Und eine Linkenpolitikerin mochte in der Veranstaltung gar einen Beweis für die Radikalisierung des Konservatismus erkennen. «Der alte weisse Mann steht auf», überschrieb die Deutsche Presse-Agentur ihren Vorbericht leicht spöttisch. Dabei waren es mitnichten nur alte weisse Männer, die sich versammelten.
Geht es nur darum, «Zigeunerschnitzel» sagen zu dürfen?
Warum aber ist Identitätspolitik für die Veranstalter überhaupt ein Problem? Geht es wirklich nur um das Recht des weissen Cis-Mannes, «Zigeunerschnitzel» oder «Mohrenkopf» sagen zu dürfen, ohne Widerspruch zu ernten? Aus Sicht der Veranstalter reicht das Problem tiefer. Die These: Die offene und freie Gesellschaft muss gegen Identitäre von links und rechts geschützt werden.
«Längst hat ein Kulturkampf begonnen, der die demokratische Mitte in die Zange nimmt», analysierte der Mainzer Historiker Andreas Rödder, der die Denkfabrik leitet. Die behauptete identitäre Bedrohung von rechts blieb auf der Veranstaltung dabei eher unterbelichtet. Der aus Washington zugeschaltete «Spiegel»-Journalist René Pfister legte zwar dar, wie sich in den USA die beiden Seiten aufschaukeln. Wirklich ausgearbeitet wurde das für Deutschland aber nicht. Im Zentrum stand ganz überwiegend die Auseinandersetzung mit der woken Linken.
Und die bedroht aus Sicht der Veranstalter die bürgerliche Gesellschaft. Diese habe die Ständegesellschaft mit dem Versprechen abgelöst, dass Leistung dem Einzelnen seinen Platz in der Gesellschaft zuweise – nicht Zugehörigkeit zu sexuellen, ethnischen oder sonstigen Gruppen. Im Namen der Antidiskriminierung aber, so die These, würden individuelle Rechte durch Kollektivrechte ersetzt. Und dies immer auf Kosten der Mehrheitsgesellschaft. Denn laut der reinen Lehre der Identitätspolitik, so die Frankfurter Ethnologin und Mitinitiatorin Susanne Schröter, seien Weisse strukturell rassistisch.
Gefährdete Wissenschaftsfreiheit
Daraus hat aus Sicht der Veranstalter ein neues Unternehmertum längst ein Geschäftsmodell gemacht. Denn von der empirieresistenten weissen Erbschuld kann nur durch woke, also für den Verhängniszusammenhang sensible Aktivisten erlöst werden.
Eine Milliarde Euro habe die deutsche Politik nach dem Anschlag von Hanau 2020 für die Bekämpfung von Rassismus mobilisiert, rechnete der Islamismus-Experte Ahmad Mansour vor. Er wandte sich nicht grundsätzlich dagegen. Das Geld gehe aber überwiegend an Akteure, die der Identitätspolitik nahestünden. Mansour, dem Herkommen nach israelischer Araber, berichtet selbst von Rassismuserfahrungen. Er sieht darin aber nur ein punktuelles, kein strukturelles Problem der deutschen Gesellschaft. Gleichzeitig verhindere die Identitätspolitik, dass Integrationsdefizite von Einwanderern angegangen würde.
Der Springer-Chef geht in die Knie
Auch der Journalismus tanzt aus Sicht der ehemaligen «Bild»-Journalistin Judith Sevinc Basad zunehmend nach der Pfeife der Identitätspolitik. Sie erinnerte daran, dass der Springer-Chef Mathias Döpfner im Sommer persönlich in die Knie gegangen sei und einen in der «Welt» erschienenen Gastbeitrag als «unterirdisch» bezeichnet habe, der sich kritisch mit der Darstellung von Transsexualität im öffentlichrechtlichen Rundfunk beschäftigte. Sevinc Basad verliess schliesslich unter Protest den Springer-Verlag. Aber warum Unternehmen auf die Woke-Karte setzten, wenn viele ihrer Leser oder Kunden damit nicht einverstanden seien, fragte der Moderator und NZZ-Redaktor Alexander Kissler.
Um darauf eine Antwort zu erhalten, bedarf es wohl eines auf die Analyse der Produktionsverhältnisse geschulten Marxisten, mochten sich die Veranstalter gedacht haben. Der liess sich mit dem Berliner Theaterdramaturgen Bernd Stegemann auch finden. Unternehmen könnten durch die Übernahme identitätspolitischer Forderungen ihren moralischen Marktwert erhöhen, ohne dass es sie einen Cent koste. Und gleichzeitig liessen sich mit Verweis auf das moralische Engagement leichter finanzielle Forderungen von Mitarbeitern zurückweisen. «Amazon bietet diskriminierungsfreies Arbeiten ohne Gewerkschaften», formulierte der Vertraute der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.
Dieter Nuhr ist optimistisch
Was aber tun gegen die mächtige Phalanx aus Kapitalismus, Journalismus und identitärer Linker? Hier liess die Veranstaltung noch viel Raum für gedankliche Arbeit. Antworten wurden nur angerissen. Aus Sicht der FDP-Bundestagsabgeordneten Linda Teuteberg müssten bürgerliche Kräfte Mut zur Ideologie zeigen. «Wer keine Glaubenssätze hat, wird zum Getriebenen derer, die welche haben», meinte sie. Merkels frühere Familienministerin Kristina Schröder forderte, Bürgerliche müssten den Kulturkampf endlich aufnehmen. Die anwesenden Unions-Politiker wie der stellvertretende CDU-Chef Carsten Linnemann oder der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation JU Tilman Kuban werden das aufmerksam registriert haben.
Denn ihre Partei ist unter Parteichef Merz zum intellektuellen Gemischtwarenladen geworden. Zwar wettert die CDU gegen das Gendern, hat auf dem letzten Parteitag gleichzeitig aber die Frauenquote beschlossen und damit eine identitätspolitische Kernforderung übernommen. Die FDP wiederum nickte in der «Ampel» schicksalsergeben zur Berufung Ferda Atamans, mit der eine der lautesten Vertreterinnen der Identitätspolitik Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes wurde.
Es ist also noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, soll die kulturelle Gegenmobilisierung irgendwann politikprägend werden. Das intellektuelle Rüstzeug liefern Rödder und Co. Im Beirat der Denkfabrik sitzen zudem Praktiker aus Wirtschaft und Journalismus, unter ihnen der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen