«Kernenergie ist keine Hochrisikotechnologie»: Vince Ebert über die vielen Irrtümer der deutschen Klimapolitik (NZZ)
Der Autor und Physiker kritisiert den Verzicht auf Atomstrom und auf
grüne Gentechnik und fordert eine offene Debatte über alternative
Konzepte. Die Energiewende führe in den Energiemangel.
21.09.2022
Als
die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock im Juli den
Petersberger Klimadialog eröffnete, erklärte sie: Russlands Krieg habe
auch die letzten Skeptiker in Deutschland davon überzeugt, «dass wir nur
mit mehr erneuerbarer Energie und Energieeffizienz unsere
Energiesicherheit gewährleisten können». Sind Sie, Herr Ebert, auch
davon überzeugt?
Ich bin zumindest davon überzeugt, dass Frau Baerbock keine Ahnung hat, was Grundlastfähigkeit bedeutet.
Wieso?
Noch
mehr Windräder und noch mehr Solaranlagen lösen nicht das Problem, dass
in einer windstillen Nacht dann kein Strom zur Verfügung steht.
Sämtliche vorhandenen Pumpspeicherkraftwerke für Strom aus regenerativen
Quellen sichern den Bedarf der Bundesrepublik für gerade einmal vierzig
Minuten.
In der öffentlichen Debatte heisst es fast unisono, der
Umstieg auf die erneuerbaren Energien müsse beschleunigt werden, damit
Deutschland von den fossilen Stoffen anderer Länder unabhängig werde.
Wer so etwas behauptet, sollte noch einmal den Physikunterricht besuchen.
Was lernt man da?
Dass
erneuerbare Energien nicht grundlastfähig sind. Wenn man Kernkraftwerke
abschaltet, muss man an wind- und sonnenarmen Tagen Kohlekraftwerke auf
Volllast laufen lassen. Will man auch diese nicht, müssen Gaskraftwerke
einspringen. Wer wie die Deutschen auf alle drei Energiegewinnungsarten
gleichzeitig verzichten will, ähnelt dem Mann, der vom Dach springt und
hofft, rechtzeitig vor der Landung fliegen zu lernen.
Sie selbst haben den Physikunterricht länger genossen, als es üblich ist.
Ja,
ich bin Diplom-Physiker. Festkörperphysik war mein Spezialgebiet. Seit
25 Jahren stehe ich nun auf der Bühne und versuche den Leuten
humoristisch ein paar wissenschaftliche Grundlagen näherzubringen.
Sehr
erfolgreich scheinen Sie damit nicht zu sein, wenn heute die halbe Welt
und ganz Deutschland von der Alternativlosigkeit der Energiewende
überzeugt ist.
Das
ist in der Tat ein grosses Problem. Unter vier Augen geben viele
Experten zu verstehen, dass die Energiewende nicht funktioniert. Aber es
ist sehr unpopulär, von allgemein proklamierten Leitkategorien
abzuweichen. Erst langsam und unter dem Druck einer Krise wird deutlich,
dass die Energiewende schnurstracks in den Energiemangel führt.
Spontan
leuchtet es aber ein, dass erneuerbare Energien länger zur Verfügung
stehen als begrenzte Kohle- oder Ölvorkommen. Sonne und Wind verbrauchen
sich nicht.
Die
Sonne schickt uns keine Rechnung, aber der Solaranbieter schon. Es ist
extrem teuer und sehr aufwendig, Sonnenenergie in Solarenergie
umzuwandeln. Sonne und Wind haben eine sehr geringe Energiedichte. Pro
erzeugter Terawattstunde Strom brauchen erneuerbare Energien einen bis
zu fünfzigmal höheren Materialaufwand als ein Kernkraftwerk.
Das
ändert nichts daran, dass Kernenergie eine Hochrisikotechnologie ist.
So hat es der deutsche Wirtschaftsminister Habeck gerade wieder
bekräftigt.
Da
irrt Herr Habeck. Kernenergie ist keine Hochrisikotechnologie. Selbst
der Weltklimarat nennt die Kernenergie einen extrem wichtigen Baustein,
um die Klimaziele zu erreichen. Verschiedene Forschergruppen haben den
«energy death print» ermittelt. Er gibt für jede Art der
Energieerzeugung die Anzahl der Todesopfer pro erzeugter Terawattstunde
Strom an.
Lassen Sie mich raten: Kernenergie liegt hinten?
Korrekt! Nach siebzig Jahren industrieller Nutzung schneidet die Kernenergie am besten ab.
