte.
Der in der E-Mail namentlich nicht genannte Fachmann kritisiert die Ministeriumsspitze in deutlichen Worten: „Ich muss dem BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) in dieser Debatte leider eine gewisse Schizophrenie attestieren“, schreibt er. „Während wir das EKBG (Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz) in den höchsten Tönen loben und uns vom Weiterbetrieb von Kohle- und Öl- Kondensationsanlagen eine riesige Gaseinsparung erhoffen, sprechen wir dem Weiterbetrieb von AKW-Kondensationsanlagen diese Eigenschaft ab.“
Wunder Punkt
Damit spricht er intern genau jenen wunden Punkt an, der Robert Habeck und die Grünen besonders viel Glaubwürdigkeit kosten dürfte. Während die aus der Anti-AKW-Bewegung hervorgegangene Ökopartei den 2011 beschlossenen Atomausstieg trotz Ukrainekrieg und Energiekrise mit aller Gewalt verteidigt, lässt ihr Liebling, immerhin Deutschlands erster Klimaminister, bereits stillgelegte Kohlekraftwerke wieder hochfahren, um keinen Blackout zu riskieren. Das versteht in der breiten Bürgerschaft kaum jemand mehr. Und offenbar auch nicht jeder Mitarbeiter im eigenen Ministerium.
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Der Verfasser der internen Einschätzung warnt davor, sich bei Prognosen für die Stromversorgung im bevorstehenden Krisenwinter auf Durchschnittswerte zu verlassen. „Die Frage ist, wollen wir uns im nächsten Winter wirklich auf den Erwartungswert vorbereiten oder im Sinne einer echten Krisenvorsorge nicht besser auf einen Reasonable Worst Case?“, schreibt er und meint damit, dass das schlimmste Szenario, was Wetter und Energiesituation angeht, zugrundegelegt werden müsste. „Wenn man nur ausreichend Risiken stapelt (wenig Kernenergie, wenig Erdgas im Stromsektor, wenig Wind, Kältewelle) kann man im nächsten Winter sicher auf 1000 h (Stunden) Lastunterdeckung kommen.“
Kontrollierte Stromausfälle
Lastunterdeckung bedeutet, dass das Stromangebot nicht ausreicht, um den Strombedarf zu decken. Im Extremfall hätte dies zur Folge, dass Netzbetreiber ganzen Stadtteilen den Strom stundenweise abdrehen müssen, um den unkontrollierten Zusammenbruch des gesamten Netzes, den Blackout, zu verhindern. So etwas hat es in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben.
Habecks Mitarbeiter aus der Fachabteilung empfiehlt daher den Weiterbetrieb der AKW, der neben der Gaseinsparung zwei weitere Vorteile hätte: „Die Strompreise sinken, und der Netzbetrieb wird sicherer.“
In den Akten des Wirtschaftsministeriums, deren Herausgabe wir nun gerichtlich durchsetzen wollen, finden sich möglicherweise noch weitere solcher Stellungnahmen. Und es wird dann auch nachvollziehbar, wie damit innerhalb des Hauses umgegangen wurde.
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