Aufstand gegen die Unfähigen und Ahnungslosen
„Das Signal dieser Personalentscheidung ist verheerend! Wer etwas wagt, seine Meinung konsequent äußert und sich einsetzt für den Hessischen Rundfunk und seine größte Marke hessenschau, der wird abserviert.“ (Auszug aus einem von 107 Mitarbeitern am 10. November 2022 verfassten und unterschriebenen Protestbrief an den Intendanten des Hessischen Rundfunks Florian Hager und seine Geschäftsleitung.)
Anlass des Aufschreis, dem sich innerhalb weniger Stunden selbst als brav und geduldig bekannte Kolleginnen und Kollegen anschlossen, war die überraschende und sofortige Suspendierung eines Mitglieds der Leitung des „Programmbereichs Hesseninformation“ durch Direktorin Holzner. Es traf jene Frau, die die Verfasser des wütenden Protestschreibens als letzte verbliebene Journalistin dort betrachten in einem sonst als inkompetent, überfordert, unsichtbar und unnahbar verrufenen und grotesk aufgeblasenen Führungszirkel namens „F1“.
Jener „F1“ wird auf ausdrücklichen Wunsch von Holzner seit 2021 von der externen Marketingexpertin Dr. Dorothea Varlam geleitet, die sich auskennt im Vertrieb von Ferrero-Küsschen und Heinz-Ketchup, von Journalismus und Fernsehen und Video und dem gemeinen Hessen, aber ausweislich ihrer Vita und nach empirisch untermauerter Überzeugung der HR-Belegschaft keine Ahnung hat.
Achtsamkeit im täglichen Doing
Im Cicero auf Nachfrage von der Pressestelle zur Verfügung gestellten HR-Organigramm genießt Varlam gleichwohl neuerdings eine offizielle und sogar hervorgehobene programmliche Position. Zugleich betreibt sie als freiberufliche Beraterin mit dem Schwerpunkt Marketing/Vertrieb und Digitale Transformation weiter ihre eigene Consulting-Firma www.varlamconsulting.com und tritt auf YouTube mit einem „Copetri Circle Talk“ auch unverändert aktuell an prominenter Stelle für eine Copetri GmbH auf.
Deren Mitglieder „brennen für gute Kommunikation und Achtsamkeit im täglichen Doing“ und möchten dieses Feuer an interessierte Unternehmen verkaufen: „Seid mit uns gespannt auf erste Ergebnisse, Konzepte, Frameworks und Tools rund um die Fokusthemen Nachhaltigkeit, Ambidextrie, Fehlerkultur/Lernkultur und Futureproven“ (Werbung für Meeting vom 7. Oktober 2022 in Frankfurt am Main). Achtsamkeit, Diversity sowie – natürlich – Warnung vor rechtspopulistischen Tendenzen und Rassismus gehören zu den grundlegenden Skills dieses gewerblichen Netzwerkes.
Dass opportunistisch-wokes Verkaufsgelaber nur begrenzt kompatibel ist mit einer Wuchtbrumme, die Journalismus von der Pike auf gelernt hat, sich in Hessen, im Sender und bei dessen Zuschauern auskennt wie wenige andere und eher die nächste Sendung im Blick hat, die es möglichst anständig und überzeugend zu bestücken gilt, als Diversity und Achtsamkeit und vorwurfsfreie Kommunikation, war Beobachtern schon lange klar. Nina Pater ist der Prototyp der Frau, die auf Quoten und Förderpläne nie angewiesen war. Ausgerechnet sie jetzt abserviert zu sehen, kaltgestellt auf eine neue, für sie – wie soeben vom Sender gemeldet wurde – zum Februar zu schaffende Coaching-Funktion ohne operative Befugnisse, bezeichnen die Verfasser des Protestschreibens als „unbegreiflich“.
