21 November 2022

Wissenschaft und Klimaproteste - „Die Evidenz ist nicht so eindeutig, wie man denkt“ (Cicero+)

Wissenschaft und Klimaproteste
 
„Die Evidenz ist nicht so eindeutig, wie man denkt“
Wenn Aktivisten sich auf die Wissenschaft berufen - und wenn Wissenschaftler zu Aktivisten werden -, dann haben sie ein falsches Wissenschaftsverständnis, sagt Hans von Storch. Im Cicero-Interview erklärt der renommierte Forscher, warum es auch in der Klimawissenschaft unterschiedliche Meinungen gibt und warum es besser wäre, sich an den unvermeidlichen Wandel anzupassen.
INTERVIEW MIT HANS VON STORCH am 16. November 2022
Hans von Storch ist einer der bedeutendsten deutschen Klimaforscher. Der ehemalige Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht war Professor an der Uni Hamburg, am Max-Planck-Institut für Meteorologie sowie an der Ocean University of China. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt Klimapolitik.
Herr von Storch, vor ein paar Tagen hat sich eine Gruppe von Klimaaktivisten, die sich selbst Science Rebellion nennt, am Berliner Flughafen angekettet, um so gegen die Emissionen im Luftverkehr zu demonstrieren. Nun sind Sie selbst Jahrgang 1949 und der rebellischen Phase vermutlich entwachsen. Aber würden Sie nicht auch sagen, dass der Ort der Wissenschaft in diesen Tagen der Protest ist?
Nein, ich finde, dass Wissenschaftler sich auf der Seite von Wissenschaft verorten sollten. Das heißt, sie sollten Wissen schaffen, das falsifizierbar und unabhängig davon ist, ob es der eigenen emotionalen Wahrheit dienlich ist.
Es ist ja auch schon im Zusammenhang mit der Corona-Krise viel über die Rolle von Wissenschaft gestritten worden. Hier wie dort hört man gerne den Satz „Follow the Science“. Können Sie mit einer solchen Aufforderung etwas anfangen?
Science, also Wissenschaft, ist ein Prozess, an dem viele Akteure beteiligt sind, die auch unterschiedliche Deutungen vortragen. Ein Teil dieser Deutungen ist robust, das heißt, er wird von fast allen geteilt, andere Teile sind es aber nicht. Man soll sich anhören, was die Wissenschaftler als Wissenschaftler zu sagen haben – und zwar auf dem Gebiet der Wissenschaft selbst und nicht auf Gebieten, auf denen sie selbst Laien sind.
Das würde aber zunächst bedeuten, dass Wissenschaftler auch wirklich die Chance haben, gehört zu werden – und das nicht nur in den Fachpublikationen, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit. Ist das derzeit gegeben?
Ich denke schon. Wissenschaftler werden medial sehr stark nachgefragt. Man würde sich nur einen offeneren Umgang mit dem gesamten Meinungsspektrum wünschen. Es gibt in Deutschland zum Beispiel besonders ein Institut, das stark und gerne von der Presse angefragt wird und das somit auch meinungsführend ist. Fast alle Journalisten meinen, dass das, was dieses Institut verkündet, die „Wahrheit“ sei. Dabei sind auch das ab und an auch nur gewagte Hypothesen. Im gegenwärtigen deutschen Journalismus wird eben gerne einer bestimmten politischen Linie gefolgt.
Schaut man sich die Berichterstattung rund um den jüngst zu Ende gegangenen Weltklimagipfel an, so hat man den Eindruck, dass ein neuer Alarmismus in die Medien zurückgekehrt ist. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel etwa hat jüngst die vor Jahrzehnten bereits gern gesehene Fotomontage vom überspülten Kölner Dom aufs Cover gebracht. Sie selbst haben derlei Hysterisierung immer scharf kritisiert. Ist diese energische Bildsprache mit zunehmender Zuspitzung der Klimakrise nicht vielleicht mittlerweile doch gerechtfertigt?
Das erwähnte Titelblatt vom Spiegel unterscheidet sich in einer ganz wesentlichen Weise von dem von mir einst kritisierten: Der Kölner Dom steht diesmal nämlich hinter einer Schutzmauer. Die Redaktion hat also reagiert und mit dem neuen Bild illustriert, dass wir auf jenen Teil des Klimawandels, den wir vielleicht nicht mehr einschränken können – und der kann ja durchaus beachtlich sein –, mit Anpassung reagieren müssen. Ich finde, das zeigt das Spiegel-Cover sogar ganz gut. Aber, wenn man Leute wie Antonio Guterres hört, der von einem „Highway to Hell“ redet, dann merkt man schon, dass aktuell die alarmistische Sprache wieder blüht und Zwischentöne nicht gerne gesehen sind.
Wie ist das denn innerhalb der Wissenschaft selbst? Wenn Sie früher etwa in der Kantine des Helmholtz-Instituts zum Lunch zusammensaßen, haben Sie dann gemeinsam Worst-Case-Szenarien besprochen?Ich bin heute ja zum Glück Rentner und muss nicht mehr in die Kantine gehen. Aber ich denke, der Small Talk hängt schon auch sehr von der Kultur des jeweiligen Hauses ab. Es gibt Institute, da mag das alarmistische Gerede eher zur Tagesordnung gehören als in anderen. Im vielen Häusern aber pflegt man eine gesunde Distanz, so wie diese ja eigentlich auch aus den Normen für gute wissenschaftliche Praxis hervorgehen sollte. Das, was dann am Ende in die Medien kommt, ist nicht unbedingt das, was in den einzelnen Häusern diskutiert wird. Es ist also nicht so, dass die Klimaforschung vollständig zum Aktivismus übergelaufen wäre.

