12 November 2022

Analyse von Ulrich Reitz - Was hält uns zusammen? Nuhrs Antwort ("Nix") ist eine schallende Ohrfeige für die ARD (Focus-Online)

Analyse von Ulrich Reitz -
Was hält uns zusammen? Nuhrs Antwort ("Nix") ist eine schallende Ohrfeige für die ARD (Focus-Online)
Donnerstag, 10.11.2022 (Hier die Sendung)
Die ARD sucht eine ganze Woche und etliche Sendungen lang danach, was uns zusammenhält. Der Kabarettist Dieter Nuhr gibt dazu im Ersten Programm seine ganz eigene Antwort: „Nichts.“ Stimmt das wirklich?
Es ist ein Motto, angesiedelt in der politisch korrekten Tiefebene zwischen Kirchentag und Bundespräsident. „Wir gesucht – was hält uns zusammen?“ Da verwundert es nicht, wenn Deutschlands größter Spötter am Ende seiner Suche jene Frage, die die ARD aktuell in einer Themenwoche beantworten will, so beschert: „Nix!“
Nichts hält uns zusammen, und das ist auch gut so, sagt Dieter Nuhr, der sich so liebevoll wie zornig, auf alle Fälle so gründlich wie das in 45 Minuten möglich ist, dieses Themas angenommen hat.
Hält uns etwa der Staat zusammen? Oder die Religion? Unsere Familie? Nicht mal die, sagt Nuhr. Und: „Das ist nicht schlimm.“ Wie bitte?
„Ich habe mich gewundert“, sagt Nuhr
Der Versuch, Dieter Nuhr politisch zu schubladisieren, geht gründlich daneben. Am nächsten kommt man ihm, wenn man sich den inzwischen sehr weit um den Globus gereisten (Foto-)Künstler als polyglotten Liberalen vorstellt.
Also als Vertreter einer Minderheit – und selbst diese Kategorisierung würde Nuhr noch ablehnen. Jegliche Kollektivismen sind ihm zuwider, wir erzählen gleich davon.
Zunächst aber: Die Art, wie Nuhr an dieser Themenwoche des Senders teilnimmt, für den er arbeitet, ist eine einzige schallende Ohrfeige. Wenn „nix“ diese Gesellschaft zusammenhält, was soll dann überhaupt die Frage, die das Erste Fernseh-Programm mit diesen etlichen Sendungen zum Thema beantworten will. „Ich habe mich gewundert“, sagt Nuhr.
Nuhr ätzt: „Wir haben Rechte, Linke, Säugetiere“
Nach 42 Minuten fasst er zusammen, worum es ihm geht, in einer Art gesprochenem Leitartikel. Das große „Wir“, Nuhr dementiert es rundheraus: „Wir leben einfach nebeneinander her.“ „84 Millionen Parallelgesellschaften.“
In einem gespaltenen Staat, wie es in so vielen Kommentaren der Öffentlich-Rechtlichen gerade heißt? Nuhr hält spitz dagegen: „Nur ein gleichgeschalteter Staat ist nicht gespalten.“ Aber muss man nach dem „Wir“ denn nicht suchen?
„Es gibt schon viel zu viele Kollektive.“ Nuhr ätzt: „Wir haben Rechte, Linke, Säugetiere.“ Und: „Ausländer, Inländer, Sauerländer.“ Und: „Spätgebärende, Frührentner. Jungspießer.“ Ständig wird man Kollektiven zugeordnet.
„Ich will da nicht hin.“ Individuum sein, kein Gruppenwesen. „Von der identitären Linken über die völkische Kameradschaft bis zur fundamentalistischen Religionsgemeinschaft gilt: Es wird im Gleichschritt marschiert.“
Ausgrenzung ist das Ziel, weshalb Nuhr sich dem „Wir“ entzieht
Keiner könne mehr tun, was anderen nicht gefällt. Und wenn doch, dann kommt der Pranger, gern in „sozialen“ Medien, den Empörungs-Resonanzräumen. „Die Gesellschaft ist bereits stramm kollektiviert.“
Von der ersten Minute seines neuen Auftritts an zerstört Nuhr das Prinzip der Gruppenzugehörigkeit, zum Beispiel seine eigene als alter weißer Mann. Der „alte weiße Mann“, das ist jene feministische Erzählung, mit der eine ganze Gruppe aus dem Diskurs „gecancelt“ werden soll.
Nuhr, 62 Jahre alt, hält Pointen-stark dagegen: „Ich fühle mich wohl als alter weißer Mann und sollte ich mich nicht mehr wohlfühlen, dann werde ich eine Frau.“
Punktgenauer kann man den aktuellen Diskurs über das biologische gegen das soziale Geschlecht nicht entlarven, mit dem die Welt in grün-modern und vormodern-reaktionär gespalten werden soll. Ausgrenzung ist das Ziel, weshalb Nuhr sich dem „Wir“ entzieht.
