Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschlands größter Handelspartner China, der im vergangenen Jahr deutsche Waren im Wert von 100 Mrd. Euro (101 Mrd. Dollar) gekauft hatte, darunter Autos, medizinische Geräte und Chemikalien, sich ebenfalls in einer schweren Krise befindet.
Ein
nationales Geschäftsmodell, das zum Teil auf die günstige Energie aus einer
Autokratie und der starken Nachfrage aus einer anderen baut, steht vor einer
schweren Zerreißprobe.
Industrie
und Unternehmen stufen aktuelle Situation als bedrohlich ein
Die Folgen
könnten für die Deutschland AG fatal sein: Die deutschen Blue Chips haben
stärker unter den Marktturbulenzen dieses Jahres gelitten, als ihre
Konkurrenten im Ausland.
Sie sind im Laufe dieses Jahres um 27 Prozent auf Dollar-Basis gefallen, fast doppelt so stark wie der britische Leitindex FTSE 100 oder der amerikanische Aktienindex S&P 500. „Die Substanz unserer Industrie ist bedroht“, warnte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), im vergangenen Monat.
Viele
Unternehmen nehmen die Situation als bedrohlich wahr, sagte er. Und durch die
globalisierten Lieferketten könnte sie auch für den Rest der industrialisierten
Welt, die in hohem Maße von deutschen Herstellern abhängig ist, zur Bedrohung
werden.
Hohe
Energiekosten werden auch für Unternehmen zum Problem
Deutschlands
größtes Problem sind die explodierenden Energiekosten.
Der Strompreis für das kommende Jahr hat sich laut BDI bereits verfünfzehnfacht
und der Gaspreis verzehnfacht. Im Juli verbrauchte die Industrie 21 Prozent
weniger Gas als im Vorjahresmonat.
Das ist jedoch nicht auf eine effizientere Energienutzung der Unternehmen zurückzuführen, der Rückgang ist vielmehr einer „dramatischen“ Verringerung der Produktion geschuldet.
Das Kieler
Institut für Weltwirtschaft, eine Denkfabrik, hat seit Juni seine Prognose für
das BIP-Wachstum im Jahr 2022 um 0,7 Prozentpunkte auf 1,4 Prozent nach unten
korrigiert. Es rechnet nun damit, dass die Wirtschaft 2023 schrumpfen und die
Inflation mit 8,7 Prozent die diesjährige übertreffen wird.
Studie
ergibt: Kleine Unternehmen haben stärker zu kämpfen
Kleinere
Unternehmen sind am stärksten betroffen. Laut einer Studie, die die
Unternehmensberatung FTI-Andersch im Juli unter 100 multinationalen Unternehmen
des deutschen Mittelstandes durchführte, haben kleinere Unternehmen stärker zu
kämpfen als größere.
Fast ein Viertel der Unternehmen mit weniger als tausend Beschäftigten hat Aufträge storniert oder abgelehnt oder plant dies zu tun, im Vergleich zu den 11 Prozent der Unternehmen mit mehr als tausend Beschäftigten.
In einem Land mit über 3000 verschiedenen Brotsorten kämpfen etwa 10 000 Bäckereien wie noch nie im Nachkriegsdeutschland um ihre Existenz. Sie brauchen Strom und Gas, um die Öfen zu heizen und um die Knetmaschinen zu betreiben und kämpfen gleichzeitig mit höheren Kosten für Mehl, Butter und Zucker, sowie für Personal.
Mittelständische Unternehmen müssen Produktion einstellen oder reduzieren Eine weitere vom BDI durchgeführte Umfrage unter 600 mittelständischen Unternehmen ergab, dass fast jedes zehnte Unternehmen seine Produktion wegen der hohen Input-Kosten eingestellt oder reduziert hat. Mehr als neun von zehn Unternehmen gaben an, dass die explodierenden Energie- und Rohstoffpreise eine großes oder existentiell bedrohliches Problem darstellen.
Jedes fünfte Unternehmen denkt darüber nach, seine Produktion ganz oder teilweise ins Ausland zu verlagern. Zwei Fünftel gaben an, dass Investitionen in umweltfreundlichere Produktionsmethoden aufgeschoben werden müssen.
Größere energieintensive Unternehmen wie die Chemie- oder Stahlindustrie befinden sich in einer ähnlichen Zwangslage, die noch dadurch verschärft wird, dass sie im Wettbewerb mit Konkurrenten im Ausland stehen, wo die Energiekosten niedriger sind.
