22 September 2022

Vince Ebert: «Kernenergie ist keine Hochrisikotechnologie»: (NZZ)

Interview
«Kernenergie ist keine Hochrisikotechnologie»: Vince Ebert über die vielen Irrtümer der deutschen Klimapolitik (NZZ)
Der Autor und Physiker kritisiert den Verzicht auf Atomstrom und auf grüne Gentechnik und fordert eine offene Debatte über alternative Konzepte. Die Energiewende führe in den Energiemangel.
Alexander Kissler, Berlin 21.09.2022
Als die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock im Juli den Petersberger Klimadialog eröffnete, erklärte sie: Russlands Krieg habe auch die letzten Skeptiker in Deutschland davon überzeugt, «dass wir nur mit mehr erneuerbarer Energie und Energieeffizienz unsere Energiesicherheit gewährleisten können». Sind Sie, Herr Ebert, auch davon überzeugt?
Ich bin zumindest davon überzeugt, dass Frau Baerbock keine Ahnung hat, was Grundlastfähigkeit bedeutet.
Wieso?
Noch mehr Windräder und noch mehr Solaranlagen lösen nicht das Problem, dass in einer windstillen Nacht dann kein Strom zur Verfügung steht. Sämtliche vorhandenen Pumpspeicherkraftwerke für Strom aus regenerativen Quellen sichern den Bedarf der Bundesrepublik für gerade einmal vierzig Minuten.
Wer so etwas behauptet, sollte noch einmal den Physikunterricht besuchen.
Was lernt man da?
Dass erneuerbare Energien nicht grundlastfähig sind. Wenn man Kernkraftwerke abschaltet, muss man an wind- und sonnenarmen Tagen Kohlekraftwerke auf Volllast laufen lassen. Will man auch diese nicht, müssen Gaskraftwerke einspringen. Wer wie die Deutschen auf alle drei Energiegewinnungsarten gleichzeitig verzichten will, ähnelt dem Mann, der vom Dach springt und hofft, rechtzeitig vor der Landung fliegen zu lernen.
Sie selbst haben den Physikunterricht länger genossen, als es üblich ist.
Ja, ich bin Diplom-Physiker. Festkörperphysik war mein Spezialgebiet. Seit 25 Jahren stehe ich nun auf der Bühne und versuche den Leuten humoristisch ein paar wissenschaftliche Grundlagen näherzubringen.
Sehr erfolgreich scheinen Sie damit nicht zu sein, wenn heute die halbe Welt und ganz Deutschland von der Alternativlosigkeit der Energiewende überzeugt ist.
Das ist in der Tat ein grosses Problem. Unter vier Augen geben viele Experten zu verstehen, dass die Energiewende nicht funktioniert. Aber es ist sehr unpopulär, von allgemein proklamierten Leitkategorien abzuweichen. Erst langsam und unter dem Druck einer Krise wird deutlich, dass die Energiewende schnurstracks in den Energiemangel führt.
Spontan leuchtet es aber ein, dass erneuerbare Energien länger zur Verfügung stehen als begrenzte Kohle- oder Ölvorkommen. Sonne und Wind verbrauchen sich nicht.
Die Sonne schickt uns keine Rechnung, aber der Solaranbieter schon. Es ist extrem teuer und sehr aufwendig, Sonnenenergie in Solarenergie umzuwandeln. Sonne und Wind haben eine sehr geringe Energiedichte. Pro erzeugter Terawattstunde Strom brauchen erneuerbare Energien einen bis zu fünfzigmal höheren Materialaufwand als ein Kernkraftwerk.
Das ändert nichts daran, dass Kernenergie eine Hochrisikotechnologie ist. So hat es der deutsche Wirtschaftsminister Habeck gerade wieder bekräftigt.
Da irrt Herr Habeck. Kernenergie ist keine Hochrisikotechnologie. Selbst der Weltklimarat nennt die Kernenergie einen extrem wichtigen Baustein, um die Klimaziele zu erreichen. Verschiedene Forschergruppen haben den «energy death print» ermittelt. Er gibt für jede Art der Energieerzeugung die Anzahl der Todesopfer pro erzeugter Terawattstunde Strom an.
Lassen Sie mich raten: Kernenergie liegt hinten?
Korrekt! Nach siebzig Jahren industrieller Nutzung schneidet die Kernenergie am besten ab.
Damit ist freilich das Endlagerproblem nicht gelöst.
