13 September 2022

Der Wokeness-Wahn, Teil 3 - Gerechte Sprache, schwere Sprache (Cicero+)

Der Wokeness-Wahn, Teil 3
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Gerechte Sprache, schwere Sprache (Cicero+)
Jeder Versuch, die Sprache „gerecht“ zu machen, führt nur dazu, der Sprache Gewalt anzutun. Denn die Kategorie der Gerechtigkeit hat mit Sprache nichts zu tun. Auch hier geht es weniger um Gerechtigkeit als um Macht, anderen vorzuschreiben, wie sie zu kommunizieren haben. Eklatantestes Beispiel ist die sogenannte Gender-Sprache, die, sollte sie sich durchsetzen, zu einer Abkopplung von jeder sprachlichen Tradition führen würde. Teil 3 der Cicero-Serie zu den Auswüchsen der woken Ideologie.
VON INGO WAY am 6. September 2022
Vor einigen Jahren erschien die „Bibel in gerechter Sprache“, ein Projekt katholischer und evangelischer Theologen, in der von „Jüngerinnen und Jüngern“ und von „Pharisäerinnen und Pharisäern“ die Rede ist und selbst Gott nicht mehr der Herr sein darf, sondern zum Beispiel als „ErSie“ bezeichnet wird. Das erntete damals den verdienten Spott. Seinerzeit wusste man eben noch, dass Sprache weder gerecht noch ungerecht ist, sondern ein bloßes Zeichensystem, das es den Sprechern erlaubt, sich über jeden beliebigen Inhalt auszutauschen. Ein unschöner Sachverhalt wird nicht dadurch schöner, dass man die Sprache verhübscht, ein erfreulicher nicht weniger erfreulich, wenn einem die entsprechende Bezeichnung aus irgendeinem Grund nicht gefällt.

Das scheint lange her zu sein. Inzwischen hat sich die Überzeugung breit gemacht, dass auch die Sprache „gerecht“ zu sein hat; und heute wird – in den öffentlich-rechtlichen und einigen privaten Medien, an Universitäten und im Behördenschriftverkehr – krampfhaft alles vermieden, was irgend als diskriminierend aufgefasst werden könnte. Wie so vieles an der woken Ideologie ist auch dieser neue Sprachpurismus aus dem amerikanischen Raum zu uns herübergeschwappt, und wie ein gelehriger Musterschüler versucht man, das Vorbild an Eifer und Beflissenheit noch zu übertreffen.

So bat im Juli 2021 die damalige Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, um Verzeihung dafür, in einem Interview zum Thema Rassismus „das N-Wort“ benutzt zu haben. Baerbock hatte von einem angeblichen Vorfall an einer Schule erzählt, bei dem das Wort „Neger“ gefallen sei – und dieses Wort dann eben auch ausgesprochen. Die Pointe ist allerdings: Es gibt im Deutschen gar kein „N-Wort“. Was in den USA als „N-word“ umschrieben wird, ist der abfällige Ausdruck „nigger“, der nun freilich immer schon nichts anderes war als ein rassistisches Schmähwort. Das englische Pendant zum deutschen Wort „Neger“ ist „negro“ als Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe, die zwar veraltet ist und in heutigen Texten nicht mehr benutzt wird, in Kontexten, in denen sie dennoch Verwendung findet, jedoch nicht ausgepiepst wird (wie der „Neger“ in der gesendeten Fassung des Baerbock-Interviews) und eben nicht das „N-Wort“ ist. Es gibt kein deutsches Wort für „nigger“, und daher im Deutschen auch kein N-Wort. Das ZDF hat im Zuge der Debatte um den neuen Winnetou-Film sogar ein „I-Wort“ (für Indianer) erfunden, das es zu vermeiden gelte. Absurder geht’s kaum noch.

Jargon einer lautstarken Minorität von Sprachaktivisten

Eine spezifisch deutsche Form der Sprachbereinigung ist jedoch das sogenannte Gendern. Ein Problem, das sich im englischen Sprachraum nicht stellt, da dort die weibliche Pluralform ein Schattendasein fristet und von niemandem vermisst wird. Die Verwendung von Gendersternchen, Binnen-Is oder sonstigen „gendergerechten“ Markierungen in Texten wirkt demonstrativ und auftrumpfend; es stört den Lesefluss, ohne irgendeine Information hinzuzufügen. Derlei typografische Stolperfallen entsprechen auch nicht dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Leser, für die all diese Texte schließlich produziert werden und die in ihrem privaten Schriftverkehr – ganz unabhängig von ihrem Bildungsstand – niemals „gendern“ würden.