Der Chemiegigant BASF, der Erdgas sowohl als Energieträger als auch als Rohstoff einsetzt, hat seine Produktion bereits heruntergefahren und muss sie möglicherweise noch weiter reduzieren. Thyssenkrupp, ein weiterer großer Stahlproduzent, hat seit Januar die Hälfte seines Marktwertes verloren.
Kostendruck auf Unternehmen wird auch durch Subventionierungen nicht sinken
Große multinationale Unternehmen haben oft Fabriken in anderen Ländern, wo Energie günstiger ist. Doch viele, darunter auch BASF mit seinem riesigen stadtähnlichen Firmenkomplex in Ludwigshafen, produzieren weiterhin viel im eigenen Land.
Selbst wenn die Kosten für Rohstoffe sinken, wie es bei einigen der Fall ist, und die Regierung, die Energieversorgung wie versprochen subventioniert, wird der Kostendruck nicht verschwinden.
Vor allem müssen sich die Unternehmen auf harte Lohnverhandlungsrunden mit den mächtigen deutschen Gewerkschaften einstellen. Die Verhandlungen zwischen der IG Metall, der größten deutschen Gewerkschaft, und den Arbeitgebern der mächtigen Automobilbranche stehen kurz vor ihrem Beginn.
„Die IG Metall wird keine Lohnerhöhung unter 8 Prozent akzeptieren“ prognostiziert Ferdinand Dudenhöffer vom Centre Automotive Research, einer Denkfabrik.
Auch Autoindustrie muss sich auf schlechte Auftragslage einstellen
Es wird immer schwieriger, die höheren Kosten an die Verbraucher weiterzugeben. Hakle, ein großer Hersteller von Toilettenpapier, hat Insolvenz angemeldet, nachdem er den drastischen Anstieg der Produktionskosten nicht an die Kunden weitergeben konnte.
Nach mehreren fetten Jahren werden die Auftragsbücher der Autohersteller dünner werden, da die Inflation ein Loch ins Portemonnaie der Autokäufer reißt. Die nächsten zwei, drei Jahre werden laut Dudenhöffer sehr mager ausfallen.
Die Autohersteller können die Produktionsabläufe nicht einfach ändern. Stattdessen werden sie die Kosten durch Kürzungen bei Verwaltung, Forschung und Entwicklung senken.
Wie beim Mittelstand werden die verspäteten Versuche der Automobilindustrie, sich für das Zeitalter der elektrischen und selbstfahrenden Autos neu zu positionieren, vermutlich einen Rückschlag erleiden. Wahrscheinlich werden einige die Produktion in Länder mit niedrigeren Kosten verlagern.
Immer mehr Unternehmen könnten Produktion ins Ausland verlagern
Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg, prognostiziert, dass angesichts der wohl noch eine Weile anhaltenden hohen Energiekosten zwei bis drei Prozent der deutschen Industrieunternehmen mit energieintensiven Herstellungsverfahren ihre Produktion ins Ausland verlagern werden. Ein Großteil der Industriebetriebe wird seine Produktion in diesem und im nächsten Winter drosseln.
ArcelorMittal, ein anderer Stahlriese, hat angekündigt, zwei seiner Werke in Norddeutschland zu schließen und die Mitarbeiter in Zwangsurlaub zu schicken. Die Stickstoffwerke Piesteritz, Deutschlands größter Hersteller von Ammoniak und Harnstoff, zwei wichtigen chemischen Rohstoffen, haben ihre Ammoniakfabriken in Sachsen-Anhalt geschlossen.
Die Schließung hat zu einer Verknappung von AdBlue geführt, einem BASF-Produkt, das für die Reinigung der Motoren von Diesel-Lkws, die Deutschland mit den Auslandsmärkten verbinden, von entscheidender Bedeutung ist.
Dieses Beispiel verdeutlicht, wie sich solche Maßnahmen auf die Lieferketten auswirken. Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft warnt davor, dass „eine ökonomische Lawine auf Deutschland zurollt“. In Kürze werden die Kunden deutscher Unternehmen in aller Welt den Widerhall zu spüren bekommen.
Der Beitrag ist zuerst im Economist unter dem Titel „Germany faces a looming threat of deindustrialisation" erschienen und wurde von Andrea Schleipen übersetzt.
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