Dieses Problem ließe sich technisch lösen, aber das ist politisch nicht gewollt. Die Reaktortypen der vierten Generation könnten sogar von Atommüll betrieben werden. Was dann übrig bliebe, hätte eine derart geringe Strahlung, dass man überhaupt kein Endlager brauchte. Die Deutschen, die die sichersten Kernkraftwerke der Welt bauten, verschließen sich leider diesen Chancen.
Sind die Deutschen besonders naturromantisch veranlagt und außergewöhnlich technikskeptisch?
Ich habe ein Jahr in den Vereinigten Staaten gelebt. Dort ist das Thema Klimawandel auch präsent, gerade an der liberalen Ostküste. Aber nur in Deutschland werden Energieformen derart extrem in gut und böse eingeteilt.
Moral erscheint geradezu als Feindbild in Ihrem Buch. In der Wissenschaft, schreiben Sie, sei die Frage nach der Moral «erst mal sekundär», und auch die Natur könne mit ihr nichts anfangen. Was aber bleibt vom Menschen, wenn er nicht mehr nach der Moral seines Handelns fragt?
Keineswegs plädiere ich für unmoralische Handlungen, da hätten Sie mich missverstanden. Mich stört aber die Emotionalität, mit der in der Klima- und Energiedebatte debattiert wird. Nur mit dem Bauchgefühl lassen sich keine Probleme lösen.
Da machen Sie es sich aber leicht. Auch die Befürworter der Energiewende argumentieren mit Zahlen und Fakten, etwa der rapide ansteigenden Erderwärmung.
Die ansteigende Erderwärmung bestreite ich überhaupt nicht. Insofern ist es ja so absurd, dass man klimaneutrale Kernenergie ablehnt.
Es gibt auch Quellen, die besagen, die Häufigkeit von extremen Wetterereignissen nehme zu. Deshalb hörten wir nach der Flutkatastrophe im Ahrtal die Mahnung, wir müssten dringend unseren Lebensstil ändern.
Viel Glück dabei! In den reichen Industrienationen mögen wir es uns leisten können, Industrie und Konsum immer weiter zu reduzieren. Weltweit hingegen werden in den nächsten zehn Jahren rund 100 Millionen Menschen erstmals Zugang zu Strom haben. Da ist es völlig illusorisch, diesen Menschen das Energiesparen oder den Verzicht auf Reisen abzuverlangen. Die CO2-Emissionen steigen global, trotz all den teuren Klimaschutzmassnahmen. Die internationale Energieagentur schätzt, dass auch 2040 noch drei Viertel der weltweiten Energieversorgung aus fossilen Quellen stammen werden.
Man sollte den Klimawandel also hinnehmen, sich anpassen, ohne ihn stoppen zu können?
Klimaschutz hat in den letzten zehn Jahren praktisch nichts gebracht. Das sagen sogar die Vereinten Nationen. Daraus werden sich Probleme ergeben, das ist alles andere als erfreulich. Jedoch müssen wir diese Herausforderung mit begrenzten finanziellen Ressourcen annehmen. Allein schon deshalb verbietet es sich, sehr viel Geld für eine sehr ineffektive Strategie aufzuwenden, wodurch es für die dringend notwendigen Anpassungsmassnahmen fehlt.
Anpassung hiesse, nicht zu nah an engen Flussläufen zu bauen und in heissen Regionen mit der Hitze umgehen zu lernen?
Genau. In Bangladesh sehen wir laut den Berichten des Weltklimarates, dass diese Gegenden nur dann unbewohnbar werden, wenn die Menschen keine Anpassungsmassnahmen vornehmen. Genau das tun sie seit einigen Jahrzehnten. In Form von Dämmen und Deichen, verschärften Bauvorschriften und verbesserten Frühwarnsystemen. So wird sich auch in Zukunft Bangladesh vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels schützen.
Sie schreiben jedoch, möglicherweise sei «unsere Welt so komplex, dass sie sich einer bewussten Steuerung entzieht». Das klingt nach der Devise abwarten, Tee trinken, nichts tun.
Nein. Der Umweltschutz ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Unserer Umwelt geht es dank lokalen Massnahmen so gut wie nie zuvor. Beim Klimaschutz hingegen kann es nur eine globale Lösung oder gar keine geben. Das macht es fast unmöglich, ihn in den Griff zu bekommen.
Sie schlagen dennoch vor, mehr in Technik zu investieren.
