28 September 2022

Robert Habeck korrigiert seinen Atomkraft-Kurs in Trippelschritten – damit wird er weder Land noch Wählern gerecht (NZZ)

Der andere Blick
Robert Habeck korrigiert seinen Atomkraft-Kurs in Trippelschritten – damit wird er weder Land noch Wählern gerecht (NZZ)
Zwei der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke werden nun «wohl» doch im ersten Quartal 2023 am Netz bleiben. Der grüne Wirtschaftsminister laviert einmal mehr parteipolitisch.
Oliver Maksan, Berlin,
Die deutschen Grünen führen derzeit den nächsten Akt der politischen Oper auf, die schon seit Wochen auf ihrem Spielplan steht. Doch wo im Musiktheater die meist knapp zu erzählende Handlung durch Verzögerung und Wiederholung erst ihren Reiz gewinnt, wendet sich das Publikum in diesem Fall genervt ab. Zu oft schon hat man Robert Habeck dieselbe Arie singen hören.
Da verkündet der Wirtschaftsminister am Dienstagabend, dass Deutschland diesen Winter nicht auf Atomkraft werde verzichten können. Zwei der drei verbliebenen deutschen AKW würden «wohl» im ersten Quartal 2023 am Netz bleiben – und nicht wie geplant am Jahresende für immer den Betrieb einstellen. Als Grund führt Habeck die Unwägbarkeiten in Frankreich an. Mehr als die Hälfte der dortigen AKW sei nicht am Netz. Es fehlten daher Strommengen, die Deutschland zum Teil mit Strom aus Gaskraftwerken ausgleiche. Um der Energiesicherheit willen hält der Minister einen Weiterbetrieb der deutschen AKW – «Stand heute» – für unvermeidlich.
Die FDP macht Druck
Nun könnte man sagen: endlich. Endlich handelt der Minister. Lieber spät als nie. Dennoch findet die bisherige Habeck-Methode auch jetzt Anwendung. Noch immer spricht der in der Wählergunst gefallene grüne Politstar im Konjunktiv, wo die Lage schon lange den Indikativ und Ausrufezeichen verlangt. Das war schon Anfang September so, als Habeck zwei der drei noch aktiven AKW in die «Einsatzreserve» schickte. Sie sollten bis April verfügbar bleiben, aber nicht produzieren dürfen.
Auch jetzt also nur ein bedingter Weiterbetrieb für den – wahrscheinlichen – Fall, dass Frankreich seine Probleme nicht in den Griff bekommt. Ein definitiver Bescheid soll erst noch fallen. Doch der politische Handlungsdruck wird bleiben, denn der liberale Koalitionspartner FDP hat zuletzt die Einführung einer Gaspreisbremse an den Weiterbetrieb der AKW geknüpft.
Gegen Deutschland wird ein Wirtschaftskrieg geführt
Dabei glaubt niemand, dass Deutschland ausgerechnet zu einem Zeitpunkt auf Kernkraft wird verzichten können, wo inzwischen auch auf dem Grund der Ostsee ein Wirtschaftskrieg geführt wird, wo die Gasversorgung des Landes mehr denn je am seidenen Faden hängt. Das hat nicht nur mit Energiesicherheit zu tun. Nicht zu vernachlässigen – wenn man sie auch nicht übertreiben sollte – sind die preisdämpfenden Effekte.
Nun ist offensichtlich, dass der Grund für Habecks Slalomlauf ein parteipolitischer ist. Natürlich hat er wenig Lust, als der Grüne in die Geschichte einzugehen, der den von seiner Partei herbeigesehnten finalen Atomausstieg verzögern musste – und damit womöglich einer Debatte in den Wiedereinstieg wertvolle Anlaufzeit verschafft. Ausserdem sitzt ihm die Niedersachsen-Wahl am 9. Oktober im Nacken.
Das AKW Emsland bleibt ausgenommen
Wie schon bei der sogenannten Einsatzreserve ist auch jetzt das AKW im norddeutschen Emsland ausgenommen. Alles andere hätte den Landesverband der Grünen in Niedersachsen, der mehr noch als andere vom Kampf gegen die Atomkraft geprägt ist, wohl in den offenen Aufstand getrieben. Kurz nach der Landtagswahl folgt dann noch der grüne Bundesparteitag. Ihn will die Parteiführung offensichtlich auch mit der bisher angewandten salomonischen Methode absolvieren.
Nun könnte man einwenden, dass solchermaßen die Spielregeln der Parteiendemokratie nun einmal sind. Möglicherweise folgt Habecks Slalom einem Drehbuch, das für das Land Notwendige im Blick zu haben, ohne dabei die eigene Wählerschaft über Gebühr zu verprellen. Doch die Kosten für diesen Balanceakt sind hoch und werden niemandem gerecht. Das Land wurde und wird mit Ungewissheit belastet, die Betreiber lange im Unklaren gelassen und der grünen Kundschaft ebenfalls kein reiner Wein eingeschenkt.

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