Bestrafung der Unschuldigen
Pater habe aus einer reinen Fernsehredaktion ein multimediales Redaktionsteam geformt, Experimente gewagt, Kurskorrekturen vorgenommen, neue digitale Formate entwickelt – auch gegen Widerstände aus der eigenen Redaktion. Sie sei durchsetzungsfähig mit einem klaren Kurs und bereit, Argumente zu hören und Ideen aufzunehmen und diese auch zu verwerfen, wenn es bessere Vorschläge gebe. Und dafür werde sie nun von einer chronisch überforderten Direktorin demonstrativ bestraft?
Tatsächlich läuft es beim HR, glaubt man dem Protestschreiben mit Kopie an Personalrat, Rundfunkrat und Verwaltungsrat, wie im Büro-Spott aus den 70er-Jahren über die sechs Phasen eines Projektes: 1. Begeisterung 2. Verwirrung 3. Beseitigung der Spuren 4. Suche nach Verantwortlichen 5. Bestrafung der Unschuldigen 6. Auszeichnung der Nichtbeteiligten.
Wörtlich: „Unser Vertrauen in das F1-Führungsteam der Hessen-Unit und auch in die Geschäftsleitung wurde durch diese Personalentscheidung massiv beschädigt. Warum ist es der Interimsmanagerin Dorothea Varlam nach über einem Jahr nicht gelungen, ein konstruktiv zusammenarbeitendes Führungsteam zu formen? Warum wurde nicht das gesamte F1-Führungsteam von seinen Aufgaben entbunden, wenn die Geschäftsleitung unzufrieden ist mit der Aufstellung der Hessen-Unit?“
Was hat, diese Kernfrage schwebt über der ganzen Geschichte, unsere überaus engagierte Kollegin eigentlich verkehrt gemacht? Warum ist niemand in der Hierarchie in der Lage, wenigstens das klipp und klar zu benennen? Nun ja, erwidert auf Anfrage HR-Sprecher Christoph Hammerschmidt, „Veränderungsprozesse passieren halt, und dass diese auch Emotionen hervorrufen, ist doch ganz natürlich“. Der „Aufgabenzuschnitt“ habe nicht gepasst, sondern „die übergreifende und gemeinsame Entwicklung der Hessen-Unit als Team behindert“.
Hammerschmidt zum konkreten Fall im HR: „Das Führungsteam sah sich in der bestehenden Konstellation nicht mehr handlungsfähig, deshalb musste eine Entscheidung getroffen werden.“ Dass die Kommunikation „nicht gut gelaufen“ sei, räume Holzner ja mittlerweile selbst ein, sagt Hammerschmidt. Das ändere aber nichts an der Notwendigkeit, Konsequenzen zu ziehen. In den soeben nach einigem Zögern veröffentlichten neuen Compliance-Richtlinien der ARD heißt es: „Fehlverhalten wird fair, konsistent und transparent sanktioniert, unabhängig von der betroffenen Hierarchiestufe.“ Nun ja, hier eher nicht.
Neuer Job: Profilschärferin
Nina Pater soll nun also „Managerin für medienübergreifenden Journalismus im Hessischen Rundfunk“ werden, so der Pressesprecher, und ab Februar „das öffentlich-rechtliche Profil des Hessischen Rundfunks schärfen, neue journalistische Angebote entwickeln und diese in und für Hessen positionieren“, als „Ansprechpartnerin für das journalistische Profil des HR, nach innen wie nach außen“. Damit werde „die erfahrene Journalistin eine wichtige Rolle einnehmen“ und direkt an Programmdirektorin Gabriele Holzner berichten.
Das ist, als installierte man in einer Schraubenfabrik einen Vorstand für größenübergreifende Gewindesteigungen oder in einer Klinik einen Oberarzt als vertrauenswürdigen Ansprechpartner für hygienisch unbedenklichen Verbandswechsel. Ein öffentlich-rechtlicher Sender, der seinen journalistischen Ehrgeiz, seine Standards nicht in jedem einzelnen Mitarbeiter, jedem einzelnen Beitrag lebt und repräsentiert, dessen Belegschaft ihr Verständnis von Journalismus nicht in der DNA mit sich herumträgt, sondern dafür neuerdings eine Profilschärferin braucht, der ist verloren.
