11 November 2022

SPD-Debattenkonvent - Partei der Arbeitszeitverkürzung (Cicero)

SPD-Debattenkonvent
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Partei der Arbeitszeitverkürzung
Die SPD hat auf ihrem Debattenkonvent am vergangenen Wochenende beschlossen, sich für eine 25-Stundenwoche mit vollem Lohnausgleich einzusetzen. Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal begründet das mit der gestiegenen Produktivität der deutschen Wirtschaft. Aber das entspricht nicht den Fakten.
VON MATHIAS BRODKORB am 8. November 2022
In der Politik muss man manchmal nicht die besten Argumente, sondern einfach nur ausreichend Sitzfleisch haben. Das konnte man am Wochenende auf dem SPD-Debattenkonvent beobachten. Kurz vor Schluss, als nur noch knapp die Hälfte der Delegierten anwesend war, fügten die Jusos Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine empfindliche Niederlage bei. Die SPD ist jetzt nämlich offiziell für die Einführung einer 25-Stundenwoche – bei vollem Lohnausgleich versteht sich. So weit geht derzeit nicht einmal die Partei Die Linke. Die begnügt sich vorerst mit 30 Stunden.

Vor ein paar Jahren hatte die SPD sogar ihre Satzung geändert, um diesen „kleinen Parteitag“ ins Leben zu rufen. Er soll zwischen den eigentlichen Parteitagen „alle politischen und organisatorischen Fragen“ klären. Er besteht aus 150 Genossinnen und Genossen, die von den Landesverbänden in geheimer Wahl bestimmt werden. Das Besondere an dem Gremium: Der Parteivorstand, Vertreter der Bundestagsfraktion oder die Ministerpräsidenten der Länder gehören dem Gremium nur beratend an. Es ist ein echt basisdemokratisches Gremium. „Die Geister, die ich rief …“, wird sich nun mancher Spitzengenosse vielleicht denken.

Dabei hat Hubertus Heil in einer engagierten Rede selbst alles dafür getan, die Jungsozialisten auch noch ein bisschen zu motivieren. Nahezu nostalgisch beschwor er, dass die SPD auch in Zeiten des Wandels für immer die „Partei der Arbeit“ bleibe. Nicht nur die Erhöhung des Mindestlohns, auch die Einführung des Bürgergeldes sei dafür ein guter Beleg. Das gefiel den Delegierten, unter denen sich kaum ein echter Arbeiter befunden haben dürfte, sichtlich. Und sie nahmen Hubertus Heil wenig später einfach beim Wort.

Ist eine Energiekrise mit Masseninflation der richtige Zeitpunkt für solche Debatten?

Denn mit dem Bürgergeld gibt es ja tatsächlich ein gewisses Problem: Durch die Abschaffung oder Aussetzung von Sanktionen, durch die Erhöhung der Regelsätze, durch die verbesserte Anrechnung von Zuverdiensten wird der Abstand zur sonstigen arbeitenden Bevölkerung kleiner – und nicht größer. Es ist ja genau dieser Grund, der Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) so skeptisch macht: „Aus dem zunächst für sich selbst verantwortlichen Bürger wird mit dem Bürgergeld mehr und mehr ein Versorgungsempfänger. Nicht Eigenverantwortung steht im Vordergrund, sondern ein paternalistischer Staat, der erst nimmt und dann einen Teil davon wieder gibt.“ Gerade für eine „Partei der Arbeit“ könnte das auch ein Problem sein.

Diese Unwucht lässt sich freilich auf zwei Weisen lösen: Man kann, wie Merz es fordert, eine Reihe von Verbesserungen einfach bleiben lassen. Oder man macht es umgekehrt und gibt einfach allen anderen ebenfalls einen Schnaps obendrauf. Und so könnten alle wie mit einem Fahrstuhl einfach nach oben fahren.

Jessica Rosenthal, SPD-Bundestagsabgeordnete und Bundesvorsitzende der parteieigenen Nachwuchsorganisation, gilt als Hauptinitiatorin des nun beschlossenen Antrags. Und sie holt historisch weit aus, um ihn plausibel zu machen: „Schaut man sich die Arbeiter*innenbewegung an, dann gibt es eine Konstante, die wir erreicht haben, und das ist die Verkürzung der Arbeitszeit.“ Im Laufe der Geschichte sei die Arbeitszeit halbiert worden – und auf diesem Weg müsse man „jetzt“ weitergehen.