Manche Nachrichten-Moderatoren bei ARD und ZDF haben inzwischen sogar schon das gesprochene Gendersternchen für sich entdeckt, eine kurze Pause vor dem Suffix „-innen“, den sogenannten Glottisschlag. Gegen diesen Sprachgebrauch in Wort und Schrift regt sich mittlerweile Protest. So heißt es in einem im Juli veröffentlichten und von mehr als 300 Sprachwissenschaftlern und Philologen unterzeichneten Aufruf gegen die Genderpraxis des ÖRR:

„Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hat im März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass Gender-Sonderzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich nicht dem amtlichen Regelwerk entsprechen, da diese Formen Verständlichkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten beeinträchtigen. Diese Missachtung der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln ist nicht mit dem im Medienstaatsvertrag formulierten Bildungsauftrag der Sender vereinbar. Statt ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden, praktizieren und propagieren die Sender in ihrer Schriftnutzung (vor allem in den Online-Formaten) orthografische Freizügigkeit jenseits der verbindlichen Regeln. Auch die gesprochene Realisierung des Gendersterns – mit Glottisschlag – entspricht nicht der geltenden Aussprachenorm.“

Und weiter heißt es: „Es ist bedenklich, wenn immer mehr Journalisten in Unkenntnis der sprachwissenschaftlichen Fakten den Jargon einer lautstarken Minorität von Sprachaktivisten in der Öffentlichkeit verbreiten und sich hierbei fälschlicherweise auf ,Sprachwandel‘ berufen.“

Genus und Sexus sind nicht dasselbe

Der hörbare Glottisschlag ist den meisten Politikern bislang – noch – zu doof. In deren Reden hört man stattdessen unweigerlich die Formulierung „Bürgerinnen und Bürger“, als könnte man die hässlichen Genderformen umgehen, indem man einfach beide grammatischen Geschlechter nennt. Das ist so umständlich wie unnötig. Denn das grammatische Geschlecht (genus) und das natürliche Geschlecht (sexus) sind nicht dasselbe; letzteres bildet sich nicht eins zu eins in der Sprache ab.

Niemand käme von sich aus auf die Idee, mit „Bürgern“ seien ausschließlich Männer gemeint. Wörter bedeuten genau das, was eine Sprachgemeinschaft unter ihnen versteht. Wenn der Plural „Bürger“ seit Jahrhunderten so gebraucht wird, dass er sämtliche Personen umfasst, die die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Landes innehaben, unabhängig von ihrem Geschlecht oder sonstigen Eigenschaften, dann bedeutet er eben genau das. Nicht mehr und nicht weniger.

Weitere Artikel dieser Serie: 

An dieser Stelle hört man von Anhängern des Genderns oft das Argument, bei der grammatisch männlichen Form – Lehrer, Musiker, Franzosen, … – stelle sich im Kopf der Rezipienten automatisch das Bild einer Gruppe von Männern ein. Psychologische Studien hätten das ergeben. Abgesehen von der Schwierigkeit, einem anderen in den Kopf zu gucken, frage sich jeder, ob er diese Assoziation tatsächlich hat. Der Journalist Ingo Meyer hat das in seinem Artikel „Das Märchen vom Gendersterntaler“ (für den er den Theodor-Wolff-Preis in der Kategorie „Meinung“ erhalten hat) getan und ist zu folgendem Ergebnis gekommen:

„Wenn es mit Genum heißt „Die Finnen lieben den Tango“, stelle ich mir ein buntes Völkchen vor: dicke Männer, große Frauen, ein paar Jugendliche, Kinder gar, Opa und Oma. In dem Satz „Die Finninnen und Finnen lieben den Tango“ sehe ich nur noch Frauen und Männer in mittleren Jahren – keine Kinder, keine Jugendlichen und eigentlich auch keine alten Menschen mehr. Aus einem offenen Assoziationsraum ist eine geschlossene Achse geworden, auf der sich Männer und Frauen gegenüberzustehen scheinen.“

Immer liegt ein Erziehungsgedanke zugrunde

Häufig hört man das Argument, Sprache ändere sich ja ohnehin ständig. Selbstverständlich sprechen wir heute nicht mehr so wie zu Zeiten von Goethe, Heine oder Walther von der Vogelweide. Auch ist es nicht bedauerlich, dass man Schwarze heute nicht mehr als „Neger“ bezeichnet und unverheiratete Frauen nicht mehr als „Fräulein“ anspricht – das reflektiert veränderte Wertvorstellungen in der Gesellschaft, die sich dann natürlich auch in der Sprache niederschlagen. Aber es ist eben ein Unterschied, ob sich Sprache im alltäglichen Gebrauch allmählich verändert, oder ob sie – „top down“ – durch aufdringliche Wortneuschöpfungen oder Regelungen in Redaktionen oder im Behördenschriftverkehr wenig behutsam geändert wird, in der Erwartung, dass sich von nun an jeder an die neuen Regeln hält, will er nicht als hoffnungslos ewiggestrig wahrgenommen werden.