Als Kritiker stummgeschaltet
Cleverer Schachzug vielleicht, heißt es nicht ohne Sorge dazu in der Belegschaft. Zu melden habe auch Pater fortan also nichts mehr. Damit teile sie das Schicksal früherer Leistungsträger und Planstelleninhaber wie Ex-„hessenschau“-Chef Frank Böhm („Formatentwicklung“), Frank Statzner („Wellenübergreifende Sonderprojekte“), Martin Lauer („Crossmedialer Manager“) oder Anke Groß und Daniel Murrmann („Referent*innen für Veränderungsprozesse“) – mit schönen, eigens für sie erfundenen Titeln ausgestattet, aber direkt der Direktorin untergeordnet und damit de facto als potentielle Kritiker, Korrektoren und Konkurrenten stummgeschaltet und meist ohne nennenswerten Einfluss auf das operative Tagesgeschäft. Oder wie Gabriele Holzner es – garantiert nicht ironisch gemeint – ausdrückt: „Wie gewährleisten wir Meinungsvielfalt und wie gestalten wir Dialog? Nina Pater kann hier ihre ganze Expertise einbringen und den so wichtigen Diskurs mit den Programm-Macher*innen moderieren.“
„Was ist mein Anteil daran?“
Im übrigen findet Holzner Bewegung im Personaltableau ganz erstrebenswert. „Bin ich jetzt eine schlechte Führungskraft“, fragte sie kürzlich auf LinkedIn, „weil Mitarbeitende auch mal kündigen und das Unternehmen verlassen? Das frage ich mich ganz ehrlich jedes Mal, wenn jemand geht: Was ist mein Anteil daran?“ Andererseits: „Ein Berufsleben lang dasselbe Unternehmen ist ja noch kein Wert an sich!“ Heißt: Reisende soll man nicht aufhalten. Wem es nicht passt, kann gerne gehen. Die HR-Programmdirektorin spielt mit ihrem Post auf die Tatsache an, dass während ihrer bisherigen Amtszeit eine ganze Reihe von sehr fähigen Journalisten den Sender verlassen haben und weitere auf dem Absprung sind – früher eine absolute Seltenheit.
Selbst Jörg Rheinländer, mental und auch sonst solide gebaut, hielt es nach seiner Rückkehr aus Madrid als Hessen-Chef nur kurz im Funkhaus am Dornbusch aus und flüchtete, wie es im Flurfunk heißt, auf dem Höhepunkt seines Erfahrungsschatzes und seiner Schaffenskraft bei erstbester Gelegenheit letztes Jahr in den vorzeitigen Ruhestand. Jüngere, hoffnungsvolle Talente brachten sich bei der IHK Wiesbaden in Sicherheit oder retteten sich nach Mainz zum Südwestrundfunk.
Manfred Krupps schweres Erbe
Intendant Manfred Krupp hat seinem Nachfolger Florian Hager einen derart undurchsichtigen Verhau an Leitungsstrukturen, Neben- und Unterkästchen und Kompetenzen hinterlassen, besetzt mit überfordertem und inkompetentem Personal, der jede Kreativität erstickt und jede zielführende Auseinandersetzung um Themen und ihre Umsetzung im Keim erstickt.