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Und doch: Wissenschaft agiert nie in einem luftleeren Raum. Muss man nicht auch bei der Klimaforschung zuweilen gucken, in welchem Kontext sie sich bewegt? Woher kommen etwa Fördergelder? Und wie nah ist man an der Politik?

Die Klimawissenschaft befindet sich in einer postnormalen Phase. Signifikante Teile des Wissens sind unsicher – nicht, weil die Wissenschaftler „zu blöd“ sind, sondern weil Evidenz nicht so eindeutig ist, wie man denkt. Wie schnell etwa wird der Meeresspiegel steigen? Das ist noch immer eine strittige wie hochinteressante wissenschaftliche Frage. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir das wirklich beantworten können. In 20 Jahren werden wir da deutlich mehr wissen; einfach, weil wir auch 20 Jahre länger Gelegenheit gehabt haben werden, neue Daten zu sammeln und auszuwerten.

Reden wir einmal über diese Daten: Jennifer Morgan, die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt für Klimaangelegenheiten, sprach jüngst in einem Interview davon, dass das 1,5-Grad-Ziel vermutlich nicht mehr zu halten sein wird. Ähnliches sagt auch das UN-Umweltprogramm. Andere sehen längst das 2-Grad-Ziel in Gefahr. Sie selbst haben sich als Wissenschaftler ausgiebig mit Modellen beschäftigt, auf denen derlei Prognosen fußen. Wie gut sind die Modelle?

Das Problem sind nicht die Modelle. Die haben sich gar nicht wesentlich verändert. Es kommt aber darauf an, was ich in die Modelle hineingebe, hier also: welche CO2-Emissionen. Abgesehen davon würde ich sagen, dass das 2-Grad-Ziel die ganze Zeit bereits kritisch war; und 1,5-Grad war für mich von Anfang an gar nicht zu erreichen. Wenn Frau Baerbock jetzt sagt, wir laufen auf eine Klimakatastrophe von 2,5 Grad zu, würde ich entgegnen, dass 2,5 Grad ein großartiger Erfolg wäre. Schon dass wir über solche Zahlen und nicht über deutlich höhere Zahlen reden, ist ein Erfolg. Wir haben also schon erhebliche Fortschritte gemacht.

Es gibt in der Wissenschaft – und somit sicherlich auch in der Klimawissenschaft – ja immer Dinge, die man in seine Modelle möglicherweise nicht mit einbezogen hat, weil man sie noch gar nicht kennt. Das sind die berühmten „Unknown Unknowns“. Können Sie sich so etwas auch für die aktuellen Klimamodelle vorstellen?

Als Wissenschaftler müssen wir immer gewärtig sein, dass sich Dinge in eine Richtung entwickeln, die wir nicht erwartet hatten. Das gehört einfach zur Wissenschaft mit dazu. Das ist anders als in der katholischen Kirche. Wir verkündigen keine ewigen Wahrheiten. Denken sie an den schönen Fall, wo Physiker am Ende des 19. Jahrhunderts gesagt haben, dass die Physik ausgeforscht sei. Und dann kamen plötzlich so Überraschungen wie die Quantenphysik und die Kernspaltung. Wir müssen also immer mit Überraschungen rechnen. Aber momentan ist nicht zu erwarten, dass jemand eine Tür aufmacht und dahinter riesige Überraschungen zum Vorschein kommen.

Wenn wir, wie Sie eben formulierten, schon froh sein können, wenn wir am Ende auf eine Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperatur von 2,5 Grad kommen, müssen wir uns dann nicht auch fragen, ob wir nicht in Teilen das falsche Ziel verfolgen? Sollten wir nicht mehr Energie auf die Frage verwenden, wie wir präventiv die Auswirkungen der Erderwärmung eindämmen können?

Das ist eine politische Einschätzung. Persönlich würde ich aber sagen, dass die Hauptaufgabe darin bestehen sollte, die Emissionen runterzubringen. Je weniger Emissionen, umso weniger muss ich mich anpassen. Doch auch wenn wir in Zukunft sehr erfolgreich sein sollten bei der Verminderung der Emissionen, so müssen wir uns dennoch an den bereits eingetretenen Klimawandel anpassen. Es muss also beides gemacht werden. Nur zu sagen, die Minderung bringt es – so macht es ja noch immer der Mainstream in Deutschland –, ist sicherlich zu kurz gegriffen. Ich war zum Beispiel gerade bei Deichleuten am Niederrhein. Da plant man bereits ganz anders und denkt offen über die Hochwasserschutzstrategie nach und fordert seit Langem eine Instandsetzung und Modernisierung der Deiche.

Gerade gab es eine Umfrage im Auftrag des ZDF-Politbarometers, nach der 77 Prozent der Bundesbürger der Meinung sind, dass der Klimawandel ohnehin nicht mehr effektiv bekämpft werden könne. Kann man aus wissenschaftlicher Sicht sagen, dass es für die Hoffnung der restlichen 23 Prozent noch stichhaltige Argumente gibt?

Das ist eine Frage, was man genau unter „effektiver Bekämpfung“ versteht. Ich glaube schon, dass wir den Klimawandel beschränken können. Bei welcher Grad-Zahl wir dann genau rauskommen, das weiß ich nicht. Ich hoffe, sie ist möglichst klein. Bis dahin sollten wir übrigens vermeiden, anderen Ländern zu sagen, was sie tun sollen. Die wissen nämlich eigentlich ganz gut selbst, was für sie gut ist. Das Moralisieren finde ich schädlich. Das hilft uns wirklich nicht weiter.  

Das Gespräch führte Ralf Hanselle.

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