Von Susanne Gaschke, 27.01.2025, 4 Min.
Der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach schrieb in einem – inzwischen gelöschten – Beitrag auf der Plattform X: «Heute, am Tag 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, führen wir die Vogelschiss-Debatte und Friedrich Merz hofiert AfD. Als erster Demokrat sagt er im Prinzip: wo es mir hilft, lasse ich mich auch von Nazis unterstützen. Moralisch bankrott.»
Ein Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» schrieb, ebenfalls auf X: «In diesem Sinne: Sieg Heil, liebe CDU.» Die Zeitung hat sich mittlerweile von dem Beitrag und der Wortwahl ihres Redaktors distanziert.
Nun kann man die Politik der AfD aus guten Gründen scharf kritisieren. Man darf vielen ihrer Mitglieder und Mandatsträger autoritäre Schwärmereien, unterkomplexe politische Vorstellungen und antipluralistische Tendenzen unterstellen. Manche von ihnen sind wahrscheinlich gefährlich.
Doch man muss auch zur Kenntnis nehmen: Obwohl all dies so sein mag, erfährt die Partei immer grössere Zustimmung. In bundesweiten Umfragen liegt sie gegenwärtig auf Platz zwei hinter der Union, bei mehr als 20 Prozent.
Das Scheitern der Ausgrenzungsstrategie
Mit anderen Worten: Alle «Brandmauern», die ganze moralische Entrüstung im öffentlichrechtlichen Fernsehen, die Nazi-Vorwürfe und Verdammungen, die Anti-rechts-Demonstrationen und Warnungen verhindern nicht, dass die politische Rechte in Deutschland stärker und stärker wird.
Es ist faszinierend, mit anzusehen, wie komplett unfähig SPD, Grüne und Teile der FDP zu sein scheinen, das Scheitern ihrer Ausgrenzungsstrategie zu begreifen. Nicht nur hat sie nicht funktioniert – sie ist anscheinend geradezu ein Konjunkturprogramm für die Rechten. Aus den parteipolitischen Fehlern der amerikanischen Demokraten haben die Linken in Deutschland nichts gelernt.
Eine grosse Mehrheit lehnt die AfD zwar ab – aber eine fast ebenso grosse Mehrheit erwartet, dass das Problem der illegalen Zuwanderung gelöst wird. Nach immer neuen Bluttaten gewalttätiger Migranten und angesichts der allfälligen Beobachtung, dass das Bildungswesen und die Sozialsysteme mit der Integration zu vieler Menschen überfordert sind, müsste die Regierung ernsthaft und wirksam reagieren.
Die Beschwörung von «Zusammenhalt» (inwiefern hätte der in Magdeburg oder Aschaffenburg geholfen?) und Weltoffenheitskitsch überzeugen die Mehrheit längst nicht mehr. Die routinierten Betroffenheitsbekundungen wirken schal. Es fällt immer schwerer, zu glauben, dass Rot und Grün am derzeitigen Zustand wirklich etwas ändern wollen.
Das hat Friedrich Merz erkannt, und ebenso scheint er verstanden zu haben, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung keine allzu grosse Rolle mehr spielt, ob die falschen Leute einer als richtig empfundenen Initiative zustimmen.
Trotzdem bleibt der öffentliche Druck auf Merz nicht ohne Wirkung: Den CDU/CSU-Anträgen zur Migrationspolitik, über die in dieser Woche im Bundestag abgestimmt werden soll, wurde ein expliziter Anti-AfD-Passus beigefügt. Der soll es der Partei demonstrativ schwer machen, ihnen zuzustimmen.
Zu wie viel Selbstverleugnung ist die AfD bereit?
Das ist natürlich ein wenig heuchlerisch, denn die neue Mehrheit würde Merz ja trotz allen Distanzierungen offenbar gern in Kauf nehmen. Aber ist es nicht viel besser, wenn die AfD zur Abwechslung einmal darüber streiten muss, zu wie viel Selbstverleugnung sie im Namen der guten Sache bereit ist? Statt stets mit ihrer Jammerei über Ausgrenzung durchzukommen?
Den Ball ins Spielfeld der AfD zu legen, ist ein neuer Ansatz des Umgangs mit den Rechtspopulisten, doch SPD und Grüne vermögen es nicht so zu sehen. Sie hatten schon vor den jüngsten Entwicklungen manchmal Schwierigkeiten, die Merz-Union überhaupt im «demokratischen» Deutschland zu verorten. Sie suggerieren, ohne SPD und Grüne könne es in Deutschland womöglich gar keine demokratische Politik mehr geben.
Der überzogene Ton der Anfeindungen gegen den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten hat möglicherweise auch mit der grossen Verbitterung sowohl des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz als auch des grünen Vizekanzlers und Spitzenkandidaten Robert Habeck zu tun.
Scholz steht vor dem politischen Nichts
Scholz führt die unbeliebteste Regierung, an die man sich in der Bundesrepublik erinnern kann. Er und Habeck verantworten, jedenfalls in Teilen, katastrophale Wirtschaftsdaten. Ihre beiden Parteien kommen nicht einmal zusammen auf das gegenwärtige Umfrageniveau der Union.
Scholz steht vor dem politischen Nichts, denn einer «grossen Koalition», in der die SPD nurmehr der Juniorpartner wäre, würde er auf keinen Fall angehören. Robert Habeck weiss, dass es nach der von Merz angestossenen Asyl-Initiative mehr als schwierig wird, die Grünen noch zu einer möglichen Zusammenarbeit mit dem Tabubrecher zu bewegen.
So finden sich die beiden starken Männer der kulturellen Linken, die Merz gern als Ewiggestrigen apostrophierten, plötzlich als die Politiker von gestern wieder.
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