Deutschland könnte als Hightech-Land in Kerntechnik investieren, in Kernfusion, in emissionsarme Treibstoffe, in grüne Gentechnik. Stattdessen verbieten wir den Verbrenner und steigen aus vielen anderen Technologien aus. Wie will man so die Zukunft gestalten?
Vielleicht liegt diese Prioritätensetzung auch an gewissen akademischen Vorlieben? Sie stellen im Buch die offene Frage, wie unabhängig der deutsche Wissenschaftsbetrieb eigentlich sei, «wenn es um die aktuelle Energie- und Klimapolitik geht». Haben Sie die Antwort gefunden?
Das ist ein sehr heikles Thema. Auf dem Index für freiheitliche Forschung rangiert Deutschland weit oben. Andererseits gerät ein hauptsächlich staatlich finanzierter Wissenschaftsbetrieb in die Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln. So entsteht eine indirekte Steuerung. Wer zu jenen Themen forscht, die die Politik favorisiert, zu Wind- und Sonnenenergie, E-Mobilität und Biolandwirtschaft, hat gute Aussichten auf staatliche Gelder. Ein genialer Kernphysiker hat es schwer. Eine Berliner Forschergruppe, die einen Kernreaktor der vierten Generation entwickelte, ist mittlerweile nach Kanada ausgewandert. Das ist ein grosses Drama.
Sie kritisieren auch Medien, die die Klima-Themen nach vorne spielen und ihnen so eine Relevanz geben, welche sie bei «echten Menschen», abseits einer «medial überdurchschnittlich präsenten Minderheit», gar nicht hätten.
Mich stört, dass in der Wissenschaftskommunikation derzeit sehr oft Fakten und Weltanschauungen vermischt werden. Es muss immer eine Mahnung oder Warnung dabei sein. In der Wissenschaft geht es darum, Zusammenhänge aufzuzeigen. Die Kernphysik macht keine Aussagen, ob die Kernenergie gut oder böse sei. Wenn Wissenschafter politische Forderungen stellen, machen sie gerade keine wissenschaftlichen Aussagen.
Haben Sie wegen solcher moralischer Askese Ihr Format «Wissen vor acht» im Ersten verloren?
Nein, da will ich nichts unterstellen.
Ihr Nachfolger, Eckart von Hirschhausen, hat kein Problem mit einem gewissen missionarischen Überschwang. Von ihm stammt der Satz, es blieben noch zehn Jahre, «um das Überleben der Menschheit zu sichern».
Da sollte der Kollege mal in den Weltklimabericht schauen. Nirgends ist dort die Rede von einer Katastrophe, einem Untergang, einem Kollaps. Es gibt keinen Point of no Return. Viele Menschen glauben, der Klimawandel wäre vergleichbar mit einem Meteoriten, der auf die Erde zurast. Liest man aber die Berichte des Weltklimarates, so ähnelt der Klimawandel eher einer chronischen Erkrankung wie Diabetes: ein Problem, das man zweifellos behandeln sollte, das aber nicht das Ende der Welt bedeutet. Die apokalyptischen Untergangsszenarien, mit denen pausenlos gedroht wird, sind wissenschaftlich nicht haltbar.
Der Bundeskanzler ist anderer Ansicht. An der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad, sagt Olaf Scholz, «führt kein Weg vorbei». Bis 2030 «müssen wir» die Co2-Emissionen um 48 Prozent gegenüber 2010 reduzieren.
Wie bitte schön soll das gelingen? Deutschland hat ja schon Schwierigkeiten, einen simplen Flughafen zu bauen. Es ist höchste Zeit, die alternativen Konzepte in der Klimapolitik ernsthaft zu diskutieren. Ohne offene Debatten gelingt kein Fortschritt. Niemand hat die absolute Wahrheit gepachtet.
Der Wissenschaftserklärer
Vince Ebert wurde 1968 in Miltenberg geboren. Einem grossen Publikum wurde er durch die Sendung «Wissen vor acht» im Ersten bekannt, die er bis März dieses Jahres insgesamt 262-mal moderierte. Der Diplom-Physiker ist seit 1998 als Wissenschaftskabarettist aktiv. Er schrieb mehrere Bücher, etwa «Denken Sie selbst! Sonst tun es andere für Sie», und ist Vortragsredner. Am 21. September erschien neu bei DTV «Lichtblick statt Blackout. Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen».

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