Damit ist freilich das Endlagerproblem nicht gelöst.
Dieses
Problem ließe sich technisch lösen, aber das ist politisch nicht
gewollt. Die Reaktortypen der vierten Generation könnten sogar von
Atommüll betrieben werden. Was dann übrig bliebe, hätte eine derart
geringe Strahlung, dass man überhaupt kein Endlager brauchte. Die
Deutschen, die die sichersten Kernkraftwerke der Welt bauten,
verschließen sich leider diesen Chancen.
Ich
habe ein Jahr in den Vereinigten Staaten gelebt. Dort ist das Thema
Klimawandel auch präsent, gerade an der liberalen Ostküste. Aber nur in
Deutschland werden Energieformen derart extrem in gut und böse
eingeteilt.
Moral
erscheint geradezu als Feindbild in Ihrem Buch. In der Wissenschaft,
schreiben Sie, sei die Frage nach der Moral «erst mal sekundär», und
auch die Natur könne mit ihr nichts anfangen. Was aber bleibt vom
Menschen, wenn er nicht mehr nach der Moral seines Handelns fragt?
Keineswegs
plädiere ich für unmoralische Handlungen, da hätten Sie mich
missverstanden. Mich stört aber die Emotionalität, mit der in der Klima-
und Energiedebatte debattiert wird. Nur mit dem Bauchgefühl lassen sich
keine Probleme lösen.
Da
machen Sie es sich aber leicht. Auch die Befürworter der Energiewende
argumentieren mit Zahlen und Fakten, etwa der rapide ansteigenden
Erderwärmung.
Die
ansteigende Erderwärmung bestreite ich überhaupt nicht. Insofern ist es
ja so absurd, dass man klimaneutrale Kernenergie ablehnt.
Es
gibt auch Quellen, die besagen, die Häufigkeit von extremen
Wetterereignissen nehme zu. Deshalb hörten wir nach der Flutkatastrophe
im Ahrtal die Mahnung, wir müssten dringend unseren Lebensstil ändern.
Viel
Glück dabei! In den reichen Industrienationen mögen wir es uns leisten
können, Industrie und Konsum immer weiter zu reduzieren. Weltweit
hingegen werden in den nächsten zehn Jahren rund 100 Millionen Menschen
erstmals Zugang zu Strom haben. Da ist es völlig illusorisch, diesen
Menschen das Energiesparen oder den Verzicht auf Reisen abzuverlangen.
Die CO2-Emissionen steigen global, trotz all den teuren
Klimaschutzmassnahmen. Die internationale Energieagentur schätzt, dass
auch 2040 noch drei Viertel der weltweiten Energieversorgung aus
fossilen Quellen stammen werden.
Man sollte den Klimawandel also hinnehmen, sich anpassen, ohne ihn stoppen zu können?
Klimaschutz
hat in den letzten zehn Jahren praktisch nichts gebracht. Das sagen
sogar die Vereinten Nationen. Daraus werden sich Probleme ergeben, das
ist alles andere als erfreulich. Jedoch müssen wir diese Herausforderung
mit begrenzten finanziellen Ressourcen annehmen. Allein schon deshalb
verbietet es sich, sehr viel Geld für eine sehr ineffektive Strategie
aufzuwenden, wodurch es für die dringend notwendigen
Anpassungsmassnahmen fehlt.
Anpassung hiesse, nicht zu nah an engen Flussläufen zu bauen und in heissen Regionen mit der Hitze umgehen zu lernen?
Genau.
In Bangladesh sehen wir laut den Berichten des Weltklimarates, dass
diese Gegenden nur dann unbewohnbar werden, wenn die Menschen keine
Anpassungsmassnahmen vornehmen. Genau das tun sie seit einigen
Jahrzehnten. In Form von Dämmen und Deichen, verschärften
Bauvorschriften und verbesserten Frühwarnsystemen. So wird sich auch in
Zukunft Bangladesh vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels
schützen.
Sie
schreiben jedoch, möglicherweise sei «unsere Welt so komplex, dass sie
sich einer bewussten Steuerung entzieht». Das klingt nach der Devise
abwarten, Tee trinken, nichts tun.
Nein.
Der Umweltschutz ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Unserer Umwelt
geht es dank lokalen Massnahmen so gut wie nie zuvor. Beim Klimaschutz
hingegen kann es nur eine globale Lösung oder gar keine geben. Das macht
es fast unmöglich, ihn in den Griff zu bekommen.
Sie schlagen dennoch vor, mehr in Technik zu investieren.
