25 September 2022

TE-Exklusiv - Berlin-Wahl: Mindestens 285.000 Stimmen irregulär

Berlin-Wahl: Mindestens 285.000 Stimmen irregulär
Rund ein Sechstel der bei der Abgeordnetenhaus-Wahl 2021 abgegebenen Stimmen dürften nach dem Berliner Wahlgesetz nicht gültig sein: Unbeschriebene Protokolle, leere Ergebnislisten und nicht unterschriebene Dokumente verstoßen eigentlich gegen die Wahlordnung. Eigentlich – denn das flächendeckende Versagen der Wahlleitung wird von Medien und Politik gedeckt.
Über 285.000 Stimmabgaben wurden bei die Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl 2021 rechtswidrig protokolliert – zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Wahlprotokolle durch Marcel Luthe, den profiliertesten Beschwerde-Führer gegen das Wahlergebnis. Rund ein Sechstel der abgegebenen Stimmen wäre damit betroffen – und demnach nicht gültig.
Denn laut Landeswahlordnung müssen alle Wahlleiter und Wahlhelfer die Protokolle ordnungsgemäß unterzeichnen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die allgemeinen Wahlgrundsätze eingehalten werden. Genau das ist jedoch bei zahlreichen Protokollen nicht der Fall.
TE-Recherchen im Mai zeigten bereits, dass in vielen Fällen ganze Protokolle und Zähllisten völlig unbeschrieben und ununterzeichnet gelassen wurden. Im großen Stile wurden falsche Wahlzettel ausgeteilt sowie Zähllisten und Protokolle schlichtweg unbeschrieben für gültig erklärt. Nun liegen endlich die Zahlen vor.
In einigen Fällen wurde gar die Ergebnistabelle nicht ausgefüllt – trotzdem gab es ein Ergebnis. In anderen Fällen wurden die Protokolle per Rotstift geändert – oft in unlesbarer Handschrift ohne Nachvollziehbarkeit. Dabei handelt es sich nicht um Fehler in einzelnen Wahllokalen, sondern um ein flächendeckendes Versagen der Wahlleitung.
Ebenfalls ignoriert wurden die Auflagen zur Ordentlichkeit des Wahlvorgangs gemäß Berliner Wahlgesetz. Demnach müssen Stimmzettel geordnet, verpackt und versiegelt weitergeleitet werden. Stattdessen wurden die Protokolle lose und ungeordnet in Bierkisten gelagert.
Wusste der Senat viel früher Bescheid als gedacht?
Zur neuen Zahl, die das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl belegt, gesellt sich auch die Gewissheit: Der Berliner Senat wusste über das Ausmaß des Versagens Bescheid.

Der Senat sowie die für die Durchführung der Wahlen zuständige Senatsverwaltung für Inneres verfügten früh über einen strukturierten Bericht zahlreicher weiterer Vorkommnisse in den Wahllokalen, den beide bisher jedoch gegenüber der Öffentlichkeit verschwiegen hatten: den Bericht der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Wahlen der Polizei Berlin.

Und dabei arbeitet auch der Berliner Landesverfassungsgerichtshof an der Seite des Senats. Kommende Woche werden zahlreiche Wahlbeschwerden geprüft. Aus unerfindlichen Gründen nicht dabei: die detaillierteste, prägnanteste und bekannteste Beschwerde von Marcel Luthe.

Mit Bezug auf die mindestens 285.000 irregulären Stimmen sowie den Bericht der Polizei Berlin wendet sich Marcel Luthe nun erneut in einem TE vorliegenden Schreiben an den Landesverfassungsgerichtshof um doch noch zu erwirken, dass seine Beschwerde geprüft wird. Bis dato ohne Ergebnis.

Die Medien als bester Helfer

TE deckte im Mai in einer großen Rechercheaktion exklusiv das ganze Wahldesaster in Berlin auf und brachte damit den Stein ins Rollen. Hunderte lose Akten, mit Rotstift bekritzelte Listen und haarsträubende Berichte von Wahlleitern waren das Ergebnis von Missplanung, Inkompetenz und zuletzt Blendwerk des Berliner Senats.

Unter größten Mühen digitalisierten unsere Mitarbeiter 40.000 Wahlakten und machten sie öffentlich. Unsere Berichterstattung wurde von den großen Medien verbreitet und kopiert – in der überwiegenden Zahl wurde dabei der journalistische Standard, die Quelle zu nennen, verletzt. Alle Zeitungen der Republik berichteten über den Eklat, doch trotz großer Reichweite blieben Proteste oder weitergehende Recherchen von öffentlichen wie privaten Medien aus.
Weder griffen die Oppositionsparteien den Skandal auf, noch gab es eine laute Forderung nach einer Neuwahl aus den Medien. Was aus einer Recherche, deren Ergebnis eigentlich zur Neuwahl hätte führen müssen, in den Medien gemacht worden ist, kommt einem Offenbarungseid gleich. Die Mehrzahl der Medien spielten den Skandal konsequent herunter.

Der milliardenschwere öffentlich-rechtliche Apparat rührte keinen Finger. Stattdessen wollten Medien und Politik mit dem Verweis auf „Einzelfälle“ und „Mandatsrelevanz“ die Wahlmanipulation als Lappalie einordnen. Als nur wenig später herauskam, dass die „Wahlpannen“ doch mandatsrelevant sind, beschwieg man das Thema wieder.

Das ist nicht nur der Stand der Berliner Politik, sondern ist bezeichnend für den Zustand der gesamten Republik.

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