Die «Querdenker» glauben an finstre Mächte, an eine Impf-Lüge, die Schuld der Ukrainer und der USA am Kriegsausbruch. Deswegen sind sie noch keine Verfassungsfeinde. Das Grundgesetz schützt die Freiheit, auch absonderliche Meinungen zu äussern.
Beide Bewegungen stellen – derzeit – keine ernstliche Gefahr für den Staat dar; beide werden die Demokratie nicht zum Einsturz bringen. Aber nur eine Bewegung wird vom Verfassungsschutz beobachtet, obwohl die Begehung von Straftaten nicht einmal den Kern ihrer Aktionen darstellt. Manche Protestformen sind eben gleicher als andere.
Würde das Bundesamt für Verfassungsschutz dieselben Kriterien anlegen wie bei den «Querdenkern», müsste die Behörde auch die Beobachtung von «Fridays for Future» öffentlich verkünden. Deren Anhänger fordern, die soziale Marktwirtschaft «zu verbrennen» und nicht fossile Brennstoffe. Sie stellen wie Luisa Neubauer die Demokratie infrage, sollten deren nun einmal langwierige Verfahren einen schnellen Klimaschutz behindern. Deutlicher kann man den Staat und seine verfassungsmässigen Grundlagen nicht delegitimieren.
Dennoch bleibt der Verbalradikalismus der Klimajugend ohne Folgen. Der Staat drückt ein Auge fest zu, weil die Mehrheit der Bevölkerung die Erderwärmung für eine grosse Gefahr hält. Der Klimaschutz-Bewegung wird moralische Legitimität zugeschrieben, selbst wenn ihr extremistischer Rand vor kriminellen Handlungen nicht zurückschreckt.
Dieselbe Mehrheit sieht hingegen in den Menschen, die sich bei «Montagsspaziergängen» einfinden, nichts als Spinner, deren krude Anliegen kein Verständnis verdienen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Demonstranten oft Ostdeutsche sind. Deren Ansichten betrachten die Westdeutschen ohnehin mit Argwohn.
Der Inlandgeheimdienst als Büttel zur Verfolgung einer Minderheit im Namen der Mehrheit? Die Behörde könnte es eines Tages bereuen, dass sich ihr Präsident Thomas Haldenwang so bereitwillig politisch instrumentalisieren lässt. Mehr Zurückhaltung wäre wünschenswert. In der Demokratie sind Geheimdienste nicht dazu da, missliebige Weltanschauungen zu verfolgen.
Von der gebotenen weltanschaulichen Neutralität, mit der der Staat allen Protestformen begegnen sollte, sofern sie die Grenze zur Straftat nicht überschreiten, hat sich die Bundesrepublik im Namen einer höheren Moral längst verabschiedet.
Dabei gibt es eigentlich nichts Gefährlicheres in der Politik als Revolutionäre, die sich auf Moral berufen. Und revolutionär will die Klimajugend ja sein.
Sie verachtet den Pragmatismus der Reformer, die im Gestrüpp der internationalen Konferenzen und der widerstreitenden innenpolitischen Interessen nach tauglichen Konzepten für den Klimaschutz suchen. Sie verachtet die Bescheidenheit der Realisten, die eine Anpassung an die Erderwärmung für unumgänglich halten, wenn sich das ambitionierte Zwei-Grad-Ziel nicht in der nötigen kurzen Frist erreichen lässt.
Eine neue Generation von Unbedingten will Katharsis statt Kompromisse. Sie träumt von der grossen Wende, die wieder einmal Erlösung bringen soll.
«Fridays for Future», von den extremistischen Gruppen ganz zu schweigen, vertritt einen Absolutheitsanspruch, der einem Robespierre oder Lenin nicht fremd gewesen wäre. Die Ideologie ist hermetisch, weil sie Güterabwägungen nicht zulässt. Die Rettung des Klimas steht bedingungslos über allen anderen Staatszielen.
Dieser kategorische Imperativ des 21. Jahrhunderts passt nicht zu einer Politik, die mit Entlastungspaketen den sozialen Frieden zu garantieren versucht. Die volle Schockwirkung der Energiepreise würde den CO2-Ausstoss deutlich senken, doch betrachten selbst die deutschen Grünen dies als politischen Selbstmord.
Der Vergleich mit Berufsrevolutionären früherer Tage mag zunächst weit hergeholt erscheinen. Natürlich unterscheiden sich die Mittel fundamental. Die Bolschewisten haben sich nicht vor dem Winterpalais festgeklebt, sondern es gestürmt. Aber die Klimajugend wäre die erste pseudorevolutionäre Bewegung, in der sich nicht einzelne Mitglieder aus Frustration über ausbleibende Erfolge radikalisieren würden.
Schon die Selbstbezeichnung als «Letzte Generation» verrät ein totalitäres Denken, das sich mit der auf Ausgleich angelegten Demokratie schlecht verträgt. Wenn die Politik nicht auf die Forderungen eingeht, stirbt die Menschheit aus. Sofort. Unausweichlich. Unwiderruflich. Ideologien der Alternativlosigkeit unterdrücken alle Zweifel und fördern den Fanatismus. Das macht sie gefährlich.
Die Erderwärmung ist eine gut belegte Tatsache, deren menschengemachte Ursache immer weniger Menschen infrage stellen. Doch selbst unbestreitbare Erkenntnisse produzieren politische Widersprüche. Werden diese nicht aufgelöst, münden sie in Heuchelei oder Frustrationen.
Einerseits
kommt eine Velofahrerin im Zusammenhang mit einem Klima-Protest zu
Tode. Anderseits subventionieren viele europäische Staaten den
Energieverbrauch von Privathaushalten und Unternehmen mit hohen Summen.
Die Regierungen sind sogar zufrieden, wenn mehr klimaschädliche Kohle
verfeuert wird, solange niemand friert.
Der Widerspruch zwischen so viel Pragmatismus und dem Anspruch der Klima-Bewegung auf rasche und totale Umkehr lässt einen frösteln. Der Sprengstoff ist unübersehbar.
Die Frage ist legitim, was mit den Aktivisten geschieht, wenn ihre Erwartungen enttäuscht werden. Noch bevölkern sie die Talkshows und scheinen davon überzeugt, dass die grosse Wende bald kommt. Was aber passiert, wenn die Läuterung der globalen Konsumgesellschaft Stückwerk bleibt? Löst sich die Bewegung dann auf und zieht sich ins Private zurück, oder sucht sie andere Wege?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen