Maues erstes Jahr
Viel vorzuweisen hat Giffey in ihrem ersten Amtsjahr nicht. Ihre als
zentraler Wahlkampfslogan formulierten „fünf B’s“ für die Hauptstadt
(Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernähe, Berlin in Sicherheit)
haben sich längst als Sprechblasen entpuppt, an der strukturellen
Dysfunktionalität Berlins hat sich wenig geändert. Dazu kommt, dass mit
dem ehemaligen Innen- und jetzigen Stadtentwicklungssenator Andreas
Geisel einer ihrer engsten Vertrauten eindeutig die politische
Verantwortung für das Wahldesaster trägt, aber daraus bislang keine
Konsequenzen ziehen will.
Dass Giffey die Wahl überhaupt gewinnen konnte, ist vor allem der Schwäche der konkurrierenden Parteien und deren blassem Führungspersonal geschuldet. Niemand konnte sich ernsthaft eine Bettina Jarasch (Grüne) oder einen Kai Wegner (CDU) an der Spitze der Landesregierung vorstellen. Doch jetzt regiert Giffey auf Abruf, auch wenn neue Gegenkandidaten bislang nicht in Sicht sind.
Ihre Regierungszeit begann mit einem Scheitern. Sie wollte eine Regierung unter Einbeziehung der FDP bilden, doch die Grünen und ihre eigene Partei ließen sie auflaufen. So blieb nur die von ihr eigentlich abgelehnte Neuauflage der „rot-rot-grünen“ Koalition. Giffey verschmerzte diesen Fehlstart, weil die Linke sich zunächst als äußerst pflegeleicht erwies. Der große linke Wahlkampfschlager – das erfolgreiche Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen – wurde von ihnen bereits zu Beginn der Koalitionsverhandlungen selbst entsorgt, um die ersehnte Regierungsbeteiligung nicht zu gefährden.
Giffey dürfte tief fallenDoch von Giffeys Ruf als zupackende, bürgernahe Kümmerin, der noch aus ihren Zeiten als Neuköllner Kommunalpolitikerin herrührt, ist letztlich wenig übrig geblieben. Der Wohnungsbau stockt, der Lehrermangel ist dramatisch wie eh und je, und vom großen Aufbruch in der Verwaltung ist auch wenig zu spüren.
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Nun also Wahlwiederholung, aber keine echte Neuwahl, denn die Kandidatenlisten bleiben unverändert. Dennoch kann es zu beträchtlichen Verschiebungen der Kräfteverhältnisse kommen. Ein taumelnder Senat trifft auf eine schwache Opposition, einzig die AfD kann bereits jetzt mit kräftigen Stimmenzuwächsen kalkulieren. Die SPD wird wohl erneut mit Giffey als Spitzenkandidatin antreten, weit und breit ist niemand sichtbar, der ihr das streitig machen könnte. Die Grünen hoffen, dass ihr Aufwärtstrend anhält, und sie werden wohl an Jarasch festhalten. In der CDU wird gemunkelt, dass man vielleicht Wegner durch einen prominenten Bundespolitiker als Spitzenkandidaten ersetzen könnte. Das wäre möglich, denn die Mitglieder der Landesregierung müssen in Berlin nicht dem Abgeordnetenhaus angehören. Die FDP dümpelt vor sich hin, und die Linke wird gewaltig abschmieren, denn mit ihrem Wendemanöver beim Volksentscheid dürfte sie sehr viele ihrer Wähler nachhaltig vergrätzt haben.
Die Chancen, dass Giffey nach der Wahlwiederholung weiterhin als Regierende Bürgermeisterin amtieren wird, sind eher gering. Die Zeichen stehen auf Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz, möglicherweise mit den Liberalen an Bord. Dass Giffey anschließend nochmals in der vorderen Reihe der operativen Politik auftauchen wird, ist unwahrscheinlich. Für den kometenhaften Aufstieg von der Bezirkspolitik ins Bundeskabinett und zum tiefen Fall braucht es manchmal eben nur ein paar Jahre.
Die Berliner Politik wird sich jetzt wieder in den Wahlkampfmodus begeben, auch innerhalb der Koalition. Das ist angesichts der multiplen Krisen, die derzeit nicht nur die Hauptstadt in ihren Grundfesten erschüttern, so ziemlich das Letzte, was Berlin jetzt bräuchte. Sondern eine ehrliche Bestandsaufnahme und einen wirklichen Neustart. Doch beides ist – egal ob mit oder ohne Franziska Giffey – nicht in Sicht.
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