Deutschland
könnte als Hightech-Land in Kerntechnik investieren, in Kernfusion, in
emissionsarme Treibstoffe, in grüne Gentechnik. Stattdessen verbieten
wir den Verbrenner und steigen aus vielen anderen Technologien aus. Wie
will man so die Zukunft gestalten?
Vielleicht
liegt diese Prioritätensetzung auch an gewissen akademischen Vorlieben?
Sie stellen im Buch die offene Frage, wie unabhängig der deutsche
Wissenschaftsbetrieb eigentlich sei, «wenn es um die aktuelle Energie-
und Klimapolitik geht». Haben Sie die Antwort gefunden?
Das
ist ein sehr heikles Thema. Auf dem Index für freiheitliche Forschung
rangiert Deutschland weit oben. Andererseits gerät ein hauptsächlich
staatlich finanzierter Wissenschaftsbetrieb in die Abhängigkeit von
öffentlichen Mitteln. So entsteht eine indirekte Steuerung.
Wer zu jenen Themen forscht, die die Politik favorisiert, zu Wind- und
Sonnenenergie, E-Mobilität und Biolandwirtschaft, hat gute Aussichten
auf staatliche Gelder. Ein genialer Kernphysiker hat es schwer. Eine
Berliner Forschergruppe, die einen Kernreaktor der vierten Generation
entwickelte, ist mittlerweile nach Kanada ausgewandert. Das ist ein
grosses Drama.
Sie
kritisieren auch Medien, die die Klima-Themen nach vorne spielen und
ihnen so eine Relevanz geben, welche sie bei «echten Menschen», abseits
einer «medial überdurchschnittlich präsenten Minderheit», gar nicht
hätten.
Mich
stört, dass in der Wissenschaftskommunikation derzeit sehr oft Fakten
und Weltanschauungen vermischt werden. Es muss immer eine Mahnung oder
Warnung dabei sein. In der Wissenschaft geht es darum, Zusammenhänge
aufzuzeigen. Die Kernphysik macht keine Aussagen, ob die Kernenergie gut
oder böse sei. Wenn Wissenschafter politische Forderungen stellen,
machen sie gerade keine wissenschaftlichen Aussagen.
Haben Sie wegen solcher moralischer Askese Ihr Format «Wissen vor acht» im Ersten verloren?
Nein, da will ich nichts unterstellen.
Ihr
Nachfolger, Eckart von Hirschhausen, hat kein Problem mit einem
gewissen missionarischen Überschwang. Von ihm stammt der Satz, es
blieben noch zehn Jahre, «um das Überleben der Menschheit zu sichern».
Da
sollte der Kollege mal in den Weltklimabericht schauen. Nirgends ist
dort die Rede von einer Katastrophe, einem Untergang, einem Kollaps. Es
gibt keinen Point of no Return. Viele Menschen glauben, der Klimawandel
wäre vergleichbar mit einem Meteoriten, der auf die Erde zurast. Liest
man aber die Berichte des Weltklimarates, so ähnelt der Klimawandel eher
einer chronischen Erkrankung wie Diabetes: ein Problem, das man
zweifellos behandeln sollte, das aber nicht das Ende der Welt bedeutet.
Die apokalyptischen Untergangsszenarien, mit denen pausenlos gedroht
wird, sind wissenschaftlich nicht haltbar.
Der
Bundeskanzler ist anderer Ansicht. An der Begrenzung der Erderwärmung
auf 1,5 Grad, sagt Olaf Scholz, «führt kein Weg vorbei». Bis 2030
«müssen wir» die Co2-Emissionen um 48 Prozent gegenüber 2010 reduzieren.
Wie
bitte schön soll das gelingen? Deutschland hat ja schon
Schwierigkeiten, einen simplen Flughafen zu bauen. Es ist höchste Zeit,
die alternativen Konzepte in der Klimapolitik ernsthaft zu diskutieren. Ohne offene Debatten gelingt kein Fortschritt. Niemand hat die absolute Wahrheit gepachtet.
Der Wissenschaftserklärer
Vince Ebert wurde 1968 in Miltenberg geboren. Einem grossen Publikum
wurde er durch die Sendung «Wissen vor acht» im Ersten bekannt, die er
bis März dieses Jahres insgesamt 262-mal moderierte. Der Diplom-Physiker
ist seit 1998 als Wissenschaftskabarettist aktiv. Er schrieb mehrere
Bücher, etwa «Denken Sie selbst! Sonst tun es andere für Sie», und ist
Vortragsredner. Am 21. September erschien neu bei DTV «Lichtblick statt
Blackout. Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen».
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen