Der Lohn des Jammerns: Wer sich im Wohlfahrtsstaat nicht beklagt, hat schon verloren (NZZ)
Der Lohn des Jammerns: Wer sich im Wohlfahrtsstaat nicht beklagt, hat schon verloren (NZZ)
Im Wohlfahrtsstaat werden Leistung und Einkommen zunehmend voneinander
abgekoppelt. Das nennt man Sozialpolitik oder soziale Gerechtigkeit.
Doch die Frage, wie sozial oder gerecht diese Politik ist, hängt von der
Perspektive ab.
Claudia Wirz,
Mit
dem Sujet Frau lässt sich heutzutage prima gegen Kapitalismus und
Wettbewerb zu Felde ziehen. Das kommt nicht von ungefähr. In Zeiten, in
denen die reichen Volkswirtschaften sämtliche klassischen
gewerkschaftlichen Anliegen längst übererfüllt haben, brauchen Linke und
Gewerkschaften ein neues Proletariat, das sie vertreten können, und
neue Formen der Ausbeutung, gegen die sie kämpfen können.
Es
ist das Kerngeschäft der Gewerkschaften und ihrer zugewandten Orte,
Missstände anzuprangern und Abbitte einzufordern. Eine Gewerkschaft, die
mit der Welt zufrieden ist, hätte nichts mehr zu melden. So finden die
Gewerkschaften auch in der solidarischen Überflussgesellschaft stets
Benachteiligte, um die sie sich kümmern können.
«Die Frau», die Zukurzgekommene
Und
hier kommt «die Frau» ins Spiel. Sie lässt sich bestens als
Zukurzgekommene inszenieren. Sie verdient weniger als der Mann, sie ist
häufiger alleinerziehend, sie arbeitet öfter in Tieflohnbranchen als der
Mann und schafft es seltener in den Chefsessel. In Sitzungen erhält sie
weniger Redezeit, bei Lohnverhandlungen und Finanzanlagen ist sie
zurückhaltend, was ausgenützt wird.
Überdies
leistet sie mehr Gratisarbeit als der Mann, und im fortgeschrittenen
Alter leidet sie mehr als andere unter dem Klimawandel. Und als wäre das
nicht schon elend genug, bekommt die Frau im Alter noch weniger Rente
als der Mann. Und jetzt will man auch noch die Altersvorsorge «auf dem
Buckel der Frauen» reformieren.
Dieses
Narrativ ist stark, aber falsch. Die Frauen sind hierzulande nicht
diskriminiert. Die monierten Probleme mag es geben, aber sie sind in
aller Regel Ergebnis persönlicher Entscheide und Vorlieben – etwa einer
geringeren beruflichen Ambition – und nicht Folge von «strukturellem
Sexismus». Vielmehr sind die Frauen privilegiert. In die staatliche
Altersvorsorge zahlen sie aufgrund tieferer Erwerbseinkommen weniger ein
als die Männer, beziehen aber insgesamt mehr Leistungen, und im
Berufsleben profitieren sie von unzähligen Förderprogrammen und mal
mehr, mal weniger formellen Quotenregelungen – vor allem im
Hochlohnbereich.
Gleiche Rechte, gleiche Pflichten
Doch
ein politisches Dogma, das im Politbetrieb bisher leidlich gut
funktioniert hat – man erinnere sich etwa an die Einführung der
«Lohnpolizei» –, gibt man nicht gerne auf. Und so behandeln die
Gewerkschaften und ihre Parteigänger, die sich selbst so gerne als
Stoßtrupp der Emanzipation darstellen, «die Frau» weiterhin wie ein
hilfloses kleines Wesen, das von der Wiege bis zur Bahre geschützt,
gestützt und gefördert werden muss.
Wer
die Frauen ernst nimmt, traut ihnen zu, ihre privaten Angelegenheiten
und ihr berufliches Fortkommen selber zu regeln. Wer im Alter mehr Rente
will, muss mehr einzahlen. Es ist weder sozial noch gerecht, unter
Berufung auf angebliche systemische Benachteiligungen diese Rechnung zu
ignorieren und Leistung und Einkommen durch Umverteilung immer mehr
voneinander abzukoppeln. Gleiche Rechte – und die haben die Frauen schon
längst – bedingen bekanntlich auch gleiche Pflichten. Es gibt keinen
plausiblen Grund, diesem Grundsatz nicht endlich nachzuleben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen