- Die Synode der reformierten Kirche in Deutschland serviert künftig nur noch vegetarisches Essen. Fleischproduktion sei klimaschädlich, sagte die Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden der Nachrichtenagentur EPD.
- Die Stadt Zürich verbietet bei der Fussball-WM in Katar Public Viewing auf öffentlichem Grund. Damit protestiert sie gegen die Verletzung von Menschenrechten in dem Wüstenstaat.
- Die Bundesregierung ernannte eine Antidiskriminierungsbeauftragte, die Deutsche für Kartoffeln hält. So soll die Gleichbehandlung aller Menschen gefördert werden.
- Kaum eine deutschsprachige Universität kommt heute ohne detaillierte Regeln aus, wie Professoren und Studenten sprechen, schreiben und damit auch denken sollen. Eine «gendergerechte Sprache» soll Frauen «sichtbarer» machen.
Alle vier Beispiele sind reine Symbolpolitik: Hauptsache, man setzt sich für die richtigen Ziele ein. Ob man ihnen mit dem gutgemeinten Engagement näher kommt, ist völlig egal. Der Temperaturanstieg in der Erdatmosphäre wird nicht um das Promille eines Grades gedämpft, wenn deutsche Christen Tofu verzehren.
Weder der Emir von Katar noch irgendein anderer Herrscher am Golf ändert den Umgang mit seinen Untertanen und den oft unter prekären Umständen beschäftigten Gastarbeitern aus Furcht vor dem langen Arm des Zürcher Stadtrats. Setzen europäische Städte ein Zeichen, wie es so schön heisst, kümmert das den Rest der Welt wenig. Zu Recht.
Schliesslich käme keine deutsche oder Schweizer Kommunalverwaltung auf die Idee, den Ausschank und Konsum von Alkohol zu untersagen, weil eine saudische Stadt beschliesst, die Volksgesundheit in Europa lasse sich nur durch das Verbot der Droge stärken.
Zwar freut es die rot-grüne Blase ungemein, dass sie eine kontroverse Person wie Ferda Ataman als Beauftragte der Bundesregierung durchsetzen konnte. Auch hier wurde wieder «ein Zeichen gesetzt». Jede politische Lebenserfahrung lehrt allerdings das Gegenteil. Einstellungen ändern sich, wenn Politiker integrieren, statt die Gesellschaft zu polarisieren.
Eine Ersatzhandlung ist auch die Verwendung von Gendersternchen und allerlei ausgefallenen Pronomen zur Bezeichnung einer geschlechtlichen Identität. Es zeugt von magischem Denken, anzunehmen, dass Sprachgebrauch allein die Gleichberechtigung fördere.
Diese erreichen Universitäten allenfalls, wenn sie mehr Professorinnen ernennen und eine gute Kinderbetreuung anbieten. Das kommt jedoch teurer als ein Sprachleitfaden, den sich ein Verwaltungsdirektor mit all dem Sprachgefühl ausdenkt, zu dem Verwaltungsdirektor*innen gemeinhin fähig sind.
Jedem ist es unbenommen, magischem Denken anzuhängen. Universitäten waren jedoch einmal Stätten der Aufklärung. Wie absurd die Diskussion ist, zeigt sich auch an den wechselnden Geboten für gendergerechte Sprache.
Galt früher das Binnen-I als das Mittel der Wahl, um eine Identität auszudrücken, war es anschliessend das Sternchen. Das wird gerade vom Doppelpunkt verdrängt. Im magischen Denken verliert jeder Zauber seine Wirkung, sobald die falschen Zeichen verwendet werden. Umso wichtiger ist es, sich an das gerade gültige Ritual zu halten.
Warum aber hat Symbolpolitik den internen Richtungskampf als liebste Beschäftigung in linken Kreisen abgelöst? Linke Ideologie ist progressiv und verbindet Fortschrittsglauben mit Idealen wie Gleichberechtigung und der Ermächtigung des Individuums wie ganzer Klassen.
Da taugt Symbolpolitik als bequemer Ausweg, wenn sich die Verbesserung der Welt mühsamer anlässt als erhofft. Wenigstens propagiert man seine Ideale und darf hoffen, das Fundament für eine bessere Zukunft zu legen.
