Und nach Dieter Nuhr halten immer mehr Menschen eine Gegenrede für Ketzerei und glauben, die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben. Für sie beruhe jede Abweichung von der eigenen Meinung entweder auf Dummheit oder auf Bosheit oder Profitgier.
Denunzianten machen Jagd auf Andersdenke und geißeln alles, was ihnen nicht gefällt. Und selbst die stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Anne Gellinek befürchtet! durch die Übernahme von Elon Musk mehr Meinungsfreiheit auf Twitter und kommentierte im „Heute Journal“: „Die Befürchtung ist, dass er die Grenzen des Sagbaren weiter ausdehnen könnte.“
Die Grenzen des Sagbaren? Was sagbar ist, wird durch das Grundgesetz und die darauf fußenden Gesetze und nicht durch Journalisten und verstimmte Privatpersonen bestimmt. Wie Arnd Diringer in der „Welt am Sonntag“ richtig bemerkte, reicht die Meinungsfreiheit in Deutschland viel weiter, als diese und anderer denken und weiter als es so manchem lieb ist. Sie gewährleistet, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass „jeder frei sagen kann, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann“. Und zu ihr gehören, wie der ehemalige Justizminister Heiko Maas in der „Legal Tribune Online“ schrieb, „auch scharfe und hässliche Äußerungen“. „Das“, so der Sozialdemokrat, „muss jeder und jede ertragen können.“
Anders die amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser in der Bundespressekonferenz. Als ein Journalist die banale Feststellung machte, dass Hass ein Gefühl ist, das man nicht objektivieren könne, und wo denn die Straftat beginne, behauptet Faeser: „Dazu haben wir eigentlich sehr gute rechtsstaatliche Methoden in Deutschland. Wir haben Meinungsfreiheit, die an den Grenzen endet, wo andere beleidigt werden, betroffen sind, verletzt werden".
Das stimmt nur zum Teil. Dazu das BVerfG mit Beschluss vom 19.05.2020:
"Da Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedem das Recht gibt, seine Meinung in Wort,
Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, auch wenn dies in
polemischer oder verletzender Weise geschieht, greifen strafrechtliche
Verurteilungen wegen Beleidigung (§ 185 StGB) in das Grundrecht der
Meinungsfreiheit ein.
Eine ehrbeeinträchtigende Äußerung ist daher nur dann eine gemäß § 185
StGB tatbestandsmäßige und rechtswidrige (§ 193 StGB) Beleidigung, wenn
das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation die
Meinungsfreiheit des Äußernden überwiegt". Und: "Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also
Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind.
Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer
Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist,
entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts".
Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht und in erster Linie ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat und seiner Organisationen. Dabei zählt „Kritik am Staat oder am staatlichen Handeln … zum Kernbereich der Meinungsfreiheit“, wie Professor Christoph Grabenwarter im Grundgesetz-Kommentar Dürig/Herzog/Scholz darlegt.
Das Bundesverfassungsgericht führte In seinem
Beschluss vom 28. November 2011 zur Meinungsfreiheit unmissverständlich aus:
„Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind … Meinungen, das heißt
durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen.
Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es
dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie
begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll
oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden.
Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht
gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das
Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt. (…)
Allein die Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche ist
kein Grund, diese zu beschränken. Bei Staatsschutznormen ist dabei besonders
sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik auf
der einen Seite und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung auf
der anderen Seite zu unterscheiden, weil Art. 5 Abs. 1 GG gerade aus dem
besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert
seine Bedeutung findet.“
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