Haldenwangs historischer Irrtum
Thomas Haldenwang, Chef des Bundesverfassungsschutzes, hält die
Warnung des CSU-Politikers Alexander Dobrindt vor einer „Klima-RAF“ für
„Nonsens“ – sehr zur Freude linksgrüner Kreise. Dabei waren es
Aktivisten der „Letzten Generation“ selbst, die das Szenario einer
Radikalisierung bis hin zum Terrorismus in die Welt gesetzt haben.
Ohnehin ist ein Vergleich mit der RAF statthaft, denn auch die
Achtundsechziger waren nicht von Anfang an gewalttätig.
VON HUGO MÜLLER-VOGG am 20. November 2022
Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, hält die Warnung des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt vor einer „Klima-RAF“
aus „fachlicher Perspektive“ für „Nonsens“. Jedenfalls erkenne er
„gegenwärtig“ nicht, dass die „Letzte Generation“ sich „gegen die
freiheitlich demokratische Grundordnung richtet, und insofern ist das
kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz“.
In bestimmten politischen Kreisen wie in solchen Medien, die dem
Verfassungsschutz prinzipiell skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen,
löste diese Bemerkung Haldenwangs große Begeisterung aus. Freilich hatte
der oberste Verfassungsschützer etwas kritisiert, was der CSU-Politiker
gar nicht gesagt hatte. Der hatte die „Letzte Generation“ keineswegs
als Klima-RAF bezeichnet. Er hatte vielmehr gesagt, die Entstehung einer
„Klima-RAF“ müsse verhindert werden. Eigentlich müsste der
Verfassungsschutz daran ebenfalls interessiert sein. Gleichwohl
irritiert, dass Haldenwang den Drohungen der Blockierer vom
fortgesetzten „Widerstand“ und einer „maximalen Störung der öffentlichen
Ordnung“ wenig Bedeutung beimisst.
Unüberhörbare Freude über die „Watschn“
In der unüberhörbaren Freude in linksgrünen Kreisen über diese
„Watschn“ für Dobrindt wird freilich vergessen, dass dieser keineswegs
der erste war, der über eine mögliche Radikalisierung der Klima-Kleber
sprach. Den Zusammenhang zwischen militanten Klima-Ideologen und den
RAF-Terroristen hat schon vor einem Jahr Tadzio Müller hergestellt, ein
höchst aktiver Klima-Demonstrant, laut taz „ein Kind der globalisierungskritischen Bewegung, durch und durch“.
Dieser „Berufsaktivist, der sich im Kampf gegen das Schweinesystem seit Jahren von Polizisten wegheben lässt“ (Spiegel-Autor Alexander Neubacher), hat vor einem Jahr dem Spiegel
gesagt, was er sich von der Klimabewegung erhofft: „Zerdepperte
Autoshowrooms, zerstörte Autos, Sabotage in Gaskraftwerken oder an
Pipelines. Das wird es nächsten Sommer auf jeden Fall geben.“ Und: „Wer
Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF. Oder Klimapartisanen.
Oder Sabotage for Future. Wie auch immer sie sich dann nennen.“
Dobrindt hat also lediglich die Gewaltphantasien eines sogenannten
Klimaaktivisten aufgegriffen – wobei der Aufschrei über Dobrindts
Äußerung ungleich lauter war als im Herbst 2021 über Müllers Drohungen.
Nun kann Dobrindt (Jahrgang 1970) gar keine Erinnerungen an den Terror
der mordenden RAF in den 1970er Jahren haben; auch bei Haldenwang
(Jahrgang 1960) dürften diese nicht allzu ausgeprägt sein. Aber beide
wissen, dass die Rote Armee Fraktion nicht als Kopfgeburt einiger
Extremisten entstanden ist, sondern sich aus der Studentenbewegung der
1960er Jahren, der „Außerparlamentarischen Opposition (APO)“
beziehungsweise den „Achtundsechzigern“ entwickelt hat.
Parallelen zwischen APO und „Letzte Generation“
Wer die Achtundsechziger und die APO mit der „Letzten Generation“
vergleicht, stößt auf manche Parallelen. Auch die meisten
Achtundsechziger waren Fanatiker; entsprechend fanatisch haben sie Politik betrieben.
Das Freund-Feind-Denken, mit dem Nationalsozialisten und Kommunisten
die Weimarer Republik zugrunde gerichtet hatten, feierte nach 1968
Urstände. Die für die junge Bundesrepublik so wichtige „Gemeinsamkeit
der Demokraten“ verlor an Bedeutung. Aus politischen Gegnern wurden
Feinde, aus politischen Auseinandersetzungen erbittert geführte
Glaubenskriege.