Des Liberalen Nuhr größter Gegner ist der starke Staat
„Ich frage mich nicht, was hält uns zusammen, sondern: wieviel Abweichung ist heute noch erlaubt?“ Des Liberalen Nuhr größter Gegner ist der starke Staat, der verordnen will, wie gedacht und gelebt werden soll.
Wie beim „Impfzwang“. Wobei die „Impfgegner“ dem Kabarettisten gleichermaßen querkommen. Denen gehe es nicht um die Meinungsfreiheit, sondern „im Wesentlichen um die Freiheit der eigenen Meinung“.
Zwischen Impfgegnern und Zwangsimpfern, das ist die Botschaft von Nuhr, muss das Individuum die eigene bedrohte Freiheit behaupten.
Was soll das denn bitte für ein „Wir“ sein, wenn Rassisten wie Antirassisten einzig die Überzeugung zusammenhält, „die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben“. Die schonungslose Konsequenz, auch dies ist eine Botschaft an die „woke“ Fraktion in der ARD – oder ist es die ARD insgesamt? „Toleranz ist es nicht, was uns gerade vereint.“
Hält denn das Geld die Gesellschaft zusammen?
Und die Zusammenarbeit im Teams, beim Arbeitgeber? Und die Familie, als Keimzelle der Gesellschaft – ist es nicht das bewährte „Wir“? Teamarbeit lähmt die Leistungsfähigkeit des Einzelnen, sagt Nuhr, und verweist auf die ersten soziologischen Experimente dazu.
Sie stammen aus dem Jahr 1882 und belegen Nuhrs These. Firmen sollten darüber einmal nachdenken. Jenseits von Studien kommt Nuhr mit dem familiären Alltag:
Jemand, der alleine wohnt, bringt den Müll raus. In der Familie – einem Team – wird dagegen erst einmal diskutiert: wer bringt den Müll raus? Die Kinder sagen: „Gleich“, oder: „Sofort“ – also: nie. Am Ende bringt das älteste weibliche Mitglied der Familie den Müll raus. Wer hätte so etwas noch nicht erlebt?
Hält denn das Geld die Gesellschaft zusammen – der Wohlstand? Wohl kaum. Der Staat garantiert: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Bildung und ärztliche Versorgung für alle – „und trotzdem rufen alle: es gibt zu wenig Gemeinsinn“ – wie kann das sein?
Der Staat „hatte noch nie soviel Geld wie heute“, und trotzdem rufen alle – nein, nur alle Sozialdemokraten und Grünen, was Nuhr nicht sagt – nach mehr Geld für den Staat.
Wie viele Studien über „Over-Protecting“ gibt es eigentlich?
Der erhöht gerade in dieser Woche das Bürgergeld, wenn der Bundestag es denn morgen entscheidet und der Bundesrat dem zustimmt. Wer will überhaupt noch arbeiten, wenn es dazu nun grundsätzlich neue Ansichten gibt.
Nuhr über den anti-marktwirtschaftlichen Zeitgeist: „Erwirtschaften gilt bei uns als gierig, Verteilen als sozial.“ Was soll man machen, wenn schon die Kinder lernen, „dass das Wir für das Ich zuständig ist“?
Dass sie nicht mehr selbst laufen müssen, sondern dass ihre Eltern sie zuerst getragen und heute dann mit Lastenfahrrädern in Anhängern herumfahren, die Kinder. Liegend – wie die Adligen früher.
„So fahr er zu.“ Wie viele Studien und Essays zum Thema „Over-Protecting“ von Kindern durch „Helikoptereltern“ gibt es inzwischen eigentlich?
Nuhr ist mehr als ein zeitdiagnostischer Spaßmacher
Nuhr ist viel mehr als der zeitdiagnostische Spaßmacher, der er behauptet zu sein. Er ist vielmehr ein Freiheitskämpfer, was die wütenden Kommentare erklärt, mit denen er regelmäßig bedacht wird, von Linken wie Rechten, letztere beschimpfen ihn gerne als „Staatsfunk-Hure“.
Nuhr hält die Anfeindungen aus, seit Jahren schon.
Das gehört sich auch so für einen wie ihn, der ein Millionenpublikum hat, dem wohl regelmäßig mehr Leute der Kategorie „ganz normal“ zuhören, als sagen wir: dem SPD-Vorsitzenden. Wer austeilt wie er, der sollte schon auch einstecken können. Für Nuhr: kein Problem.

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