14 November 2022

Neben der Spur Das woke Denken ist eine Gefahr für unsere Demokratie (WELT)

Neben der Spur
Das woke Denken ist eine Gefahr für unsere Demokratie
Freier Kolumnist und Autor, 13.11.2022
Die woke Ideologie dominiert Medien, sie kann Kampagnen führen, Personen zu Unpersonen machen, Tabus errichten – und sie sitzt bereits in der Regierung. Sie in ihrer Wirkung mit dem Rechtsradikalismus gleichzusetzen, ist aus zwei Gründen falsch.
Die WELT hat eine Erklärung veröffentlicht, sie stammt aus dem Thinktank R21, der sich als CDU-nah versteht. Dort versucht man herauszufinden, was „bürgerliche Politik“ heute bedeuten könnte. Bei der letzten Bundestagswahl war dies für mich, was die CDU betrifft, leider auch bei noch so genauem Hinschauen nicht zu erkennen.

Unterzeichnet haben die frühere Familienministerin und WELT-Kolumnistin Kristina Schröder, der Historiker Andreas Rödder, die Ethnologin Susanne Schröter und der Psychologe Ahmad Mansour. Die Erklärung ist eine Art Kampfaufruf, sie trägt die Überschrift „Das woke Denken bedroht unsere Freiheit“.

Ja, das kann man so sagen. In der Politik sollte man nicht nur wissen, was man möchte. Man sollte sich auch darüber im Klaren sein, was man auf gar keinen Fall will. Was „wokes Denken“ im Einzelnen bedeutet, wird in jenem Text übrigens gut erklärt.

Wie alle politischen Ersatzreligionen kennt auch diese nur die totale Unterwerfung unter ihre Dogmen. Alle, die auch nur in ein oder zwei Punkten Zweifel anmelden, sind als Feinde identifiziert und sollen, sofern es geht, aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschaltet werden.

Insofern bringt es der CDU, solange geistig noch etwas von ihr übrig ist, wirklich nichts, sich bei diesen Leuten anzubiedern. Sie wird von ihnen, solange sie sich nicht vollständig unterwirft, immer als Feind angesehen, delegitimiert und bekämpft werden. Entweder wehrt sie sich endlich. Oder sie streicht das Wort „christlich“ aus dem Parteinamen und ersetzt es durch „divers“, DDU. Friedrich Merz traue ich das zu.

In der Erklärung ist auch viel von Rechtsradikalismus die Rede, als der anderen, ähnlich gestrickten Bedrohung der Demokratie. Sosehr ich dem Text insgesamt auch zustimme, diese Gleichsetzung finde ich falsch. Zum einen ist der Rechtsradikalismus in einer Weise gewalttätig und sogar terroristisch, die bei den Woken nicht zu beobachten ist.

Damit eng verbunden ist der andere große Unterschied. Der Rechtsradikalismus ist tabuisiert, politisch isoliert und machtlos. Er kann Schaden anrichten, aber er kann hierzulande, zumindest vorerst, nicht an die Regierung kommen. Die woke Ideologie dagegen sitzt bereits in der Regierung. Sie hätte es also, selbst wenn ihre Anhänger dazu bereit wären, gar nicht mehr nötig, Gewalt anzuwenden.

Sie dominiert zahlreiche Medien. Sie kann Kampagnen führen, Personen zu Unpersonen machen, Tabus errichten, sie sitzt an den Fördertöpfen, Geld ist kein Problem. Der Rechtsradikalismus ist mörderisch. Das woke Denken aber ist auf andere Art eine Gefahr für unsere Demokratie, denn seine Machtergreifung ist bereits in vollem Gang.

Das, was Demokratie im Kern ausmacht, ist das Prinzip „Gleiches Recht für alle“. Diese friedensstiftende, vernünftige und menschenfreundliche Regel ist fast immer das Erste, was in einer Diktatur, egal welcher Couleur, abgeschafft wird. Sie wird auch von den Woken bekämpft. Es soll Sonderrechte und immer mehr Quoten geben, sogar Wahlergebnisse sollen durch quotierte Listen vorbestimmt werden.

Zu bestimmten Themen sollen nur bestimmte Personen Rederecht haben, die Rolle der Justiz wird durch mediale Hetzjagden relativiert, gegen deren Urteil kein Einspruch möglich ist. Die Gesellschaft verwandelt sich wieder in einen Ständestaat, gegliedert in Gruppen mit und ohne Privilegien, in ein angebliches Gut und Böse.

Um ein Grundproblem der CDU mogelt sich die Erklärung herum, finde ich. Zu Recht stellt sie fest, dass der Begriff „rechts“ für die Woken zu einem Etikett geworden ist, das listig mit „rechtsradikal“ gleichgesetzt und erfolgreich zur Stigmatisierung von kritischem Denken verwendet wird.

Nicht nur Liberale, auch Linke wie Sahra Wagenknecht und Erzgrüne wie Boris Palmer finden sich in der immer diverseren Heerschar der „Rechten“ wieder. Da will man doch wissen, wie die CDU die legitime, demokratische Rechte, also das Konservative, gegen den Rechtsradikalismus abgrenzt.

Wenn die CDU die Deutungshoheit über diesen Begriff nicht komplett den woken Antidemokraten überlassen will, muss sie den Mut finden, ihn selbst mit positiven Inhalten zu füllen. Ein Tipp: Konrad Adenauer, Churchill und de Gaulle waren selbstverständlich Rechte, sie waren gegen Hitler, und man kann nicht behaupten, dass sie alles falsch gemacht hätten. Wenn aber „rechts“ wirklich das Gleiche ist wie „Nazi“, müssen sofort alle Stauffenbergstraßen umbenannt werden. Denn der Hitler-Attentäter war ja auch rechts.
Siehe auch:

Woke Identitätspolitik:

Die Kulturkämpfer der bürgerlichen Mitte blasen zum Angriff

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