Konservative Weltbilder hingegen sind skeptisch und bewahrend. Die Rechte neigt eher zu Verschwörungstheorien, wenn sie mit der Komplexität der Welt nicht zurechtkommt: Böse Mächte zerstören, was vor langer Zeit gut eingerichtet wurde. Die Linke verklärt die Zukunft, die Rechte die Vergangenheit.
Viele identitätsstiftende Forderungen der Linken wurden obendrein längst erfüllt. Der einst hart erkämpfte Achtstundentag gilt der Freizeitgesellschaft schon fast als Anschlag auf die Menschenwürde. In demokratischen Industrieländern sind Wohlstand und Teilhabe für alle in einem Mass verwirklicht, das substanzielle Verbesserungen schwer macht. Ausserdem bringt jedes Herumdoktern am System unerwünschte Nebenwirkungen mit sich.
Die Ampelkoalition und die Unionsparteien haben sich nach kurzem und heftigem Streit auf das Bürgergeld geeinigt. Dabei ging es jedoch nur um Detailfragen. Wäre die Reform gescheitert, hätte Deutschland immer noch eine sehr grosszügige Sozialhilfe gerade für Flüchtlinge und Migranten. Entsprechend viele Ausländer haben sich im deutschen Sozialstaat komfortabel eingerichtet.
Wenn jetzt der Sozialstaat noch spendabler wird, fühlen sich wiederum Menschen betrogen, die von gering bezahlter Erwerbsarbeit und nicht von Hartz IV leben. Daher löst das Bürgergeld selbst bei Anhängern der Sozialdemokratie eher gemischte Gefühle aus. Keine Reform ohne Nebenwirkungen.
Zugleich lassen sich viele Probleme nicht mehr durch nationale Gesetzgebung lösen. Der Klimawandel ist das Paradebeispiel hierfür. Globale Fragen erfordern globale Verhandlungen, diese aber dauern lange und neigen zu Rückschlägen.
Die Interessen von reichen und armen Staaten, von Industrieländern und Entwicklungsländern, von Produzenten fossiler Energieträger und Konsumenten gehen nun einmal auseinander. Es ist viel einfacher, wenn es in der Kirche nur noch Tofu gibt. Da tritt der Effekt unmittelbar ein.
Steigende CO₂-Emissionen in China und Indien
Wie soll eine evangelische Synode erreichen, was den Uno-Mitgliedern an der Klimakonferenz in Ägypten nicht gelingt? Dort wurde zwar beschlossen, einen Fonds zur Bezahlung von Klimaschäden wie Hochwasser und Dürren in armen Ländern einzurichten. Nur auf zwei winzige Details konnte man sich nicht einigen: wer in den Fonds einzahlen muss – und wie viel. Aus Verzweiflung möchte man in einen Veggie-Burger beissen.
Die Welt ist vielschichtig und kompliziert. Menschen neigen deshalb instinktiv dazu, die Komplexität zu reduzieren. Zu diesem Zweck haben Gesellschaften Tabus und Traditionen entwickelt. Sie lichten den Dschungel der Optionen. Der Einzelne ist aufgehoben in einer sinnstiftenden Ordnung; das entlastet ihn.
Wenn aber wie in der beschleunigten Gegenwart das Korsett der Regeln morsch und mürbe wird, müssen Individuen wie gesellschaftliche Gruppen anderweitig Halt suchen. Manche flüchten sich in Vorurteile und Ressentiments. Wer glaubt, die geheimen Machtstrategien der Eliten durchschaut zu haben, findet darin Sinn. Die Verschwörungstheorie ist der hässliche Bruder der Symbolpolitik. Beide dienen dazu, sich in der Welt zurechtzufinden.
Die Linken und die «Gutmenschen» – und wollen nicht die meisten Menschen gut sein? – pochen apodiktisch auf ihre Ideale. Wenn alle das Gendersternchen benutzen, liegt die volle Gleichberechtigung in Griffnähe. Wenn alle Menschen auf Fleisch verzichten, lässt sich die Erderwärmung noch stoppen. Das Wichtigste ist der Glaube daran. Natürlich ist das Heuchelei, aber sie verschafft wenigstens ein reines Gewissen.
Symbolpolitik vermittelt zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen moralischen Ansprüchen und Realität. Auch das verschafft Entlastung. Dem Klima wird damit nicht geholfen, den Menschen schon.
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