Die Freiheit beginnt beim Ich
Revolutionär ist diese Diagnose freilich nicht. Seit Jahren wird in Deutschland über Wokeness gestritten. Derzeit besonders heftig in Zusammenhang mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampelregierung, wonach nicht mehr biologische Fakten bestimmen sollen, welches Geschlecht jemand hat, sondern Gefühle. Die sogenannte Critical-Race-Theorie, wonach jeder weiße Mensch auch rassistisch sei, gehört ebenso zum Weltbild woker Zeitgenossen, wie die „geschlechtergerechte“ Sprache – damit sich ja niemand diskriminiert fühlt.
Überhaupt geht es in dieser Bewegung viel um Gefühle, die wichtiger sein sollen als biologische Fakten, repräsentative Studien oder die tatsächliche Intention dahinter, wenn jemand ein Wort verwendet, das von Dritten als diskriminierend empfunden wird. Was genanntes Milieu gleichwohl nicht davon abhält, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung in homogene Gruppen einzuteilen, denen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Dass man Minderheiten dadurch nicht etwa empowered, wie es neudeutsch heißt, sondern in Opferrollen drängt, ist schon unangenehm genug.
Dass man sich dafür aber Logiken bedient, die gewisse Ähnlichkeiten mit rassistischen Denkmustern offenbaren, ist mindestens alarmierend. Und dass Identitätspolitik vielfach zur Basis politischen Handelns geworden ist – wie bei der Ampelregierung zu beobachten – kann eben sehr wohl als Gefahr für Freiheit und Demokratie gewertet werden. Denn Freiheit beginnt beim Ich, wie Anna Schneider von der Welt in ihrem gleichnamigen Buch richtigerweise schreibt, nicht beim Kollektiv – und schon gar nicht dort, wo Individuen nach zufälligen Merkmalen sortiert werden.
Die Empörungsspirale in Gang bringen
Wer vor allem gefühlig tickt, tut sich logischerweise schwer mit
sachlicher Kritik an seiner Person und seinem Blick auf die Welt. Die
nimmt man schnell persönlich – und reagiert entsprechend ungehalten. Die
Cancel Culture, ebenfalls leidenschaftlich vom woken Milieu praktiziert,
ist das beste Beispiel dafür. Dass sich in Berlin dann gleich eine
ganze Veranstaltung kritisch mit woken Ideen auseinandersetzte, wurde
entsprechend als Kampfansage gedeutet, nicht als richtiger und wichtiger
Bestandteil des demokratischen Diskurses, worum es sich eigentlich
handelt.
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Zwei Wege sind im woken Milieu gelernt, mit denen sich Empörungsspiralen in Gang setzen lassen: Entweder man verpasst der Veranstaltung und allen Teilnehmern schon vorab ein Etikett, „rechtes Netzwerk“ zum Beispiel, wie etwa von Trans-Aktivisten prophylaktisch gestreut in diesem Fall. Oder man forstet hinterher akribisch nach einzelnen Bildern (s. Tweet weiter unten) und Aussagen, die sich gut aus dem Kontext reißen lassen, um darauf ein für alle Beteiligten unangenehmes Narrativ zu bauen. Womit wir wieder bei der Grünen-Bundestagsabgeordneten Schönberger und ihrem Antisemitismus-Vorwurf wären.
Dieser hat in den sozialen Medien ordentlich Resonanz bekommen und wird zahlreich nachgeplappert. Woran aber macht Schönberger ihren Antisemitismus-Vorwurf eigentlich fest? Hat sich jemand antisemitisch geäußert? Gar gegen Juden gehetzt? Nichts davon: Schönbergers Antisemitismus-Vorwurf basiert einzig auf Assoziationen, die bei ihr geweckt wurden. Sie schrieb auf Twitter:
Bitte was? Die ehem. Bundesministerin Schröder spricht von einer „Minderheit“, die „im Besitz der kulturellen Produktionsmittel“ sei & Medien, Unis, NGOs kontrolliert? Auf der gleichen Bühne faselt Dieter Nuhr von einer „Machtvollen kleinen Elite“, die „versucht zu steuern“?
Nur eine Handvoll großer Verlage
Da sind sie wieder, die Gefühle. Frau Schönberger ist empört, ihre Filterblase ist es auch, und einmal mehr entzieht man sich mit Hilfe von Schnappatmung einer inhaltlichen Debatte. Wahrscheinlich, so lautet die These des Autors dieser Zeilen, da man ziemlich genau weiß, dass man den Kürzeren ziehen würde, wenn man auf Sachargumente angewiesen wäre. Wer empört ist, hat Recht, lautet im woken Milieu die Devise. Also gut, schauen wir uns das genauer an.
Gibt es eine Minderheit, die im Besitz der kulturellen Produktionsmittel ist? Und gibt es eine machtvolle kleine Elite im Land? Die Antwort auf beide Fragen lautet: ja. Nehmen wir den Journalismus als Beispiel. Wer heute zum Kiosk seines Vertrauens geht, wird zwar auf jede Menge Zeitungen, Magazine und Zeitschriften stoßen. Bei näherer Betrachtung sind es aber nur eine Handvoll Verlage, denen diese größtenteils gehören. Klammert man dann noch alle Presseerzeugnisse aus, die für die politische Meinungsbildung irrelevant sind, wird es erst recht überschaubar. Was dann relevanten Medien übrig bleibt, lässt sich an zwei Händen abzählen.
