Wirbel um „Faktenbooster“ - Lauterbach-Ministerium sorgt mit falschen Corona-Daten für Ärger
Focus-Online Redakteur Sebastian Viehmann, 21.09.2022
Müssen
wirklich zehn Prozent aller an Covid erkrankten Personen in die Klinik?
Nein, muss das Bundesgesundheitsministerium zugeben. Dabei
kontrollierten drei hochkarätige offizielle Stellen den „Faktenbooster“.
Experten zeigen sich erstaunt.
Fakten:
- Wegen der Dunkelziffer gibt es mehr Corona-Infizierte als statistisch erfasst. Folglich stimmt die Bezugsgröße nicht
- Daher müssen weder 10 Prozent der Infizierten noch 4 bis 5 Prozent in die Klinik
- Nicht alle positiv Getesteten sind wegen Corona im Krankenhaus. Corona ist ein Nebenbefund. Viele sind wegen etwas anderem im Krankenhaus
Auf
Twitter wurde schnell Kritik an den Daten laut. So schrieb der
Statistiker Daniel Haake, direkt ans BMG gerichtet: „Wie kommen Sie im
'Fakten-Booster' auf die Zahl, dass jeder 10. in Deutschland *aufgrund*
eines schweren Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt werden muss?
Das geben selbst die Zahlen des RKI nicht her."
Das BMG sagt auf
Anfrage von FOCUS online, dass man „den Fehler nicht rechtfertigen
wolle“, auch wenn die Hospitalisierungszahl für den aktuellen
Pandemieverlauf keine große Relevanz habe: „Dieser Satz ist
missverständlich. Es muss vielmehr richtig heißen, dass 'bis zu 10
Prozent' der in Deutschland erkrankten Personen aufgrund eines schweren
Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt wurden. Aktuell liegt der
Anteil laut RKI deutlich niedriger - und zwar zwischen 4 bis 5 Prozent.“
Ministerium veröffentlicht falsche Hospitalisierungszahl
Die „Faktenbooster“-Kampagne bereitet mit kurzen Texten und Grafiken Zahlen und Informationen zu Corona und zu Impfungen auf. Entsprechend hoch ist der Anspruch an die Glaubwürdigkeit der Aussagen. Die Kampagne trägt nicht nur das Signet des Gesundheitsministeriums - inklusive eines stilisierten Karl Lauterbach-Porträts - sondern auch das des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Bundeszentrale zur gesundheitlichen Aufklärung (BZgA).
Laut BMG waren für die Endabnahme der Kampagne
neben dem RKI auch die BZgA sowie die Fachabteilung des BMG beteiligt.
Umso verwunderlicher ist, dass keinem der Expertinnen und Experten in
einem Ministerium, einer Bundesbehörde und einer Bundeszentrale ein
vergleichsweise offensichtlicher Fehler aufgefallen sein soll - die
Daten lassen sich schließlich beim RKI jederzeit per Mausklick abrufen.
Der
"Faktenbooster" des Bundesgesundheitsministeriums zu Corona enthielt
falsche Daten zur aktuellen Zahl der Krankenhauseinweisungen
Auf
die Frage, inwieweit man im RKI die Informationen des „Faktenboosters“
gegenliest, teilt das Institut lediglich mit: „Das RKI äußert sich
generell nicht zu behördeninterner Kommunikation." Die BZgA verweist
aufs Gesundheitminsiterium, weil dort die Kampagne „gesteuert und
verantwortet“ werde.
So viele Menschen müssen ins Krankenhaus
Auf
der Webseite des RKI lassen sich die Daten von 2020 bis heute in
Tabellen abrufen . Im Jahr 2020 lagen die Hospitalisierungsraten bei bis
zu 21 Prozent. In der Spitze wurden pro Woche zwischen 4000 und 6000
Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, was in einzelnen Regionen und
Krankenhäusern auch zu einer hohen Belastung und Bettenknappheit auf
Intensivstationen führte.
Nach der 20. Kalenderwoche 2020 ging die
Rate dann deutlich zurück; im Jahr 2022 während der Omikron-Welle war
sie stets einstellig. In den vergangenen Wochen schwankte die Rate
zwischen zwei und fünf Prozent.
Extrem zurückgegangen ist auch die Anzahl der Verstorbenen unter den Infizierten. Lag diese in der Hochphase der Pandemie laut RKI-Daten noch bei bis zu sieben Prozent , so lag der Anteil in den vergangenen Wochen zwischen 0,03 und 0,17 Prozent . Bemerkenswert ist, dass diese eigentlich sehr positive Entwicklung nicht in den Faktenbooster des Gesundheitsministeriums aufgenommen wurde.
Extrem zurückgegangen ist auch die Anzahl der Verstorbenen unter den Infizierten. Lag diese in der Hochphase der Pandemie laut RKI-Daten noch bei bis zu sieben Prozent , so lag der Anteil in den vergangenen Wochen zwischen 0,03 und 0,17 Prozent . Bemerkenswert ist, dass diese eigentlich sehr positive Entwicklung nicht in den Faktenbooster des Gesundheitsministeriums aufgenommen wurde.
Nicht alle positiv Getesteten sind wegen Covid in der Klinik
Beachten
muss man zudem - dies bestätigten FOCUS online auch mehrere Klinikärzte
- dass Covid-19 seit der Omikron-Welle in vielen Fällen nur eine
Nebendiagnose ist, weil die Patientinnen und Patienten einen positiven
PCR-Test haben. „Viele Patienten, die positiv getestet werden, haben gar
keine Symptome mehr. Das bedeutet, dass im Klinikalltag häufig Covid-19
nur ein Nebenbefund ist. Die Menschen sind wegen etwas ganz anderem bei
uns, zählen dann aber wegen des Befundes als Covid-Patienten“, sagte
zum Beispiel Markus Unnewehr, Chefarzt der Pneumologie und Infektiologie
an der St.-Barbara-Klinik in Hamm, im Interview mit FOCUS Online .
Auf
diesen Umstand weist auch Statistiker Haake auf Twitter hin - und auf
einen weiteren Zusammenhang: „Außerdem ist das Dunkelfeld nicht
berücksichtigt, da gerade jetzt viele Infektionen unentdeckt bleiben.
Dadurch ist der Nenner zu klein. Zusammen ergibt das, dass die ohnehin
schon deutlich niedrigere Zahl, als sie angegeben wird, in Wirklichkeit
nochmals deutlich niedriger ausfällt“, so Haake.
Wirbel um „Faktenbooster“Lauterbach-Ministerium sorgt mit falschen Corona-Daten für Ärger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen