Gabor Steingart, 09.01.2025
Aus genau dieser Fähigkeit speist sich das
Reputationskapital, das Musk in seinen Kerngeschäften seit Jahren
anhäuft. Er versteht die kollektiven Sehnsüchte nach CO₂-freier
Mobilität, planetarischer Kommunikation (ohne das Verbuddeln von
Erdkabeln) und einer bemannten Mission zum Mars. Mit cleveren
Geschäftsmodellen geht er daran, die Sehnsüchte in Handlungen zu
verwandeln.
Der politische Influencer Musk wäre ohne seinen ökonomischen Erfolg nicht zu erklären. Innerhalb von nur 20 Jahren stieg der aus Südafrika eingewanderte Ingenieur zum reichsten Mann der Welt auf. Seine drei bekanntesten Firmen Tesla, SpaceX und X sind heute mehr als 1,5 Billionen Dollar wert.
#2 Verleger sind qua Definition Influencer
Da ihm diese Technologieunternehmen nicht ausreichen, legte sich Elon Musk 2022 eine moderne Medienfirma zu, ehemals Twitter, heute X. Dazu muss man wissen: Die Inhaber von Medienunternehmen sind zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte politisch neutral gewesen. Sonst hätten sie eine Schraubenfabrik eröffnet.
Die Besitzer von TV-Stationen und Zeitungen waren immer politisch ambitioniert. Axel Springer flog 1958 nach Moskau und versuchte, die Kreml-Herrscher von der schnellen Wiedervereinigung zu überzeugen. Silvio Berlusconi schaffte es vom Medienunternehmer zum italienischen Ministerpräsidenten. Michael Bloomberg ließ sich in seiner Heimatstadt New York zum Bürgermeister wählen. Rudolf Augstein schaffte es – immerhin – für knapp acht Wochen als FDP-Bundestagsabgeordneter in den Bundestag, bevor er den Spaß an Hinterzimmer-Intrigen und gespielter Volksnähe verlor. Er war lieber Publizist als Populist.
#3 Meinungsfreiheit gilt auch für Milliardäre
Das verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit fragt nicht nach Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Religion und auch nicht nach den Vermögensverhältnissen. Aber: Viele Persönlichkeiten schafften es auch ohne Geld und Organisationsstruktur auf die Frontseite der Zeitungen.
Das prominenteste Beispiel der Gegenwart ist die Klimaaktivistin Greta Thunberg,
die sich nur mit Pappschild in den Schulstreik begab. Auf ihrem Plakat
stand zu lesen „Skolstrejk för klimatet“. Später erst haben die Medien
ihr Potenzial erkannt und sie groß gemacht. Ihr Startkapital war nicht
Geld, sondern Mut.
#4 Keine Panik: Konservative Medienunternehmer beeinflussen die Öffentlichkeit, aber dominieren sie nicht
Es gibt viele Untersuchungen, aber keinen Beleg dafür, dass in westlichen Gesellschaften der freie Wählerwille durch ein Medium oder eine Mediengruppe manipulierbar ist. Brandt wurde trotz Springer-Presse Kanzler. Kohl hielt sich trotz Spiegel-Kampagne 16 Jahre im Amt.
In den USA wurde Obama trotz Hardcore-Widerstand von Fox News und seinem Eigentümer Rupert Murdoch zweimal hintereinander zum Präsidenten gewählt. Donald Trump schaffte es umgekehrt, nicht nur die Demokraten zu besiegen, sondern im öffentlichen Diskurs die Phalanx aus CNN, Washington Post und New York Times zu durchbrechen. Der am meisten überschätzte Beruf scheint der des Medientycoons.
#5 Unternehmer sind nicht automatisch „rechts“
Im Gegenteil: Viele Unternehmer unterstützen progressive Stimmen und Strömungen. Ohne die finanzielle Unterstützung des Fabrikanten Friedrich Engels hätte der chronisch geldknappe Journalist Karl Marx seine dreibändige Reihe „Das Kapital“ niemals vollendet.
Die amerikanischen Präsidenten Clinton und Obama konnten sich auf massive Spenden aus Hollywood und auch von der Wall Street stützen. Die Milliardäre George Soros (Finanzkapital) und Michael Bloomberg (Medienunternehmer) finanzierten demokratische Wahlkämpfe mit Milliardenbeträgen.
Die SPD hatte zu ihren besten Zeiten immer wieder Unternehmer an ihrer Seite, darunter der Porzellanfabrikant Philip Rosenthal. Wichtige gesellschaftliche Impulse wurden von eher linken Unternehmern wie Robert Bosch (Spitzname: „der rote Robert“) und dm-Gründer Götz Werner geleistet, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzte.
#6 Medien können Trends verstärken, aber nicht erfinden
Viele Wahlerfolge in der westlichen Welt erfolgten nicht dank medialer Unterstützung, sondern trotz medialen Gegenwinds. Die SPD holte in der Bismarck-Zeit ihre größten Wahlerfolge nach Verabschiedung der Sozialisten-Gesetze, die ihnen Wahlversammlungen und eigene Zeitungen verboten.
Der wichtigste Influencer zugunsten von Willy Brandt war kein Unternehmer, sondern ein späterer Literaturnobelpreisträger. Sein Elon Musk hieß Günter Grass.
Das Ergebnis war der größte je gemessene Wahlerfolg der SPD in der
Bundesrepublik: 45,8 Prozent der abgegebenen Stimmen bei einer
Rekordwahlbeteiligung von 91,1 Prozent.
Fazit: Am Wahltag werden nicht Elon Musk
und Trump, wohl aber Millionen Deutsche die AfD wählen. Für die
Politiker der Mitte wäre es daher bekömmlicher, sich nicht mit dem
amerikanischen Trommler, sondern mit den deutschen Ursachen des
AfD-Aufstiegs zu befassen. Empörung ist zuweilen nur die Tugend derer,
die sich weigern, ein Problem zu lösen.
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