Zuerst hört man nur den Motor, der Propeller rotiert immer schneller,
und plötzlich erscheint ein Abbild des Propellers, als würde er
stillstehen. So verhält es sich auch mit der öffentlichen Wahrnehmung
von Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck. Zu Beginn
allseitige Vorfreude auf den Start in ungeahnte Höhen, die
Aufmerksamkeitsspirale dreht sich immer schneller, und plötzlich ergibt
sich ein unerwartetes Bild, das alle vorherigen Projektionen infrage
stellt.
Gewiss hatte man schon zu Beginn gelegentlich den Verdacht, dass es
sich bei der Habeck’schen Sympathie-Vereinnahmung vielleicht auch um
eine Masche handeln könnte, aber diese löste keinen Ärger aus. Denn im
Vordergrund stand ganz die positive Wertung, so sehr wurde sein
Kommunikationsstil gelobt, der einschließt und nicht ausschließt, der
Nachfragen großen Raum zu lassen scheint. So sehr transportieren seine
Mimik und der Sprachstil die Intensität des Nachdenkens (aber „wir
werden das Problem lösen“), die gewaltige Verantwortung (weil „alle sehr
unter Druck stehen“), die großen Zweifel (die „kann man verstehen“).
Die Zweifel müssen aber unabdingbar immer wieder zur Seite geschoben
werden, denn es handelt sich grundsätzlich um eine „unangenehme
Entscheidung, aber eine notwendige“. Zu Beginn der Corona-Krise musste
man bei Jens Spahns Sentenz über die Fehler, die man sich wird verzeihen müssen,
noch an eine antizipierte Selbstentschuldigung denken. Doch
Wirtschaftsminister Robert Habeck macht das echte Leiden des
Berufspolitikers sichtbar, der nicht anders kann, als sich seiner
Verantwortung zu stellen. Zuletzt sah er sein Ministerium sogar im
institutionellen Burn-Out, und – so muss man mutmaßen – auch er selbst
scheint davon nicht mehr weit entfernt zu sein. Also eine
Perfektionierung, ja geradezu Überhöhung der repräsentativen Demokratie,
die Selbstaufopferung der handelnden Repräsentanten mit eingeschlossen.
Ein unsicherer Kandidat
Dann aber begann sich das mediale Rad immer schneller zu drehen, und
Habeck stand selbst am Gashebel. Er kam nicht mehr aus den Schlagzeilen,
und zwar nicht als erfolgreicher und zielstrebiger Pilot in schwerem
Wetter, sondern als unsicherer Kandidat, der seine Projekte nicht
durchdenkt, der seine Allianzen nicht klärt. Aber die positive Wertung
hielt stand: jemandem, der sich so abquält, kann man die Schlagzeilen,
sogar seine Fehler nicht wirklich übelnehmen.
Dass ein Wirtschaftsminister beim Konzept einer „Gasumlage“
wirklich übersehen kann, dass man damit auch die niedrigpreisig
hergestellten Rohstoffe subventioniert und auf diesem Wege die
Extraprofite dieser Anbieter sogar noch stabilisiert, das lässt einen
zwar sprachlos zurück. Aber er erklärte es so nett, dass niemand es ihm
übelnahm. Und der Eindruck, der Minister müsse sich die Sachverhalte bei
jedem TV-Auftritt zugleich immer wieder selbst erklären, steigerte das
Mitleid der Zuschauer ins Unermessliche. Man wollte ihn nur zu gerne
anrufen und ihm die umfangreiche Literatur aus den 70ern vorbeibringen,
die bereits damals Windfall-Profits und Merit Order als Charakteristikum
der Rohstoff-Ökonomie in allen Facetten erklärt hat. Wir hatten ja
schon mal eine Energiekrise.
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Aber die Aufmerksamkeits-Drehzahl war längst nicht am Limit. So wurde
auch das Überbordwerfen der Grundsätze, wofür man ihn bzw. seine Partei
gewählt hat, vom Publikum leicht verziehen – oder versagte schlichtweg
die Wahrnehmung?
Gas-Fracking (USA) steht plötzlich hoch im Kurs (zerstört ganze
Landschaften und kommt jetzt per Schweröl-betriebenen LNG-Frachter über
den Atlantik), AKW laufen weiter (unter wechselnden begrifflichen
Verklausulierungen), der Kniefall in lupenreinen Diktaturen
(Scharia-Staat Katar) bei der Beschaffung von fossilen Energien muss als
unvermeidlich erscheinen, der Restbestand pazifistischer Grundprinzipien
wird gleich mit entsorgt (jetzt auch Waffenlieferungen in
Kriegsgebiete). Weitere Themen stehen auf der Long List, „grüne“
Gentechnik, digitale Überwachung à
la China zur Erzielung erwünschter Verhaltensweisen (kalt duschen),
Einsatz der Bundeswehr im Inland (natürlich nur gegen sogenannte
Querdenker und „Delegitimierer“).
Schlechtes Wetter
Nun hat es der Wirtschaftsminister auch nicht leicht, er fliegt
sozusagen bei schwerem Wetter. Der Ukraine-Krieg schließt nahtlos an die
Corona-Krise an, beide überlappen sich in ihren wirtschaftspolitischen
Auswirkungen, die demographischen und weltpolitischen Rahmenbedingungen
mal ganz außen vor. Innerparteilich hat er es mit einer Rivalin Baerbock
zu tun, die nach einigen Skandalen (z.B. Plagiatsvorwürfen,
Corona-Zuschüsse) als Außenministerin im wahrsten Worte Stich-Worte
liefert, die von „Volksaufständen“ bis hin zur Irrelevanz-Erklärung
ihrer Wähler reicht.
Zwar hat Habeck, sollte die Beschlusslage Bestand haben, gute Karten
in einer innerparteilichen Urabstimmung zur Kandidatenkür für die
Bundestagswahl 2025, aber in der „Fortschrittskoalition“ namens Ampel
gibt es nicht weniger Streit. Geradezu paradigmatisch mutet die
Konkurrenz mit dem Finanzminister (Thema Schuldenbremse, AKW-Betrieb)
an, und die von den Medien bereits ja angetönte Rivalität mit dem
Bundeskanzler, der – bedrängt von Cum-Ex und anderen Dingen – ganz
anders kommuniziert, quantitativ und qualitativ, zehrt an den Kräften.
Authentizität darf nicht gespielt wirken
Von größerer Bedeutung ist jedoch noch der Vergleich mit dem Bundesgesundheitsminister, Karl Lauterbach.
Zunächst gibt es kaum Zweifel, dass sich Habeck gegenüber dessen
Arroganz in jeder Hinsicht wohltuend abhebt. Lauterbach predigt die
absolute Wahrheit der Wissenschaft, „seiner“ Wissenschaft, und hat immer
eine Studie parat, die scheinbar alle anderen Aspekte hinwegfegt. Aber
auch wenn er noch so viele Komikerauftritte absolvieren
würde (die sich in diesem Kontext als armselige Anstrengungen
entpuppen), nie käme er an das kommunikative Format von Habeck heran.
Dieser braucht nämlich nicht auf eine externe, mit dem Begriff (nicht
der Methodik) „Wissenschaft“ gelabelte Instanz zurückzugreifen, sondern
macht durch sein Auftreten selbst die Komplexität der Situation
deutlich. Er nennt Alternativen, er lässt Ambivalenzen zu und lädt zu
Nachfragen ein.
Von mehreren Seiten, so durch Armin Nassehi in der Wochenzeitung Die Zeit,
wurde deutlich hervorgehoben, dass diese Form der Kommunikation in
unsicheren, krisenhaften, kaum zu begreifenden Situationen wie der
heutigen durchaus eine sinnvolle Herangehensweise darstellen kann. Nur
so sei Authentizität zu generieren (nicht durch Faktenreiterei), nur so
sei ein lernendes System zu skizzieren.
