Die Wut auf das grün geprägte Establishment (Cicero+)
Nein, die Grünen stehen – ob es einem passt oder nicht – erstaunlich solide dar. Die Aussetzer Habecks, sein Rumgeeiere bei der Gasumlage, das sture Festhalten am vollständigen Atomausstieg, das Säbelrasseln der Außenministerin, das so gar nicht in die pazifistische Tradition der Grünen passen will, all das scheint an den Grünen abzuperlen. Ja, natürlich gehen die Umfragewerte in einer solchen Situation zurück. Das ist aber nicht verwunderlich. Viel erstaunlicher ist, auf welch hohem Niveau sie verbleiben.
SPD rutscht wieder deutlich ab
Wirklich signifikant an der Forsa-Umfrage vom letzten Dienstag ist
eigentlich nur der Sinkflug von FDP und SPD. Wie man leicht vermuten
kann, hat die zunehmende Unpopularität von FDP und SPD sehr unterschiedliche Ursachen – und das beschreibt auch schon das strategische Dilemma der derzeitigen Koalition.
Beherrscht werden die Schlagzeilen der letzten Wochen vor allem von der
Ukraine samt der gegen Russland verhängten Sanktionen und der Debatte um
die herbstlichen Coronaregeln.
Stehen große Teile der SPD angesichts von Inflation und explodierenden Energiepreisen für massive staatliche Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf (Preisdeckel, Sicherungspakete) und eine tendenziell restriktive Coronapolitik, so versucht die FDP verzweifelt freiheitliche Prinzipien hochzuhalten. Angesichts der Übermacht von Grünen und SPD jedoch mit mäßigem Erfolg.
Und was die SPD angeht, so reicht es zu festzuhalten, dass sie nach ihrem rätselhaften Hoch just zur Bundestagswahl seitdem wieder kontinuierlich auf Normalmaß zurückrutscht. Das ist wenig überraschend. Erst recht in der aktuellen Situation und angesichts der kommunikativen Defizite des Kanzlers.
61 Prozent trauen keiner Partei zu, die Probleme zu lösenBleibt die Frage: Weshalb stehen die Grünen so gut da? Und weshalb
werden sie auch bei den Wahlen in Niedersachsen in zwei Wochen
wahrscheinlich relativ gut abschneiden? Um diese Fragen zu beantworten,
muss man sich einen anderen Teil der Forsa-Studie von dieser Woche
anschauen: Die Zufriedenheit mit den Parteien. Denn laut Umfrage trauen
61 Prozent der Befragten keiner der Parteien zu, mit den Problemen in
Deutschland fertig zu werden. Nimmt man beide Ergebnisse zusammen,
rundet sich das Bild ab.
Mehr aus der „Grauzone“:
- Ein konservativer auf der Thron: God save the King
- Simulierter Punk: Die braven Ärzte
- Nancy Faeser und kommende Proteste: Prophylaktisches Framing
- 100 Jahre Nationalhymne: Die Würde der Uneindeutigkeit
- 70 Jahre „High Noon“: Hymne an das freie Individuum
Unsere Gesellschaft spaltet sich zunehmend in eine Eindrittel-Zweidrittel-Gesellschaft. Auf der einen Seite steht jener Teil der Bevölkerung, der sich gerne als Träger der Zivilgesellschaft versteht und die gängigen Analysen der politischen Lage, unserer Probleme und den daraus resultierenden Notwendigkeiten teilt. Aus diesem Drittel rekurriert sich zu einem ganz erheblichen Teil die Wählerschaft der Grünen.
Kritiker der Grünen dringen mit ihrer Sicht nicht durch
Auf der anderen Seite stehen jene, die dem sogenannten politischen
Mainstreams skeptisch bis ablehnenden gegenüberstehen – von der
Migrationspolitik, über Klimamaßnahmen bis zu Coronarestriktionen oder Gendern
–, gleichzeitig aber bemerken, dass sie mit ihrer Sicht der Dinge nicht
ansatzweise durchdringen. Ihre Ansichten sind nicht erwünscht.
Etwa die Hälfte dieser Gruppe macht bei Wahlen aus alter Gewohnheit oder staatsbürgerlicher Pflichterfüllung nach wie vor lustlos ihr Kreuzchen bei irgendeiner Partei. Man darf vermuten, dass hier insbesondere die CDU noch Wähler findet. Die andere Hälfte jener, die sich nicht mehr politisch gehört fühlen, zählt zu jenem Drittel, das nicht mehr zu Wahlen geht und sich von der Politik ohnehin nichts erwartet.
Es zeichnet sich eine für die Demokratie brisante Situation ab: Hier die Anhänger jener Politik, für die exemplarisch die Grünen stehen (die aber von anderen Parteien längst übernommen wurde) und die sich als die wahren Demokraten und Verteidiger der Institutionen und des Rechts sehen. Dort jene, die zunehmend das Vertrauen in die Parteien, den Staat und seine Institutionen verlieren oder es schon lange verloren haben. Eine Gesellschaft kann eine solche Konstellation aushalten, solang sie die bestehenden Spannungen mit Wohlstand kaschieren kann. Sollten jedoch Phasen der Rezession und der Entbehrungen anbrechen, drohen ernsthafte Konflikte. Wir gehen spannenden Zeiten entgegen.
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