Ihre zutiefst undemokratische, totalitäre Einstellung demonstrierte
die APO, wenn sie andere zwang, ihren Sprechern zuzuhören, im wörtlichen
wie im übertragenen Sinn. Die Achtundsechziger sprengten Vorlesungen,
um politische Diskussionen zu erzwingen. Die Mitstreiter der „Letzten
Generation“ nehmen Autofahrer als Geiseln, um die Politik unter Druck zu
setzen. Die APO hing lange der Illusion nach, die werktätigen Massen
würden sich ihr anschließen. Die Klima-Kleber stören den Tagesablauf von
unbeteiligten Bürgern in der Erwartung, diese würden von der Politik
eine andere Klimapolitik fordern.
Die rebellischen Studenten bildeten wie die „Letzte Generation“ eine
Minderheit. Beide Minderheiten wähnten und wähnen sich allen anderen
ideologisch überlegen. Diese angemaßte Überlegenheit wiederum
rechtfertigt in den Augen der Akteure die eigene Maßlosigkeit bei der
der Wahl der Mittel. Sie fühlen sich im Besitz der Wahrheit – und leiten
daraus das Recht ab, Gesetze zu brechen. Für die parlamentarische
Demokratie und den Rechtsstaat hatten die Achtundsechziger nur
Verachtung übrig – so wie heute die Klima-Straftäter.
Was man nicht vergessen sollte: Von der Studentenrevolte der späten
1960er Jahre führte eine direkte Linie zu den Morden der RAF – und zwar
eine sehr blutige. Das kam nicht von ungefähr. Für die APO war Gewalt
von der ersten Stunde an ein Mittel der Politik. Anfangs unterschied man
noch „Gewalt gegen Sachen“ und „Gewalt gegen Personen“. Aber diese
Differenzierung war zu akademisch, um Bestand zu haben.
Erst brannten Zeitungen, dann brannten Autos
Die Realität sah unter anderem so aus: Erst brannten Zeitungen, dann
brannten Autos, dann brannten Menschen. Molotowcocktails gegen
Polizisten waren zweifellos keine Sachbeschädigung mehr. Es war nur eine
Minderheit, die sich so sehr radikalisierte, dass Mord für sie zu einem
Mittel der Politik wurde – aber sie hinterließ Tote und Verletzte, Blut
und Tränen.
Ob sich die Rechtsbrecher unter dem Klima-Label
so entwickeln werden, kann niemand wissen. Michael Buback, der Sohn des
1977 von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback,
betrachtet die „Letzte Generation“ jedenfalls nicht so verständnisvoll
wie der Verfassungsschutzpräsident. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
warnte er davor, „Ziele mit radikalen Maßnahmen und Gewalt erreichen zu
wollen. Das hat uns nur Unglück gebracht“. Er wolle „die Aktivitäten
irgendeiner Gruppe ungern mit der RAF vergleichen, weil sie besonders
grausam und schlimm war“, fügte hinzu. „Aber ich sehe ideologisch
bedingte massive Eingriffe in die Rechte anderer.“
Es wäre ja schön, wenn Haldenwang Recht behielte und die „Letzte
Generation“ sich zwar bei manchen Aktionen strafbar machte, sich aber
nie und nimmer weiter radikalisierte. Genau das hatten auch viele
Politiker und Linksintellektuelle von der APO erwartet – bis die ersten
Schüsse fielen und es die ersten Toten gab.
Wie bei den Klima-Kriminellen teilweise gedacht wird, zeigte sich
übrigens in der Nonchalance, mit der mancher Blockierer auf die
Nachricht reagierte, die bei einem Unfall in Berlin ums Leben gekommene Radfahrerin
hätte möglicherweise gerettet werden können, wenn ein Rettungsfahrzeug
nicht in dem von Klima-Klebern verursachten Stau steckengeblieben wäre.
Der schon erwähnte „Aktivist“ Müller kommentierte das in einem später gelöschten Tweet so: „Scheiße, aber: nicht einschüchtern lassen. Es ist Klimakampf, nicht Klimakuscheln, & shit happens.“
Das erinnert an den brutalen, unmenschlichen Ton in den
Bekennerschreiben der RAF. Im Archiv des Bundesamts für
Verfassungsschutz kann sein Präsident das nachlesen.
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