Allerdings funktioniert all dieses nur unter einer Bedingung: es darf
nicht der Verdacht aufkommen, dass alles nur gespielt ist, dass es sich
lediglich um gestellte Authentizität handelt. In den Medien wird ja
bereits diskutiert, ob es Habecks eigene Eitelkeit ist, oder ob
fachliche Defizite zugrunde liegen – Tatsache ist, dass er die Drehzahl
der Habeck‘schen Aufmerksamkeitsökonomie immer weiter hochzieht. Bis zu
dem Augenblick, und da befinden wir uns jetzt, dass sich plötzlich ein
ganz anderes, aber klares Bild präsentiert. Und die Unterschiede zu
seinem linear denkenden Kollegen aus dem Gesundheitsministerium
verschwinden wie auf einen Schlag.
Home-Schooling und warme Schokolade
Dieses Bild ist nicht günstig, sondern stellt die soziale Herkunft
und Verbundenheit von Habecks Partei ins grelle Scheinwerferlicht. So
wie die Haus- und Ferienhausbesitzer kaum unüberwindbare Schwierigkeiten
hatten, während der Corona-Lockdowns Home-Office, Gartenparties und
Kinderbetreuung zu organisieren, so wenig wird diese Bevölkerungsschicht
Schwierigkeiten haben, ihre Home-Büros, Wohnräume und Kinderzimmer im
kommenden Winter zu heizen und die teuren Induktionsherde in der
Designerküche zum Wummern zu bringen. Sollten die Schulen aus Corona-
und/oder Energiegründen geschlossen werden, kein Problem mit
Home-Schooling und warmer Schokolade, vielleicht für den Privatlehrer
gleich mit.
Den „kleinen Leuten“ wird die Zimmertemperatur beim Homeoffice auf 17
Grad runtergedreht, warum denn nicht mit Ohrenschützern und Skisocken
in der Zoom-Konferenz sitzen, so wird es heißen. Ganz abgesehen von dem
schon vorbestehenden sozialen Gradienten, der bei uns mittlerweile
Gesundheit und Lebenserwartung als zwischen reich und arm ungleich
verteiltes Gut differenziert, wird Corona-„Resilienz“ (um dieses
Modewort nicht auszulassen) genauso wie die Verfügbarkeit knapper
natürlicher Ressourcen zu einer reinen Frage des Geldbeutels.
In komplexen Systemen steuern zu können
Man kann es in höherer Abstraktion auch so sagen: an dieser Stelle
zeigt sich die zentrale Schwäche der heute so angesagten Systemtheorie
mit ihrem Lieblingsthema der Komplexität. Klar, es gibt eine
unübersehbare Zahl von Einflussfaktoren, deren Interaktionen wir nicht
erfassen können (manchmal können wir sie erahnen), es gibt auch Regeln
dahinter – die wir allerdings nicht kennen und nur ansatzweise
kennenlernen können. Auch in der Gesundheitsversorgung und in der
Beurteilung der Effekte sowohl medizinischer als auch struktureller
Eingriffe spielt dies eine wichtige Rolle.
Die zentrale Fähigkeit von Führungspersonal besteht immer wieder
darin, in komplexen Systemen steuern zu können. Doch eine Leerstelle
bleibt, auch für die Systemtheoretiker, nämlich die Frage: for what? Was
ist der letztendliche Output, wie sieht das relevante Ergebnis aus, für
wen ist das Ergebnis konkret relevant – und welcher Standpunkt ist zur
Beurteilung einzunehmen? Wer profitiert, wer hat Nachteile, wessen
Perspektive wird zur herrschenden Doktrin?
Sozial-ökologische Transformation
Habecks Credo tritt plötzlich offen zutage, er verfolgt den Plan der
„großen, sozial-ökologischen Transformation“. Diesen Begriff wurde nicht
zuletzt vom Wiener Politologen und Soziologen Ingolfur Blühdorn in seinem neuen Reader „die Nicht-Nachhaltigkeit der Nicht-Nachhaltigkeit“ geprägt. Sein Kollege Daniel Hausknost
sekundiert und problematisiert hierzu die „gläserne Decke der
Transformation“, die letztlich aus der Unbeweglichkeit der
demokratischen Strukturen und dem Egoismus der Wähler gestrickt ist.