Versuche, Sprache per Verordnung zu ändern, gab es immer schon – von den Sprachpuristen des 19. Jahrhunderts, die das Nonnenkloster durch den Jungfernzwinger und die Pistole durch den Meuchelpuffer ersetzen wollten, über die Verfechter einer radikalen Kleinschreibung bis zur Rechtschreibreform von 1996, deren schlimmste Exzesse durch den Einspruch von Sprachwissenschaftlern und Schriftstellern verhindert werden konnten. Immer liegt diesen Bestrebungen ein Erziehungsgedanke zugrunde: Der Masse der Sprecher muss erst beigebracht werden, wie sie ihre Sprache richtig zu verwenden hat.

Dabei glauben die heutigen Sprachaktivisten an ihre eigenen Theorien nicht einmal selbst. Man muss nur einmal die Probe aufs Exempel machen: In kaum einem Text, in dem von „Bürgerinnen und Bürgern“, „Einwanderinnen und Einwanderern“, „Polizistinnen und Polizisten“ die Rede ist, wird das Gendern konsequent durchgehalten. Spätestens im dritten oder vierten Absatz stellt sich beim Autor Erschöpfung ein, und er fällt wieder auf den üblichen, jedermann verständlichen Sprachgebrauch zurück und schreibt von „Bürgern“, „Einwanderern“ und „Polizisten“, ohne dass irgendein Leser nun den Eindruck hätte, da sei ausschließlich von Männern die Rede. Allenfalls wird sich in der Mitte oder gegen Ende des Textes noch einmal dazu aufgerafft, auch die grammatisch weibliche Form wieder mit zu erwähnen, das wirkt dann aber eher wie eine lästige Pflichtübung. Den Charakter des Angestrengten können derlei Texte nie verleugnen.

Abkoppeln von der literarischen Tradition

Sprache gehört allen, nicht nur einigen Aktivisten, die sie als Werkzeug zur Durchsetzung ihrer gesellschaftlichen Wunschvorstellungen benutzen und erwarten, dass die Allgemeinheit der Sprecher ihnen in ihrem neuen Sprachgebrauch folgt. Sprache verändert sich. Aber eben nicht auf Zuruf. Ingo Meyer bringt es in seinem oben erwähnten Artikel auf den Punkt:

„Eingriffe in die Sprache – die etwas völlig anderes sind als systemische Eigenveränderungen – sind im Kern totalitär. Vielleicht fühle ich mich beim Genderthema deshalb an mein Leben in der DDR erinnert, in der es eine ideologisch gefärbte Kunstsprache gab, die man in der Öffentlichkeit nachahmte und im Privaten parodierte. Als ich im vergangenen Herbst im Radio die ersten Male Sprechpausen in Wörtern hörte, fühlte ich eine Entfremdung, als wäre in meine Wohnung eingebrochen und die Hälfte der Möbel umgestellt worden. Der wiederkehrende Singsang von den „Bürgerinnen und Bürgern“ lässt mich ähnlich benebelt weghören wie damals die Ernteberichte der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“. Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke vermochte es kürzlich, in fünf Rundfunkminuten etwa 30-mal die Formel „Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen“ herunterzurattern, ab dem fünften Mal klang es wie „Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei“.

Wenn sich tatsächlich in den Köpfen der jüngeren Generation die Idee verankern ließe, mit der grammatisch männlichen Form seien ausschließlich Männer gemeint, und jede geschlechtsübergreifende Bezeichnung verlange zwingend nach irgendeiner Form des Genderns – sei es der Doppelplural, das Gendersternchen oder gänzlich neue, noch nicht erprobte Formen –, würde das diese Generation von der gesamten bis dato entstandenen (denn ein gegenderter Roman wurde m.W. bisher noch nicht geschriebenen) Literatur abschneiden, die sie dann einfach nicht mehr (richtig) verstehen würde. Von Lessing und Wieland über Karl May und Thomas Mann bis zu Arno Schmidt und Daniel Kehlmann – sie alle wären reaktionäre Chauvinisten, die Frauen durch ihre Sprache „unsichtbar machen“ wollen. Das gälte auch für weibliche Autoren und für Übersetzungen ins Deutsche. Alles Bisherige wäre dann automatisch „veraltet“. Aber wahrscheinlich ist dieses Abkoppeln von jeder Tradition, wie bei so vielem, was diese Kulturrevolution neuen Typs als Fortschritt verkauft, genau der Sinn und Zweck des Ganzen.

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