Man kennt sich halt
Bei den Bewegtbildmedien ist die Sache sogar noch weniger divers. Hier der alles dominierende öffentlich-rechtliche Rundfunk, dort zwei große deutsche TV-Konzerne namens ProSiebenSat.1 und RTL, die auch politische Berichterstattung machen. RTL nicht nur auf RTL, sondern auch mit seinem Sender n-tv. Die deutschen Medienkonzerne sind untereinander sogar eng verwoben. Schönes Beispiel: Bertelsmann. Dem Konzern gehört unter anderem die RTL Group, der Buchverlag Penguin Random House und der Verlag Gruner+Jahr, der den Stern herausgibt. Außerdem ist Bertelsmann am Spiegel-Verlag beteiligt. Hinzu kommen Investorengruppen von außerhalb wie KKR, die gleich mehrere Verlagsbeteiligungen halten oder hielten. Zum Beispiel an Axel Springer (Welt, Bild) und an ProSiebenSat.1.
Derlei muss man nicht verwerflich finden, aber abzustreiten, dass es in der deutschen Medienlandschaft solche Machtkonzentrationen gibt, wäre realitätsfern. Ebenso, wie abzustreiten, dass es eine gewisse Nähe zwischen Politik und Medien oder Medien und Wirtschaft oder Wirtschaft und Politik gibt, die bisweilen eher ungesund ist. Insbesondere für den Journalismus, der sich ja als Kontrollorgan für die Genannten begreift. Schauen Sie sich nur einmal an, welche Journalisten in den vergangenen Jahren Pressesprecher und Regierungssprecher geworden sind. Oder wie viele Politiker später in Vorstände und Aufsichtsräte großer Konzerne gewechselt sind. Man kennt sich halt.
Zig Schnittmengen und Querverbindungen
Überall in Deutschland, wo es um Macht und Einfluss geht, lassen sich zig Schnittmengen und Querverbindungen herausarbeiten. Nicht nur zwischen Politik, Wirtschaft und Medien, sondern auch von allen dreien zu NGOs. Beispiel gefällig? Noch in diesem Jahr will die Ampelkoalition das sogenannte Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen. Dabei dient „Demokratie“ nur als Schlagwort, um Interessengrüppchen und politische Vorfeldorganisationen linker Parteien auf Kosten der Allgemeinheit zu versorgen. Cicero hat dieser „fünften Gewalt“, also den mit staatlichen Mitteln gefütterten Nichtregierungsorganisationen, im September sogar eine ganze Titelgeschichte gewidmet.
Hier ein besonders prägnantes Beispiel, das noch sehr jung ist: Die Bundesregierung hat vor wenigen Tagen angekündigt, ab kommendem Jahr den Verein United4Rescue, der Teil der privaten Seenotrettung im Mittelmeer ist, die wiederum regelmäßig in der Kritik steht, das Geschäft der Schlepper anzukurbeln, mit zwei Millionen Euro jährlich zu unterstützen. Zu den Förderern von United4Rescue gehören bereits unter anderem die Evangelische Kirche und die Arbeiterwohlfahrt. Und Vorsitzender des Vereins ist ein gewisser Thies Gundlach – seit 2021 Lebensgefährte der Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt. Ein Schelm, wer da nicht nur an den Zufall glaubt.
Sprachrohr woker Ideen
Nun wäre freilich gesondert zu diskutieren, wie weit der woke Zeitgeist in all diesen Bereichen schon eingesickert ist. Inwiefern genannte Eliten sich also bereits dem Diktat der Identitätspolitik unterworfen haben; aus persönlicher Überzeugung oder reinem Opportunismus. Klar ist, dass wir derzeit von einer Koalition regiert werden, die Identitätspolitik macht. Klar ist, dass LGBTQ-Kampagnen von Konzernen massiv zugenommen haben. Klar ist, dass immer mehr Unternehmen anordnen, dass ihre Mitarbeiter gendern sollen. Klar ist weiter, dass die Befürchtungen lauter geworden sind, dass – infolge eines aus dem Ruder laufenden Aktivismus an den Hochschulen des Landes – die freie Lehre in Gefahr ist. Und klar ist auch, dass es zahlreiche Journalisten, Politiker und Unternehmer gibt, die zum Sprachrohr woker Ideen geworden sind. Dafür reicht ein Blick in die sozialen Medien.
Oder wie es in einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme der
Denkfabrik R21 heißt: „Eine Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die
Grünen hat auf Twitter gegen die Denkfabrik R21 und Gäste unserer Tagung
den Vorwurf des verschwörungstheoretischen Antisemitismus erhoben (...)
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie sehr die woke Linke die
Meinungsfreiheit (und andere Grundrechte) bedroht – dieser
Debattenverlauf liefert ihn.“ Das kann man durchaus so sehen. Vielleicht
muss man es sogar. Gerne würde man darüber mit dem woken Milieu
diskutieren. Aber das ist leider zu sehr mit der eigenen Schnappatmung
beschäftigt.
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