In einem vorangegangenen Werk mit dem Titel „Simulative Demokratie“
hat Blühdorn hierzu bereits im Jahr 2013 die Grundlage gelegt. Er geht
vom Begriff der Modernität aus und differenziert das gängige Konzept der
„Post-Moderne“ dahingehend, dass es nach der Moderne mit ihrer
technischen Orientierung (das Individuum ist eine Rädchen und nicht
mehr) zunächst zur Betonung der individuellen Identität kommt (2.
Moderne), die jedoch von einer 3. Moderne mit dem Kennzeichen der
inszenierten Identität gefolgt wird. Das wirkliche Ausleben der eigenen
Identität wird zu anstrengend, erst recht im Hinblick auf die Ausübung
der politischen Rechte, und im Selfie-Zeitalter erlauben die digitalen
Endgeräte die Illusion einer endlosen, aber eben nur virtuellen
Existenz.
Diese Differenzierung legt Blühdorn auf den Begriff der Demokratie um
und zieht die Konsequenz, dass einzig die Simulation der Demokratie aus
dem Dilemma herausfinden kann: man solle die Demokratie nicht
eliminieren, aber man muss sie derart umgestalten, dass es mehr um das
simulierte Verfahren als um die harten Sachentscheidungen geht. Die
Bürger sollen sich beteiligt fühlen und diese gefühlte Beteiligung auch
ausüben, also Bürgerräte ohne Ende, aber bitte die Sachentscheidungen
hinter verschlossenen Türen. Er scheut zunächst vor den Konsequenzen
zurück und entschuldigt sich fast für diese Analyse, im aktuellen Reader
zur „Nicht-Nachhaltigkeit“ sind seine Zweifel jedoch verflogen und er
plädiert klar für die Simulation demokratischer Verfahren als Grundlage
für die angestrebte Transformation.
Politik als Simulation
An diesem Punkt gibt der rasend sich drehende Propeller plötzlich das
Muster frei, rasch vergänglich, aber deutlich erkennbar: Bedenken,
Zweifel, Authentizität als Simulation, klare Ansage der Transformation
als Hintergrund. Anders als der lineare Top-Down-Durchgriff Lauterbachs,
der immer durch die begrenzte antizipatorische Kapazität des „oben“
begrenzt ist und daher in komplexen Systemen nur Anfangserfolge erzielen
kann, wird der simulative Zugang gerade durch die vorgespiegelte
Ambiguität eine viel größere Wirkmacht erlangen. Diskurssimulation im
Vordergrund, im Hintergrund eine Kombination von technologischem und
neoliberalem Ansatz.
Letztlich sollen es die finanziellen Anreize richten, eine gerechte
Chancenverteilung wird der identitätspolitisch abgesicherten, aber nie
verwirklichten Gleichstellungsprosa geopfert. Wer wird noch nach den
400.000 neu zu errichtenden Wohnungen fragen, die im Koalitionsvertrag
stehen, gleichzeitig werden die Innenstädte durch die teuren
Energiesanierungen weiter gentrifiziert.
Es bleibt in diesem Sinne keine andere Wahl, ein Umkehren ist nur
schwer vorstellbar: „jetzt erst recht“ erfolgreich habecken, das dürfte
die Losung für das weitere Vorgehen großer Teile des politischen
Personals der Zukunft sein. Der Schritt zur geführten Demokratie, zur
illiberalen Demokratie ist dann nicht weit, denn bohrende, richtig ins
Mark der Führenden treffende Nachfragen und Recherchen darf es nicht
geben – zu groß ist die Gefahr, dass in der raschen, rasenden Bewegung
das reale, auch verräterische Muster zu deutlich erkennbar wird. Die
zunehmende Verengung des Diskursraumes ist schon zu verspüren, die
Entwicklung ist bereits im Gange.
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