12 Januar 2025

Kolumne „Lichtblicke“ - Von diesen aktuellen Sensationen hat kaum jemand gehört (WELT+)

Kolumne „Lichtblicke“
Von diesen aktuellen Sensationen hat kaum jemand gehört
Von Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft, 11.01.2025, 4 Min
Gerade haben sich erstaunliche Durchbrüche ereignet, doch sie machen kaum Schlagzeilen. Oder wussten Sie von Abermillionen geretteter Kinder oder dass sich die Walbestände erholen? Sogar im Kampf gegen HIV gelingt Medizinern entscheidender Fortschritt.
Dies ist die erste „Lichtblicke“-Kolumne im neuen Jahr, also ein guter Moment zurückzublicken auf positive Entwicklungen im vergangenen Jahr. Einige schafften es nicht zur großen Schlagzeile in den Medien, was unter anderem an der Negativ-Verzerrung liegt, die zur Auslese schlechter Nachrichten führt. So dürfte kaum jemand von den Fortschritten gehört haben.
Oder haben Sie mitbekommen, dass die Luftqualität in Europa vergangenes Jahr eine Bestmarke erreichte? Wissenschaftler berichteten im Magazin „Nature Communications“, dass Luftschadstoffe in Europa seit 20 Jahren stetig weniger werden.
Auch Indien meldet deutliche Verminderung von Luft-Feinstaub in den Metropolen des Landes. Die Todesfälle durch Luftverschmutzung bei Kindern unter fünf Jahren sei seit 2000 um mehr als die Hälfte gesunken, konstatiert ein UN-Report.
Für Kinder verbesserte sich auch der Zugang zu sauberem Wasser, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO berichtet. Zwischen 2015 und 2023 haben demnach mehr als 200 Millionen Kinder Zugang zu verbesserter Wasser- und Sanitärversorgung erhalten.
Gleichzeitig gehen immer mehr Kinder zur Schule: Zwischen 2000 und 2023 sank die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die keine Schulbildung bekommen, um fast 40 Prozent, berichtet die Unesco. Seit 2015 sind weltweit weitere 110 Millionen Kinder in die Schule gekommen, und 40 Millionen weitere junge Menschen schließen die Sekundarschule ab.

Um auch die Ernährung von Kindern zu verbessern, haben sich Regierungen und Organisationen zusammengeschlossen, um fast eine halbe Milliarde Kinder in der Schule mit Essen zu versorgen, das sind fast 200 Millionen Kinder mehr als im Vorjahr. 104 Länder haben sich mittlerweile der Koalition zur Förderung von Schulmahlzeiten angeschlossen.

Zum Wohl der Kinder

Gleichzeitig geht die wohl größte Erfolgsgeschichte der Menschheit weiter: die Reduzierung der Kindersterblichkeit. Von 1990 bis 2022 sank die Zahl der jährlich sterbenden Kleinkinder in Südasien von fünf Millionen auf 1,3 Millionen, meldet Unicef. Die Wahrscheinlichkeit, dass in der Region ein Kind in seinen ersten fünf Jahren stirbt, ist damit seit dem Jahr 2000 um 62 Prozent gesunken.

Ökologen melden, dass sich unter anderem folgende Tierarten erholt haben: Roter Specht, Iberischer Luchs, Asiatischer Löwe, Saimaa Ringelrobbe, Südlicher Blauflossenthunfisch, Großer Panda, Australisches Salzwasserkrokodil, Siamesisches Krokodil, Orangebauchsittich, Arapaima-Fisch, einige Miesmuschel-Arten, Asiatische Antilope, Gelbfußfrosch, Jangtse-Schweinswal.

Zahlreiche weitere Wal-Arten konnten sich erholen, melden Naturforscher, die unter anderem die nachhaltige Vermehrung von Finnwalen, Narwalen und Blauwalen feststellen. Auch der antarktische Blauwal scheint sich wieder auszubreiten, er wurde in Meeresregionen gesichtet, in denen er seit Jahrzehnten nicht angetroffen worden war.
Zudem ging die Überfischung ging zurück. Bestände im Mittelmeer haben sich erholt, und die Zahl der Fische auf der Überfischungsliste der USA erreichte ein Allzeittief, was wesentlich daran liegt, dass die Menschheit zunehmend von Wildfisch auf Zuchtfisch umsteigt.

Auch Aufforstungsprogramme zeigen Erfolge. Die Demokratische Republik Kongo erreichte vergangenes Jahr mit fast 895 Millionen gepflanzten Bäumen 90 Prozent ihres Ziels, eine Milliarde Bäumen zu pflanzen. In Kenia mobilisierte eine Baumpflanz-App die Einwohner, um 241 Millionen Bäume zu pflanzen.

Die spektakulärsten Verbesserungen kommen aus der Medizin: Für das Wissenschaftsmagazin „Science“ war es der „Durchbruch des Jahres“, als Wissenschaftler meldeten, dass der als Prophylaxe halbjährlich gespritzte Wirkstoff Lenacapavir in einer Studie neue HIV-Infektionen verhindern konnte. Die Herstellerfirma Gilead kündigte an, das Medikament in armen Ländern zu einem vergünstigten Preis verkaufen zu wollen.

Die Zahl der weltweiten Tuberkulose-Todesfälle erreichte 2024 dank verbesserter Therapien den niedrigsten jemals verzeichneten Stand, meldete die WHO. In Afrika gingen die Todesfälle um 42 Prozent zurück. Kambodscha schätzt, dass es durch Tuberkulose-Therapien bereits 400.000 Menschenleben in diesem Jahrhundert gerettet hat.
In bestimmten Gebieten ist die Malaria auf dem Rückzug. Die WHO zertifiziert Ägypten vergangenes Jahr als malariafrei. Auch die Philippinen, Bangladesch, Laos und Ghana meldeten, die von Mücken übertragene und von Parasiten verursachte Krankheit erheblich zurückgedrängt zu haben.

Die Versorgung von Kranken macht ebenfalls Fortschritte. Die Regierung von Indien, des bevölkerungsreichsten Landes der Welt, verkündete im September 2024, die nationale Krankenversicherung ausweiten zu wollen, sodass alte Menschen besser profitieren könnten.

Und Mediziner arbeiten an der nächsten Sensation. Ein Forscherteam gab bekannt, dass es eine Behandlung von Hepatitis B entwickelt hat; an der Krankheit leiden weltweit mehr als 250 Millionen Menschen – sie können sich nun Hoffnung auf Heilung machen.
WELT-Chefreporter Axel Bojanowski berichtet seit 1997 als Wissenschaftsjournalist vor allem über Klimaforschung, Geowissenschaften und Klimapolitik. In seinem neuen Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ erzählt der Geologe vom Klimawandel zwischen Lobbyinteressen und Wissenschaft.

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