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Und doch: Wissenschaft agiert nie in einem luftleeren Raum. Muss man nicht auch bei der Klimaforschung zuweilen gucken, in welchem Kontext sie sich bewegt? Woher kommen etwa Fördergelder? Und wie nah ist man an der Politik?
Die Klimawissenschaft befindet sich in einer postnormalen Phase. Signifikante Teile des Wissens sind unsicher – nicht, weil die Wissenschaftler „zu blöd“ sind, sondern weil Evidenz nicht so eindeutig ist, wie man denkt. Wie schnell etwa wird der Meeresspiegel steigen? Das ist noch immer eine strittige wie hochinteressante wissenschaftliche Frage. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir das wirklich beantworten können. In 20 Jahren werden wir da deutlich mehr wissen; einfach, weil wir auch 20 Jahre länger Gelegenheit gehabt haben werden, neue Daten zu sammeln und auszuwerten.
Reden wir einmal über diese Daten: Jennifer Morgan, die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt
für Klimaangelegenheiten, sprach jüngst in einem Interview davon, dass
das 1,5-Grad-Ziel vermutlich nicht mehr zu halten sein wird. Ähnliches
sagt auch das UN-Umweltprogramm. Andere sehen längst das 2-Grad-Ziel in
Gefahr. Sie selbst haben sich als Wissenschaftler ausgiebig mit Modellen
beschäftigt, auf denen derlei Prognosen fußen. Wie gut sind die
Modelle?
Das Problem sind nicht die Modelle. Die haben sich gar nicht wesentlich verändert. Es kommt aber darauf an, was ich in die Modelle hineingebe, hier also: welche CO2-Emissionen. Abgesehen davon würde ich sagen, dass das 2-Grad-Ziel die ganze Zeit bereits kritisch war; und 1,5-Grad war für mich von Anfang an gar nicht zu erreichen. Wenn Frau Baerbock jetzt sagt, wir laufen auf eine Klimakatastrophe von 2,5 Grad zu, würde ich entgegnen, dass 2,5 Grad ein großartiger Erfolg wäre. Schon dass wir über solche Zahlen und nicht über deutlich höhere Zahlen reden, ist ein Erfolg. Wir haben also schon erhebliche Fortschritte gemacht.
Es gibt in der Wissenschaft – und somit sicherlich auch in der Klimawissenschaft – ja immer Dinge, die man in seine Modelle möglicherweise nicht mit einbezogen hat, weil man sie noch gar nicht kennt. Das sind die berühmten „Unknown Unknowns“. Können Sie sich so etwas auch für die aktuellen Klimamodelle vorstellen?
Als Wissenschaftler müssen wir immer gewärtig sein, dass sich Dinge in eine Richtung entwickeln, die wir nicht erwartet hatten. Das gehört einfach zur Wissenschaft mit dazu. Das ist anders als in der katholischen Kirche. Wir verkündigen keine ewigen Wahrheiten. Denken sie an den schönen Fall, wo Physiker am Ende des 19. Jahrhunderts gesagt haben, dass die Physik ausgeforscht sei. Und dann kamen plötzlich so Überraschungen wie die Quantenphysik und die Kernspaltung. Wir müssen also immer mit Überraschungen rechnen. Aber momentan ist nicht zu erwarten, dass jemand eine Tür aufmacht und dahinter riesige Überraschungen zum Vorschein kommen.
Wenn wir, wie Sie eben formulierten, schon froh sein können, wenn wir am Ende auf eine Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperatur von 2,5 Grad kommen, müssen wir uns dann nicht auch fragen, ob wir nicht in Teilen das falsche Ziel verfolgen? Sollten wir nicht mehr Energie auf die Frage verwenden, wie wir präventiv die Auswirkungen der Erderwärmung eindämmen können?
Das ist eine politische Einschätzung. Persönlich würde ich aber sagen, dass die Hauptaufgabe darin bestehen sollte, die Emissionen runterzubringen. Je weniger Emissionen, umso weniger muss ich mich anpassen. Doch auch wenn wir in Zukunft sehr erfolgreich sein sollten bei der Verminderung der Emissionen, so müssen wir uns dennoch an den bereits eingetretenen Klimawandel anpassen. Es muss also beides gemacht werden. Nur zu sagen, die Minderung bringt es – so macht es ja noch immer der Mainstream in Deutschland –, ist sicherlich zu kurz gegriffen. Ich war zum Beispiel gerade bei Deichleuten am Niederrhein. Da plant man bereits ganz anders und denkt offen über die Hochwasserschutzstrategie nach und fordert seit Langem eine Instandsetzung und Modernisierung der Deiche.
Gerade gab es eine Umfrage im Auftrag des ZDF-Politbarometers, nach der 77 Prozent der Bundesbürger der Meinung sind, dass der Klimawandel ohnehin nicht mehr effektiv bekämpft werden könne. Kann man aus wissenschaftlicher Sicht sagen, dass es für die Hoffnung der restlichen 23 Prozent noch stichhaltige Argumente gibt?
Das ist eine Frage, was man genau unter „effektiver Bekämpfung“ versteht. Ich glaube schon, dass wir den Klimawandel beschränken können. Bei welcher Grad-Zahl wir dann genau rauskommen, das weiß ich nicht. Ich hoffe, sie ist möglichst klein. Bis dahin sollten wir übrigens vermeiden, anderen Ländern zu sagen, was sie tun sollen. Die wissen nämlich eigentlich ganz gut selbst, was für sie gut ist. Das Moralisieren finde ich schädlich. Das hilft uns wirklich nicht weiter.
Das Gespräch führte Ralf Hanselle.
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