Von Susanne Gaschke, 14.08.2022
Unsere Regierung sorgt vor für den Winter. Sollte es zu Protesten gegen die Qualität ihres Krisenmanagements kommen, steht das Framing schon bereit. „Demokratiefeinde warten nur darauf, Krisen zu missbrauchen, um Untergangsfantasien, Angst und Verunsicherung zu betreiben“, sagt Innenministerin Nancy Faeser (SPD).
Ihr Ministerium warnt vor „massiven Straßenprotesten“. Und die Faeser unterstellten Verfassungsschützer raunen von Extremisten, die einander in Telegram-Gruppen Texte über Inflation, Energiekrise oder den Ukraine-Krieg zuschicken.
Als Journalistin denkt man da sofort: Huch! Hoffentlich sind da keine
Artikel aus der WELT dabei. Oder aus der „Zeit“ oder dem „Spiegel“!
Selbst die demokratie- und regierungstreuesten Blätter kommen ja
angesichts der Weltlage nicht ganz daran vorbei, sich mit genau diesen
Themen zu beschäftigen. Und als Bürgerinnen und Bürger tun wir das eben
auch, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.
Es ist unbestreitbar, dass russische Trolle und deutsche Nazis es darauf abgesehen haben, hier alles, was an einer freiheitlichen Gesellschaft gut ist, kaputt zu machen. Es wäre schön, wenn Geheimdienste und Polizei sich darauf konzentrieren könnten, diese Elemente zu identifizieren und sie an ihrem schädlichen Tun zu hindern.
Aber es gibt darüber hinaus sehr viele Leute, die mit dem Kurs der Ampel-Regierung unzufrieden sind – 77 Prozent glauben laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, dass die Bundespolitiker keine Ahnung haben, was die Menschen im Lande bewegt.
Kritische Steuerzahler sind keine Extremisten
Kritische Wahlberechtigte und Steuerzahler sind keine Extremisten, und sie müssen auch nicht wie Kleinkinder vor Extremisten gewarnt werden. Sie sind keine Demokratie- oder Staatsfeinde. Diejenigen von ihnen, die an „Straßenprotesten“, auch an „massiven Straßenprotesten“ teilnehmen, würden erst einmal Gebrauch von ihrem verfassungsmäßig garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung machen – und von der Versammlungsfreiheit. Die gilt im Übrigen sogar ohne Anmeldung.
Als in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren die
Demonstrationen der „68er“ beachtliche Ausmaße annahmen, sprach man von
einer „außerparlamentarischen Opposition“. Deshalb ist es nun auch an
der CDU, darüber nachzudenken, wie außerparlamentarisch sie die
Unzufriedenheit im Winter 2022/23 werden lassen will.
Als wären Sozialdemokraten und Grüne zur Wiederholung aller Obsessionen ihrer Elterngeneration verdammt, schimpfen sie heute natürlich nicht wie früher auf die „Langhaarigen“, „Gammler“ und „Kommunisten“, sondern auf „Schwurbler“, „Verschwörungstheoretiker“ und „Extremisten“.
Noch einmal zum Mitschreiben: Wer die Energie-, die Haushalts- oder
die Corona-Politik der Regierung kritisiert, ist kein Extremist. Gegen
den Regierungskurs zu demonstrieren ist nicht extremistisch. Die
demokratische Ordnung, Pluralismus, Meinungs- und Versammlungsfreiheit –
das sind die Prinzipien, die in unserem Land niemand infrage
stellen darf. Kein Russentroll, kein Nazi, und nicht einmal die
Regierung.
Siehe auch
Nicht mit Rechten demonstrieren? Soll wohl heißen: gar nicht demonstrieren (WELT+)
Kanzler Scholz droht bei unliebsamen Demos indirekt mit der Polizei
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