Politische Mitte
Die anständigen Bürgerlichen drohen zu Nichtwählern zu werden (WELT+)
Ulf Porschardt, Chefredakteur, 16.09.2022
Menschen der Mitte verlieren in Deutschland ihre politische
Repräsentanz. Die FDP? Beschränkt sich in der Ampel darauf, den größten
Unsinn abzuwenden. Die CDU? Flirtet mit dem Zeitgeist. Und die AfD? Ist
für Anständige eh unwählbar. Die Konsequenz ist so klar wie gefährlich.
Die Ampel regiert nicht
nur Deutschland, sie symbolisiert das Land auch. Je nach politischer
Sortierung ist es eine Koalition, in der zwei Parteien Gas geben und
eine bremst. Oder eine Gas gibt und zwei bremsen. Klar ist: Die Ampel
zieht nicht an einem Strang.
Die undankbare (und nur heimlich heroische) realpolitische Aufgabe
der FDP ist es, den weltfremd moralisierenden Staatsidealismus von SPD
und Grünen einzuhegen und die eigene Identität auf das Abwenden des
Allerschlimmsten zu bescheiden. Das ist bitter und wenig attraktiv, wie
die Umfragen zeigen. Gefragt, ob es aktuell noch eine Option auf eine
Koalition von Fortschritt und Freiheit gäbe, in der es nicht um das
Verhindern ökonomischen Harakiris geht, verneinten zwei kluge
Spitzenliberale wie aus der Pistole geschossen.
Das war direkt nach dem CDU-Parteitag, auf dem die Union ausgerechnet
unter Friedrich Merz beschlossen hat, die Merkelei in die Moralisierung
des Bürgerlichen hinein nicht nur fortzusetzen, sondern zu verschärfen.
Die AfD jubelt, und die anständigen Bürgerlichen, die diese halt- und
wertefreie Partei nicht wählen werden, vergrößern nun den See an der
demokratischen Staumauer, in dem sich die Nichtwähler versammeln.
Die identitätspolitischen Flirts der CDU sind
zudem ein Zeichen, wie fremd diese Partei weiterhin durch die
Stromschnellen des Zeitgeistigen gleitet. Überall im Westen werden die
kulturellen Gegenströmungen stark: Sie werden jünger, diverser,
lustiger. Und exakt in jenem Moment, in dem die Identitätspolitik in den
USA oder UK zum Witz wird, macht die Union damit ernst.
Borniertheit der Medien
Die Gefahr der Spaltung des Landes wird dadurch größer. Die liberalen Schweden bekommen jetzt eine Quittung für ihr zu langes Dulden von allerlei,
in Italien droht der nächste Rutsch ins Hyperpopulistische. Die
kontinuierliche Nicht-Repräsentation weiter Schichten bricht den Rändern
die Bahn.
Dass die Intellektuellen in Deutschland von staatskritischen
Instanzen zu Bücklingen grüner Regierungspolitik geworden sind,
verschärft die Krise, ebenso wie die Borniertheit moralbürgerlicher
Medien, die von Eliten für Eliten schreiben.
Wo soll das enden?
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