Wirklich „jetzt“? Mitten in einer Energiekrise mit Masseninflation, kurz vor dem drohenden Beginn von Massenpleiten und einer langanhaltenden Rezession, während ganz Deutschland die Deindustrialisierung fürchtet? Ist für die Kanzlerpartei wirklich jetzt der richtige Zeitpunkt, derartige Debatten anzuzetteln?

Produktivitätsschübe infolge der Digitalisierung lassen sich nicht nachweisen

Für Rosenthal jedenfalls ist das alles kein Problem, vor allem kein ökonomisches. Eine Reduzierung der individuellen Arbeitszeit um fast 40 Prozent bei gleichem Lohn lasse sich aus ihrer Sicht spielend aus den Produktivitätsschüben infolge der Digitalisierung finanzieren. Dadurch würden so viel Arbeitszeit und damit auch Kosten eingespart, dass das alles kein Problem sei. Dass wir inzwischen in einer globalisierten Wirtschaft mit intensivem Wettbewerb leben, scheint sich noch nicht bis in jeden Winkel der SPD herumgesprochen zu haben.

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Und auch ganz grundsätzlich sind die Fakten freilich andere. Gewiss, seit ungefähr zwei Jahrzehnten werden manisch Produktivitätsschübe infolge der Digitalisierung beschworen. Aber empirisch lassen sie sich einfach nicht nachweisen. Es ist das Gegenteil der Fall: Während Deutschland in den 1960er-Jahren noch einen jährlichen Produktivitätszuwachs von rund 6 Prozent verzeichnete, halbierte er sich zwischen 1980 und 2000 und erreicht seitdem durchschnittlich nur noch ungefähr 1 Prozent, Tendenz weiter fallend.

Das Problem ist nun aber, dass nur das konsumiert werden kann, was auch erwirtschaftet wurde. Wirtschaftswachstum kann einerseits Folge des Produktivitätswachstums sein. Wenn das aber ausbleibt, gibt es nur eine weitere Möglichkeit, um das eigentliche Ziel zu erreichen: mehr Arbeitsstunden. Steigende Arbeitsproduktivität oder mehr Einsatz lebendiger Arbeit sind die Quellen des erwirtschafteten Wohlstands.

Arbeitsminister Hubertus Heil wird den Beschluss ignorieren

Da seit nunmehr Jahrzehnten, und zwar in allen westlichen Industriestaaten, Produktivitätsschübe ausbleiben, stößt auch die Strategie der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich an Grenzen. Verschärft wird diese Tatsache durch den Umstand, dass wir nicht mehr – wie zu Zeiten Marxens – über ein Überangebot an Arbeitskräften verfügen. Das Gegenteil ist ja der Fall, und Deutschland steht demografisch bedingt erst am Anfang der Misere, die sich im laufenden Jahrzehnt vollends entfalten wird.

Eine Verkürzung der individuellen Arbeitszeit um fast 40 Prozent wäre in einer solchen Situation kein Beitrag zur Lösung, sondern zur Schaffung von Problemen. Die Wohlstandsverluste und daraus resultierenden sozialen Spannungen wären episch. Man fühlt sich daher fast ein wenig an Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ erinnert: „Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stoßen!“

Hubertus Heil wird den Beschluss freilich geflissentlich ignorieren. Dafür ist er einfach zu verrückt. Bewirkt haben dessen Initiatoren daher nur eines: Gegen alle historische Wahrscheinlichkeit schafften es die Führungskräfte der SPD in den letzten Jahren, die Reihen zu schließen und die Selbstzerfleischung zu beenden. Die neu errungene Geschlossenheit der SPD war nicht nur einer der wesentlichen Gründe für den Wahlsieg der SPD. Sie war bisher auch die Grundlage dafür, in schweren Zeiten „ungestört“ regieren zu können.

Dieser neue Lack hat jetzt einen gehörigen Kratzer bekommen. Jessica Rosenthal und ihre Anhänger haben daher eigentlich nur eines erreicht: Sie haben die Glaubwürdigkeit ihres Führungspersonals beschädigt und der Opposition ausreichend Material für Häme geliefert. Allzu oft wird sich die Kanzlerpartei solche Ausrutscher nicht leisten können.

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