„Unser Sender wurde zum biederen Mittelmaß heruntergecoacht“, sagt einer, der ebenfalls schon mehrmals fast weg war, mit Rücksicht auf die Familie bisher aber blieb. „Unsere Vorgesetzten lassen sich zu Tode beraten. Das kostet Millionen.“ Manche aus dem Führungsteam F1 kenne man überhaupt nicht. „Die sieht man nie, die hört man nie, die hocken zuhause im Homeoffice und sind für niemanden erreichbar und ansprechbar. Die sitzen sich zu siebt irgendwo den Hintern platt, sind für das Programm aber völlig irrelevant.“
Soweit Verantwortlichkeiten delegiert werden, „soll die Person erkennbar sein, welche mit der Ausübung der Verantwortlichkeit beauftragt ist“, verlangt der neue Compliance-Standard der ARD von seinen Sendern. Im HR ist das offensichtlich nicht einmal mehr ansatzweise der Fall. „Viele Häuptlinge, kaum noch Indianer.“
Alle respektvoll, alle achtsam
Eine Kommunikationsdesignerin wie Verena Bruckmann als Chefin einer Hessen-Redaktion („Managerin Strategie Programmbereich Hesseninformation“) betrachten erfahrene Journalisten als schlechten Witz und Zumutung. Oder Social-Media-Experten mit fünf Jahren Berufserfahrung. „Wie soll man mit solchen Ahnungslosen über die fernseh- oder radiogerechte Umsetzung eines schwierigen Themas reden? Illusorisch. Probieren wir schon gar nicht mehr.“ Aber: „Alle sind respektvoll, alle sind achtsam. Diese ganze Seminar-Scheiße. Gleichzeitig: Immer mehr Hierarchie, immer mehr Führungsposten. Erwachsene über 35 haben keine Chance mehr. Denn wir müssen uns unbedingt verjüngen. Diese Falschheit verachte ich inzwischen regelrecht.“
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Konferiert und gegendert bis zum Abwinken
Der Vorgang Pater wirft somit auch ein weiteres Schlaglicht auf die Art und Weise, wie bedenkenlos und verschwenderisch auch im Hessischen Rundfunk mit Geld und Manpower umgegangen wird. Der Großteil der einst eigentlich für die Herstellung von Inhalten – Radio, Fernsehen, Online – eingestellten Frauen und Männer vergeudet seine Arbeitszeit mehr denn je in Konferenzen, Seminaren, Workshops und Arbeitsgruppen aller Art und verwaltet sich gegenseitig. Es wird erbarmungslos von morgens bis abends gecoacht, abgestimmt, konferiert, gewertschätzt, diversitygemanagt, gegendert (Holzner vorbildlich: „Hess*innen“) und palavert. Teure Verträge – so eine unbestätigte Information aus zweiter Hand – seien zudem erst kürzlich zum Entsetzen des freien und fest-freien Personals entfristet worden. Gleichzeitig schreiben sich die ARD-Intendanten unter dem 25. November 2022 ins Stammbuch: „Wir gehen verantwortungsbewusst, wirtschaftlich und sparsam mit Beitragsmitteln um.“ Nein, das tun sie nicht.
Unterschrieben hat das Compliance-Papier auch der neue Intendant Florian Hager. Doch in Frankfurt am Main, so eine mehrheitsfähige Überzeugung im verbliebenen kreativen Teil des Senders, fand er einen gordischen Knoten vor, mit dem die Ereignisse und das daraus bestenfalls resultierende Programm gar nicht mehr beherrschbar sind. Eine mittlerweile komplett unbrauchbare Führungsstruktur, eine Black Box, in die 24 Stunden am Tag hessische Realität fließt, ohne dass es einen adäquaten konkreten Output, Hoffnung auf realitätstüchtige redaktionelle Entscheidungen und Ergebnisse gibt.
„Dadurch fällt extrem viel durchs Raster“, sagt eine, die lange genug dabei ist. „Es gibt gar keinen Ehrgeiz mehr, exklusive Geschichten zu recherchieren und zu bringen. Diesen Anspruch gibt es nicht mehr. Der Laden ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Und wenn wirklich etwas passiert wie im Neonazi-Mordfall Walter Lübcke, sind wir hoffnungslos hintendran, weil niemand als Reporter rausfährt und dann auch dranbleibt.“ Eingestellt auch für leitende Aufgaben würden stattdessen „Bubis, die keinem wehtun“ und „Mädchen, die noch nie einen Ü-Wagen von innen gesehen haben“. Kurzum: „Die Bodenhaftung zum Programm ist weg.“
„Wie können wir das emotionalisieren?“
Im Mittelpunkt stehen auch im Hessischen Rundfunk, so die verbliebenen Journalisten und Kritiker der Geschäftsleitung, inzwischen nicht mehr Themen, Ereignisse, Fakten, sondern Befindlichkeiten.
„Wie können wir das emotionalisieren?“, „Lass das Harte weg!“, „Können wir das den Leuten zumuten?“ oder auch „Was hat das mit euch gemacht?“ lauteten wichtige Leitsätze in redaktionellen Gesprächen. Gefühle muss man nicht beweisen, Gefühle kann man nicht widerlegen – das macht sie für eine neue, aktivistisch geprägte Generation in den Funkhäusern so unwiderstehlich ansprechend.
Tatsachen und Zeitzeugenberichte sind anstrengend, denn sie müssen beschafft und bewiesen werden, was auch kilometerintensive Erkundungen des Hessenlandes mit sich bringen kann, und ihre Ausstrahlung bringt oft Ärger. Ein Gefühl hat man demgegenüber stets dabei, stets parat, es muss nur endlich jemand danach fragen. Wer heute noch Journalist, Journalistin werden will, der tut das immer häufiger in der berechtigten Erwartung, endlich vor großem Publikum dauernd nach seiner Befindlichkeit gefragt zu werden und dafür sogar noch Geld zu bekommen. Was hat das mit dir gemacht? (Schneefall, Fahrradunfall, Strompreiserhöhung, böser Blick in der U-Bahn, pampiger Autofahrer, Freundin abgehauen, wegen Rassismus beim Bäcker benachteiligt oder was auch immer.) Mit Dienstleistung an der Gesellschaft hat das nichts mehr zu tun.
Im ihrem soeben beschlossenen Compliance-Papier schreiben die ARD-Intendanten: „Wir wollen die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in unsere journalistischen Inhalte und die Protagonisten unserer Programme stärken, um den Funktionsauftrag des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks für die Gesellschaft erfüllen zu können.“ Auch und besonders im HR geschieht mehr denn je das Gegenteil.
Ein gefühlsbasiertes Programm ist tendenziell reaktionär, rechter als rechts. Das Gegenteil von Aufklärung und Vernunft. Ein gefühlsbasiertes Programm, gerade in Deutschland, gerade in der ARD sollte man das besser wissen als irgendwo sonst auf der Welt, ist gefährlich und im übrigen unnütz für den demokratischen Diskurs.
Es kriselt im Journalismus
Wer sich wie Nina Pater der Deprofessionalisierung des Senderbetriebes entgegenstellt und der Programmdirektorin widerspricht, dieses Exempel wurde hier statuiert, der kann von heute auf morgen abserviert werden. Dazu mögen die feierlichen Sätze des neuen Chefs vom 30. August nicht wirklich passen, als sich Florian Hager zur fristlosen Entlassung der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger äußerte: „Alles muss auf den Tisch. Nur dann ist auch wirklich ein Neubeginn möglich.“ Ihn habe die kritische Berichterstattung über den RBB-Skandal durch Mitarbeiter der ARD beeindruckt: Das hätten sie „ganz stark gemacht“. Das sei ein Beweis dafür, dass das öffentlich-rechtliche System sehr wohl funktioniere.
