Wer ein Kraftwerk blockiert, ist kein Aktivist, sondern kriminell (NZZ)
In Brandenburg legen 40 Menschen einen Teil
des drittgrössten deutschen Kraftwerks lahm, und fast keinen
interessiert es. Das liegt auch an einer verniedlichenden Sprache, die
Extremisten zu Aktivisten macht.
Stell
dir vor, es ist Energiekrise, und du kannst einfach mal ein Kraftwerk
lahmlegen. So geschehen an diesem Montag im brandenburgischen
Jänschwalde nahe der polnischen Grenze. Etwa 40 Menschen blockierten
Gleise und Förderbänder von Deutschlands drittgrösstem Kraftwerk und
sorgten dafür, dass die Betreiber zeitweise die halbe Anlage vom Netz
nehmen mussten. Ein Unternehmenssprecher sprach später von einem
«Angriff auf die Versorgungssicherheit». Angesichts der prekären
deutschen Lage war das keine Übertreibung.
«Jede
Kilowattstunde hilft»: Das hat der grüne Wirtschaftsminister Robert
Habeck den Bürgern und Unternehmen des Landes schon im Juni
eingeschärft. Bedenkt man, dass die Blockade vom Montag die
Stromproduktion in Jänschwalde um ein Gigawatt reduziert haben soll,
hätte Habeck eine Million Gründe, die Verantwortlichen zu kritisieren.
Aber vom Minister kam – nichts.
Die
ganze Bundesregierung schwieg zu dem Angriff. Die überregionalen Medien
berichteten allenfalls knapp und routiniert. Gewiss, der
Kraftwerksbetreiber Leag protestierte und erstattete Anzeige; er ist
eines der grössten Energieunternehmen im Osten Deutschlands und einer
der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Auch der brandenburgische
Innenminister von der CDU reagierte. Er nannte die Blockierer
«Verbrecher» und wünschte ihnen empfindliche Strafen. Aber den Rest der
Republik liess der Angriff auf eine kuriose Weise kalt.
«Wer nicht hüpft, der ist für Kohle, hey, hey!»
Liegt
es daran, dass die Temperaturen noch herbstlich und die dramatisch
gestiegenen Strom- und Gaspreise bei vielen Bürgern noch nicht in Form
von real gewordenen Rechnungen angekommen sind? Vermutlich auch. Aber
der Hauptgrund für das entspannte Desinteresse dürfte das Etikett sein,
mit dem fast alle Medien die Kraftwerkblockierer reflexhaft präsentiert
haben: als «Klimaaktivisten».
Der
Begriff hat für die meisten Menschen bis heute einen positiven Klang.
Man denkt an Greta Thunberg, ihr selbstgemachtes Schild und ihre
Millionen meist sehr jungen Anhänger. Klima und Aktivismus, das klingt
wie Umweltbewusstsein plus Frühsport: «Wer nicht hüpft, der ist für
Kohle, hey, hey!»
Für
viele Klimaaktivisten ist der Begriff auch nach wie vor passend. Sie
engagieren sich für einen Ausbau erneuerbarer Energiequellen, verzichten
aufs Auto, reisen CO2-sparend und essen kaum Fleisch oder gar keines
mehr. Aber es gibt auch die anderen, die sich vor lauter Sorge ums Klima
nicht nur ein bisschen radikalisiert haben.
Umschwärmte Leitfiguren wie Luisa Neubauer
Sie
kleben ihre Hände auf Strassenkreuzungen oder an historischen Gemälden
fest, durchstechen Autoreifen und versuchen, Teile der
Energieinfrastruktur zu blockieren, mal im Hafen von Hamburg, mal auf
einer Baustelle für ein geplantes Flüssiggas-Terminal. Angetrieben
werden sie dabei auch von medial umschwärmten Leitfiguren wie Luisa
Neubauer, die mal dazu aufrufen, «zu blockieren, was zerstört», und mal
damit kokettieren, eine Pipeline in die Luft zu jagen. Nur im Spass, versteht sich.
Es
wäre falsch, Menschen, die sich – zu Recht – für mehr Klimaschutz
einsetzen, pauschal zu kriminalisieren. Es ist auch falsch, wie etwa die
AfD, von «Klimaterroristen» zu sprechen; noch ist niemand in den
Untergrund gegangen, und noch sind die Mittel des Protests fast
ausnahmslos gewaltlos.
Aber
es ist ebenso falsch, Menschen, die ein Kraftwerk blockieren und damit
die Energieversorgung einer kriselnden Volkswirtschaft gefährden, als
Aktivisten zu bezeichnen. Die Verniedlichung wird dem Ernst der Lage
nicht gerecht. «Sollen sie doch alle kalt duschen», spotteten die
Blockierer von Jänschwalde nach ihrer Aktion auf Twitter. Wie lustig. Im
Winter, bei Minusgraden, würden Stromausfälle schnell lebensbedrohlich
werden.
Wer
Straftaten begeht, um politische Ziele zu erreichen, ist ein Extremist.
So muss man ihn oder sie nennen. Ob der grüne Minister Habeck, der in
Deutschland für die Energiesicherheit hauptverantwortlich ist und nach
eigenem Bekunden um jede Kilowattstunde kämpft, beim nächsten Angriff
auf ein Kraftwerk oder eine Pipeline die richtigen Worte findet?
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