07 Januar 2025

Der andere Blick - Die «Brandmauer» gegen die AfD könnte Deutschland teuer zu stehen kommen (NZZ)

"Wer nur aufgrund einer Brandmauer sämtliche Gespräche mit der AfD ablehnt, der gibt allen anderen Parteien gewaltige Verhandlungs- und auch Gestaltungsmacht. Sie wissen dann: Ohne uns geht es nicht."
Die «Brandmauer» gegen die AfD könnte Deutschland teuer zu stehen kommen (NZZ)
Der Auftrag zur Regierungsbildung an Herbert Kickl muss für die CDU eine Warnung sein. Die Christlichdemokraten müssen aufpassen, dass sie nicht als Juniorpartner der AfD enden.
Von Morten Freidel, 06.01.2025, 4 min
Wenn man eine politische Maßnahme danach bewertet, was sie erreichen soll, dann waren die Koalitionsverhandlungen in Österreich ein kapitaler Fehlschlag. Von Beginn an ging es den drei Parteien ÖVP, SPÖ und Neos darum, die rechte FPÖ von der Regierung fernzuhalten. Nun werden die Rechten nicht nur aller Voraussicht nach mitregieren, sie könnten sogar den Kanzler stellen.
Selbst eine Neuwahl bietet keinen Ausweg. Die Partei liegt mittlerweile in Umfragen bei fast vierzig Prozent. Die Ausgrenzungsstrategie hat genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie hätte erreichen sollen: Der Versuch, die Rechten kleinzuhalten, hat sie noch grösser gemacht.
Das hält Lehren auch für Deutschland parat. Die erste lautet: Im kleinen Nachbarland sieht man, was der Bundesrepublik noch blühen könnte. Entscheiden wird darüber die Politik der künftigen deutschen Regierung. Sie muss einen echten Politikwechsel herbeiführen.

Die Wahl am 23. Februar bietet womöglich die letzte Chance, ihn ohne die AfD zu gestalten. Die Wähler wollen mehr Sicherheit, sie wollen die Kontrolle darüber zurück, wer das Land betritt. Sie wollen eine Klima- und Energiepolitik, die die Industrie nicht aus dem Land treibt, und eine Gesellschaftspolitik, die nicht völlig aus dem Ruder läuft.

Inhaltliche Gräben lassen sich nicht zuschütten

Allenthalben ist nun wieder die Rede von einem «Rechtsruck». Das ist Unfug. Was in Österreich und Deutschland geschieht, ist nur die Korrektur eines nahezu unaufhaltsamen Linksrucks in den vergangenen zwanzig Jahren. Insbesondere konservative Parteien haben reihenweise Positionen aufgegeben, die einmal zu ihrem Markenkern gehörten. Sie haben die Stimmung in den Talkshows verwechselt mit der Stimmung im Land.

Die Bürger waren aber nie so progressiv, wie es in den ausgeleuchteten Fernsehstudios den Anschein hatte. Der Aufstieg populistischer Parteien ist ein Ergebnis dieser Repräsentationslücke.

Wollen die in Deutschland derzeit führenden Christlichdemokraten diese Lücke schliessen, dann müssen sie liefern. Womit wir bei der zweiten Lehre aus Österreich sind: Ein künftiges politisches Bündnis sollte sich nur an inhaltlichen Fragen orientieren. Koalitionen, deren einziger Zweck darin besteht, andere am Regieren zu hindern, sind zum Scheitern verurteilt.

Schon die zerbrochene deutsche Regierung hat gezeigt, dass sich inhaltliche Gräben nicht unendlich lange zuschütten lassen. Die gar nicht erst zustande gekommene Regierung in Österreich hat es nun noch einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Die «Brandmauer» hat einen hohen Preis

Da die Christlichdemokraten jedwede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen haben, bleiben ihr als mögliche künftige Partner nur Sozialdemokraten und Grüne (und womöglich die FDP). Mit beiden gibt es kaum Überschneidungen. Mit der SPD könnte die Union eine Reform des Sozialstaats vergessen, womöglich auch die weitere Ertüchtigung der Bundeswehr.

Mit den Grünen hingegen wäre eine strengere Kontrolle der Einwanderung ausgeschlossen, ebenso eine grundsätzliche Neuausrichtung der Klimapolitik. All das aber wollen die Wähler. Man muss nur auf die Umfragen blicken.

Das führt zur letzten Lehre aus dem österreichischen Debakel: Die Strategie der «Brandmauer» hat einen hohen Preis. Selbstverständlich gibt es sehr gute Gründe, eine Zusammenarbeit mit der AfD auszuschliessen. Sie duldet Rechtsradikale in ihren Reihen, denen ein nationalistisches Deutschland vorschwebt. Ranghohe Parteimitglieder stellen die Mitgliedschaft in der Nato und der EU infrage. Jeder dieser Schritte hätte verheerende Konsequenzen für das Land und Europa.

Egal, was die Christlichdemokraten vorhaben, sie müssen unter allen Umständen auf Rechtsstaatlichkeit pochen, genauso wie auf die Mitgliedschaft in der Nato und der Europäischen Union. Das gilt im Übrigen auch für den Umgang mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht.

Man muss sich mit Populisten auseinandersetzen

Wer aber nur aufgrund einer Brandmauer sämtliche Gespräche mit der AfD ablehnt, der gibt allen anderen Parteien gewaltige Verhandlungs- und auch Gestaltungsmacht. Sie wissen dann: Ohne uns geht es nicht.

Die Haltung der Christlichdemokraten ist bequem. Sie entbindet von der Pflicht, sich mit inhaltlichen Fragen auseinanderzusetzen. Nur so aber lässt sich das Politikangebot schärfen. Man kann den Aufstieg von Populisten nicht stoppen, indem man sie ignoriert und ausgrenzt. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, möglichst nüchtern und bis an die Grenze des Zumutbaren.

Für die Union bedeutet das: Im Falle eines Wahlsiegs sollte sie zumindest Sondierungsgespräche mit der AfD nicht scheuen – mit klaren roten Linien. Deutschlands Westbindung beispielsweise ist unverhandelbar.

Macht die Union weiter wie bisher, könnte sie bei der Wahl 2029 als Juniorpartner der AfD enden. Dann stünde Deutschland noch vor ganz anderen Herausforderungen.

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