Diesen „wirklichen Neubeginn“ braucht Hager in seinem eigenen Sender aber mindestens genauso dringend. Da kriselt es heftig im Kernbereich des öffentlich-rechtlichen Selbstverständnisses, im Journalismus. Mit seiner Programmdirektorin Gabriele Holzner, die ihr Führungspersonal anhand persönlich beglückender und gerne auch reichlich esoterischer Erfahrungen aus gemeinsamen Seminaren rekrutiert, wie es nach glaubwürdiger Schilderung aus dem Haus unter anderem bei Ketchup-Marketing-Fachfrau Dorothea Varlam der Fall war, wird der neue Intendant nicht glücklich werden, so viel ist ihm inzwischen höchstwahrscheinlich bereits klar.
Aber: Hager hat in seinen Personalentscheidungen weitgehend freie Hand, denn die „Intendantenverfassung“ des HR blieb bis heute unangetastet. Er könnte sein Direktorium also nach eigenem Ermessen umgestalten. Lediglich für Einstellung und Entlassung der Betriebsdirektorin wäre er auf die Zustimmung des Verwaltungsrates angewiesen, doch diese Frage stellt sich nicht, verhält sich Ex-Konkurrentin Stephanie Weber doch bisher ihm gegenüber ungeachtet ihrer Niederlage im vierten Wahlgang absolut loyal. Holzner hat ihre Position als Programmdirektorin also zumindest theoretisch keineswegs sicher. Andererseits dürfte ihr Vertrag erst kürzlich noch von Manfred Krupp verlängert und sogar um die Stellvertreter-Funktion aufgewertet worden sein, was eine Kündigung oder Änderungskündigung – siehe RBB und dessen Probleme mit seinem diskreditierten Führungspersonal – schwierig und teuer machen könnte.
Auf Hager ruhen Hoffnungen
Gleichzeitig lässt das Misstrauensvotum der Belegschaft gegenüber Holzner an Klarheit nichts zu wünschen übrig und droht auf den Neuen überzugreifen. Hager hat darauf schnell und vor versammelter Mannschaft in einer Weise reagiert, die Holzner noch unbedarfter und unglücklicher aussehen ließ als ohnehin schon. „Der spricht Probleme an, die bisher noch nie angesprochen wurden“, sagt eine, die schon einige Intendanten gesehen hat. „Der will wirklich wissen, was los ist.“ Florian Hager stelle sich auf die Bühne, und dann dürfe wirklich alles gefragt werden. Und wenn er etwas nicht gleich beantworten kann, dann liefere er nach. „Das fand ich cool. Das habe ich so noch nie erlebt.“
Auf diese Offenheit hätte Gabi Holzner bei ihrem neuen Chef sehr gut verzichten können, hieß es anschließend auf den Fluren. Auch wenn er jüngst gleich eingangs seines Auftrittes klargestellt hatte, dass er hinter ihr stehe. Da wusste er allerdings noch nicht, wie umfassend und energisch der Unmut der Programmmacher über ihr Führungspersonal und dessen Umgang mit einer geachteten und beliebten Journalistin bereits ist. Es ist ein Kulturkampf, der sich hier abspielt. Führungsebene und Belegschaft leben und denken in verschiedenen Welten. Im RBB hat das vornehmlich finanzielle Gründe, im HR geht es demgegenüber um das journalistische Selbstverständnis, um die öffentlich-rechtliche Idee, den Rundfunk als Sache der Allgemeinheit. Marketing ist das Gegenteil von Journalismus. Marketing ist genuin interessengeleitet und fremdfinanziert, Journalismus, öffentlich-rechtlicher zumal, im Idealfall nur dem Gemeinwohl verpflichtet, denn von der Allgemeinheit wird er bezahlt.
Im Streit um Nina Pater prallen diese beiden Welten aufeinander, das lädt ihn so auf. Manche trauen dem neuen Intendanten die Härte zu, hier eine erste wichtige Richtungsentscheidung zu treffen und dem Sender seine Seele zu retten. Andere halten ihn für einen begabten, aber letztlich an dieser Stelle unbedarften, desinteressierten, unzuverlässigen Medienmanager. Wir werden sehen.
