27 September 2022

Jubel, Entsetzen und Gelassenheit: Der Wahlsieg der Postfaschistin Giorgia Meloni wirbelt die EU auf (NZZ)

Jubel, Entsetzen und Gelassenheit: Der Wahlsieg der Postfaschistin Giorgia Meloni wirbelt die EU auf (NZZ)
Italiens nächste Regierungschefin will den Einfluss der EU zurückdrängen und gegen Migration vorgehen. Mit Viktor Orban sucht sie den Schulterschluss. In Brüssel befürchten viele, dass der Block künftig noch handlungsunfähiger wird.
Daniel Steinvorth, Brüssel 27.09.2022
Giorgia Meloni hatte den Brüsseler Bürokraten den Kampf angesagt. Für Europa, sagte sie im Wahlkampf, sei «der Spaß jetzt vorbei». Mehr Macht für den Nationalstaat forderte die Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia. Weniger Migration und weniger Einfluss der «LGBT-Lobby». Vor allem aber ein Nein zur Vertiefung der EU. Stattdessen ein Staatenbund, der sich um die «grossen Angelegenheiten» kümmere. Was genau Italiens nächste Ministerpräsidentin damit meinte, liess die 45-Jährige offen.

Noch in der Nacht zum Montag gaben Melonis Verbündete zu verstehen, dass für sie der Spaß jetzt erst beginne. «Wir jubeln mit Italien!», schrieb die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch auf Twitter. «Dieser Sieg ist nicht nur der der italienischen Patrioten, sondern der aller europäischen Völker, die an ihrer Souveränität festhalten», freute sich Hélène Laporte vom französischen Rassemblement national. Und auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gratulierte Meloni herzlich auf Twitter.

«Schwerer Moment für die EU»

Im EU-Parlament sitzen die Fratelli d’Italia und Polens Regierungspartei PiS in derselben Fraktion der «Konservativen und Reformer». Matteo Salvinis Lega, Melonis Koalitionspartner, ist Mitglied der weiter rechts stehenden Fraktion «Identität und Demokratie» – zusammen mit der AfD und dem Rassemblement national. Silvio Berlusconis Forza Italia gehört dagegen der Europäischen Volkspartei an. Dass deren Vorsitzender, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, den «Cavaliere» im Wahlkampf unterstützt hatte, sorgte in Brüssel für einige Aufregung. Weber wurde vorgeworfen, ein Steigbügelhalter der Ultrarechten zu sein.

Dieser verteidigte sich und nannte die Berlusconi-Partei eine Kraft der Mitte mit proeuropäischer Grundhaltung. Auch der CDU-Europapolitiker Michael Gahler gab sich gelassen. Mit einer Regierungsbeteiligung der Forza Italia könne verhindert werden, dass Italien nach rechts abdrifte. Außerdem gebe es in der Partei vernünftige Leute wie Antonio Tajani, der früher EU-Kommissar und Präsident des Europaparlaments gewesen sei. Laut Gerüchten könnte Tajani Italiens Außen- oder Verteidigungsminister werden.

Besorgt reagierten dagegen Linke, Liberale und Grüne in Brüssel auf den Wahlausgang. «Giorgia Meloni wird eine Ministerpräsidentin sein, deren politische Vorbilder Viktor Orban und Donald Trump heißen», sagte die SPD-Europaabgeordnete Katharina Barley. Er rechne mit «massiven Auswirkungen auf Europa», sagte der deutsche Grüne Rasmus Andresen warnend. Und auch die FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer spricht von einem «schweren Moment» für die EU. Zu befürchten seien künftig mehr «nationale Alleingänge statt proeuropäische Verlässlichkeit».

Sind die Sorgen berechtigt? Zu erwarten ist wohl, dass Rom in Bereichen wie Einwanderung und Minderheitenrechten mit Brüssel aneinandergeraten wird. Meloni und Salvini hatten im Wahlkampf «geschlossene Häfen» für Migranten, harte Grenzkontrollen und Ausschaffungen versprochen. Hier gehen auch die Vorstellungen der Mitgliedstaaten weit auseinander.

In der Wirtschaftspolitik köderten die Rechtsparteien die Wähler mit teuren Wahlversprechen wie einer Einheitssteuer. Meloni will deswegen Nachverhandlungen zum Aufbaufonds, obwohl Italien mit fast 200 Milliarden Euro schon der größte Empfänger der Corona-Hilfen ist. Die Auszahlung der Gelder ist an das Versprechen gebunden, die Verwaltung und das Justizsystem des Landes zu reformieren. Sollten diese Reformen nicht umgesetzt werden, wäre ein Konflikt mit Brüssel programmiert.

Versteckte Warnung der Kommission

Vorsorglich warnte EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen Roms nächste Regierung deswegen schon einmal vor den «Werkzeugen», deren man sich in diesem Fall bedienen wolle. Gemeint hatte sie damit wohl Vertragsverletzungsverfahren und Klagen, wie sie Brüssel bereits gegen Ungarn und Polen angestrengt hat. In Italien kam das jedoch gar nicht gut an. Von der Leyens Kommentar sei eine «schäbige Drohung», für die sich die Deutsche entschuldigen müsse, ließ der Lega-Chef Salvini ausrichten.

Obwohl die Kommission am Montag beharrlich zum Wahlausgang in Italien schwieg, ist klar, dass sich die Beamten im Berlaymont auf mühsame Verhandlungen mit Rom einstellen. Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn dürfte sich die erklärte Orban-Freundin Meloni klar auf der Seite Budapests positionieren. Und auch in Sachen Russland könnte es für die EU noch unangenehme Wendungen geben.

Zwar steht Meloni nach eigenen Aussagen fest auf der Seite der Ukraine und unterstützt die Sanktionen gegen Moskau. Ihre beiden Partner Salvini und Berlusconi haben jedoch einen guten Draht zu Wladimir Putin. Der Machthaber im Kreml habe ja nur beabsichtigt, Präsident Selenski aus dem Amt zu entfernen und in Kiew «eine Regierung mit anständigen Leuten» zu installieren, meldete sich Berlusconi vergangene Woche zu Wort. Steigen die Inflation und die Energiepreise weiter, wächst das Risiko, dass auch Meloni aus der gemeinsamen Front gegen Putin ausschert.

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