Warum Baerbock Respekt verdient (Cicero+)
Wer sich die Passage mit den vielkritisierten Sätzen der Außenministerin in Gänze anhört, kommt freilich um den Befund nicht herum, dass sie weder auf die Interessen der deutschen Wähler pfeift, noch, dass ihr die Ukrainer wichtiger sind als die Bundesbürger. Geschweige denn hat sie die Demokratie in Frage gestellt – im Gegenteil.
Zitat Baerbock: „Wenn ich als Politikerin das Versprechen gebe, und zum Glück gibt es in
der Demokratie die Möglichkeit, dass Menschen, die anderer Meinung sind
als ich, in vier Jahren sagen, du hast nicht die Wahrheit gesagt… Aber
wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe, wir stehen
euch bei, so lange ihr uns braucht – unabhängig davon, was meine
deutschen Wähler denken –, will ich es einhalten.“
Die Ministerin drehte dann noch eine inhaltsgleiche Schleife
(„solange die Ukraine mich braucht“), um dann die Sanktionen gegen
Russland auch für den Fall zu verteidigen, dass in Deutschland die Leute
demnächst wegen Energieknappheit womöglich auf die Straße gehen. Es sei
deshalb wichtig, individuelle finanzielle Engpässe durch soziale
Maßnahmen abzufedern. Der Saal zollte ihr übrigens Applaus.
(Anm.: " ...meine deutschen Wähler"? Baerbock ist nicht ihren Wählern verpflichtet, sondern sie hat einen Eid geschworen, ihre Kraft zum Wohle des (ganzen) deutschen Volkes zu widmen und Schaden von diesem abzuwenden.)
Nun kann man Baerbocks Wortwahl und die Fokussierung auf ihre eigene Person durchaus kritisieren. Denn es ist ja nicht sie persönlich, die irgendwelche Versprechen gegenüber der Ukraine gegeben hat, sondern die Bundesregierung (und ohnehin dürfte das Ausmaß deutscher Hilfen im militärischen Bereich östlich der Oder bis hin nach Kiew eher kritisch gesehen werden). Aber einer Politikerin vorzuwerfen, dass sie in einer krisenhaften Situation, wie wir sie gegenwärtig erleben, notfalls auch gegen einen möglichen Zeitgeist handelt und eine zumindest mittelfristige Perspektive wählt, geht völlig an der Sache vorbei. Denn Baerbocks Auftritt zeugt eher von Standhaftigkeit denn von Bürgerverachtung. Helmut Schmidt hat seinerzeit auch den Nato-Doppelbeschluss vorangetrieben, obwohl Volkes Meinung in eine andere Richtung ging (von seiner eigenen Partei ganz zu schweigen).
Ausgerechnet Teile jenes Milieus, das (übrigens zurecht) der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel bis heute vorwirft, ihre politischen Entscheidungen maßgeblich von Stimmungen und Umfragewerten abhängig gemacht zu haben, ereifert sich nun über eine Bundesministerin, die ausdrücklich standhaft bleiben will. Und die für ihre – etwas arg pathetisch und selbstgefällig präsentierte – Standhaftigkeit nicht nur bereit ist, ihre Wählerschaft zu vergrätzen, sondern auch sehr plausible Argumente auf ihrer Seite hat. Oder glaubt irgendjemand, der halbwegs bei Verstand ist, man bräuchte nur die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen und Putin einen guten Mann sein lassen, damit plötzlich alles wieder gut wird? Völlig abwegig sind solche Gedanken.
Denn natürlich geht es dem Kreml-Regime darum, den Westen und
insbesondere jene Bundesrepublik herauszufordern, die sich durch eigenes
Verschulden in die fatale Abhängigkeit von russischen Energieträgern
gebracht hat. Solche Fehler nicht zu wiederholen, darum muss es jetzt
gehen. Klein beizugeben, wäre der exakt konträre Weg dazu.
Annalena Baerbock, das sei an dieser Stelle deshalb noch einmal
ausdrücklich gesagt, verdient für ihre in Prag gewählten Worte Respekt.
Und ganz bestimmt keinen Shitstorm.
Siehe auch: «Egal, was meine deutschen Wähler denken»: Aussenministerin Baerbock sorgt mit Aussagen zur Ukraine-Politik für Aufregung (NZZ)
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