Die Kraft der Überzeugung
Konsequenzen wären eventuell auch im Falle Christoph Hammerschmidt angezeigt. Selbstverständlich hat Cicero nicht nur die HR-Pressestelle um Stellungnahmen gebeten, sondern auch die Verfasser des Protestbriefes. Jemand hat diese – naturgemäß anders formulierte und vertrauliche E-Mail – an den HR-Pressesprecher weitergeleitet, der sie wiederum seinerseits unter anderem an den Intendanten und die Direktorinnen weiterschickte. Außerdem nutzte Hammerschmidt, von Haus aus nach eigenen Angaben Werbe- und Marketingexperte, Sportwissenschaftler und Diplom-Kaufmann, sein widerrechtlich erworbenes Wissen ungefragt, aber umso selbstbewusster, ja regelrecht stolz für ausführlichen Nachhilfeunterricht an die Adresse von Cicero, wie korrekter Journalismus auszusehen habe und wie nicht.
So heißt es in Hammerschmidts gesammelten Belehrungen: „Ihre zahlreichen Mails in unser Haus haben nichts mit journalistischem Arbeiten zu tun. Sie äußern ihre persönliche Meinung zum HR, äußern sich despektierlich über Mitglieder der Geschäftsleitung sowie Führungskräfte und verbinden das mit einer Fragestellung an die Kollegen. Das ist mehr als befremdlich.“ Im Telefonat redete er sich dann vollends in Rage, nannte die Recherche eine „Unverschämtheit“ und vermutete eine „Abrechnung mit dem HR“, aus welchen Gründen auch immer. Auf schriftliche Nachfrage bestätigte er anschließend Empfang, Lektüre und Weiterleitung unseres vertraulichen Schreibens ausdrücklich – um schließlich zu triumphieren: „Ihre Mail hat – nicht zuletzt aufgrund der unsauberen Vermischung von Meinungsäußerung und Anfrage – sehr viele Kolleginnen mehr als irritiert, um es mal vorsichtig auszudrücken.“
Unglücklicherweise hat der HR-Pressesprecher, Amtsträger einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, mit seiner Vorgehensweise im Stile eines verhinderten Dozenten das Briefgeheimnis verletzt. Wer eine für ihn nicht bestimmte E-Mail öffnet, anstatt sie unverzüglich ungelesen zu löschen, liest und weiterträgt, macht sich nach den Paragraphen 202 und 206 des Strafgesetzbuches strafbar (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem oder bis zu zwei Jahren). Betrachtet man den Hessischen Rundfunk als Erbringer von geschäftsmäßigen Post- oder Telekommunikationsdiensten, drohen sogar bis zu fünf Jahre Haft.
Eigentlich sollte Hammerschmidt das wissen, so dass sogar von Vorsatz auszugehen ist, heißt es doch in seinen eigenen Aussendungen: „Der Inhalt dieser E-Mail (einschließlich beigefügter Dateien) ist vertraulich und nur für den Empfänger bestimmt. Wenn Sie nicht der bestimmungsgemäße Empfänger dieser E-Mail sind, informieren Sie bitte sofort den Absender und löschen Sie diese Mail von Ihrem System. Beachten Sie, dass die Verbreitung, das Kopieren sowie die Weitergabe der E-Mail nicht gestattet sind.“
Fast überflüssig der Hinweis, dass Datenschutzrecht ebenfalls ausdrücklicher Bestandteil der neuen ARD-Compliance-Regeln ist. Wir werden die zuständigen Stellen um Stellungnahme und juristische Einschätzung bitten. Wir sehen aber auch: Marketing-Leute halten zusammen und kämpfen vereint gegen ihre Feinde bis zur letzten Patrone. Es ist wie bei den Klimaklebern die Kraft der Mission, der kompromisslosen Überzeugung: Nicht einmal eine Gefängnisstrafe kann sie abschrecken.
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