Robert Habeck korrigiert seinen Atomkraft-Kurs in Trippelschritten – damit wird er weder Land noch Wählern gerecht (NZZ)
Zwei der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke werden nun «wohl»
doch im ersten Quartal 2023 am Netz bleiben. Der grüne
Wirtschaftsminister laviert einmal mehr parteipolitisch.
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Die
deutschen Grünen führen derzeit den nächsten Akt der politischen Oper
auf, die schon seit Wochen auf ihrem Spielplan steht. Doch wo im
Musiktheater die meist knapp zu erzählende Handlung durch Verzögerung
und Wiederholung erst ihren Reiz gewinnt, wendet sich das Publikum in
diesem Fall genervt ab. Zu oft schon hat man Robert Habeck dieselbe Arie
singen hören.
Da verkündet der Wirtschaftsminister am Dienstagabend,
dass Deutschland diesen Winter nicht auf Atomkraft werde verzichten
können. Zwei der drei verbliebenen deutschen AKW würden «wohl» im ersten
Quartal 2023 am Netz bleiben – und nicht wie geplant am Jahresende für
immer den Betrieb einstellen. Als Grund führt Habeck die Unwägbarkeiten
in Frankreich an. Mehr als die Hälfte der dortigen AKW sei nicht am
Netz. Es fehlten daher Strommengen, die Deutschland zum Teil mit Strom
aus Gaskraftwerken ausgleiche. Um der Energiesicherheit willen hält der
Minister einen Weiterbetrieb der deutschen AKW – «Stand heute» – für
unvermeidlich.
Die FDP macht Druck
Nun
könnte man sagen: endlich. Endlich handelt der Minister. Lieber spät
als nie. Dennoch findet die bisherige Habeck-Methode auch jetzt
Anwendung. Noch immer spricht der in der Wählergunst gefallene grüne
Politstar im Konjunktiv, wo die Lage schon lange den Indikativ und
Ausrufezeichen verlangt. Das war schon Anfang September so, als Habeck zwei der drei noch aktiven AKW in die «Einsatzreserve» schickte. Sie sollten bis April verfügbar bleiben, aber nicht produzieren dürfen.
Auch
jetzt also nur ein bedingter Weiterbetrieb für den – wahrscheinlichen –
Fall, dass Frankreich seine Probleme nicht in den Griff bekommt. Ein
definitiver Bescheid soll erst noch fallen. Doch der politische
Handlungsdruck wird bleiben, denn der liberale Koalitionspartner FDP hat
zuletzt die Einführung einer Gaspreisbremse an den Weiterbetrieb der AKW geknüpft.
Gegen Deutschland wird ein Wirtschaftskrieg geführt
Dabei
glaubt niemand, dass Deutschland ausgerechnet zu einem Zeitpunkt auf
Kernkraft wird verzichten können, wo inzwischen auch auf dem Grund der
Ostsee ein Wirtschaftskrieg geführt wird, wo die Gasversorgung des
Landes mehr denn je am seidenen Faden hängt. Das hat nicht nur mit
Energiesicherheit zu tun. Nicht zu vernachlässigen – wenn man sie auch nicht übertreiben sollte – sind die preisdämpfenden Effekte.
Nun
ist offensichtlich, dass der Grund für Habecks Slalomlauf ein
parteipolitischer ist. Natürlich hat er wenig Lust, als der Grüne in die
Geschichte einzugehen, der den von seiner Partei herbeigesehnten
finalen Atomausstieg verzögern musste – und damit womöglich einer
Debatte in den Wiedereinstieg wertvolle Anlaufzeit verschafft. Ausserdem
sitzt ihm die Niedersachsen-Wahl am 9. Oktober im Nacken.
Das AKW Emsland bleibt ausgenommen
Wie
schon bei der sogenannten Einsatzreserve ist auch jetzt das AKW im
norddeutschen Emsland ausgenommen. Alles andere hätte den Landesverband
der Grünen in Niedersachsen, der mehr noch als andere vom Kampf gegen
die Atomkraft geprägt ist, wohl in den offenen Aufstand getrieben. Kurz
nach der Landtagswahl folgt dann noch der grüne Bundesparteitag. Ihn
will die Parteiführung offensichtlich auch mit der bisher angewandten
salomonischen Methode absolvieren.
Nun
könnte man einwenden, dass solchermaßen die Spielregeln der
Parteiendemokratie nun einmal sind. Möglicherweise folgt Habecks Slalom
einem Drehbuch, das für das Land Notwendige im Blick zu haben, ohne
dabei die eigene Wählerschaft über Gebühr zu verprellen. Doch die Kosten
für diesen Balanceakt sind hoch und werden niemandem gerecht. Das Land
wurde und wird mit Ungewissheit belastet, die Betreiber lange im
Unklaren gelassen und der grünen Kundschaft ebenfalls kein reiner Wein
eingeschenkt.
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