09 Januar 2025

The Pioneer Business Class Edition - AfD-Trommler Musk: 6 Gründe für demokratische Gelassenheit

So hätte das Spiegel-Cover ausgesehen, wenn...
Business Class Edition
AfD-Trommler Musk: 6 Gründe für demokratische Gelassenheit
Gabor Steingart, 09.01.2025
Guten Morgen,
wenn Elon Musk nicht Alice Weidel, sondern Robert Habeck zum Interview geladen und in einem flammenden Wahlaufruf („Grün ist Deutschlands letzte Rettung“) zu seiner Wahl aufgerufen hätte: viele deutsche Medien wären nicht verstört, sondern erregt gewesen.
Taz, Spiegel und die Süddeutsche Zeitung hätten Musk um die Nachdruckrechte ersucht, derweil ARD und RTL sich mutmaßlich beim Livestream von X dazu geschaltet hätten. Das Ganze hieße dann nicht mehr Propaganda, sondern Bildungsfernsehen.
Die Kommentarlage würde wohlwollend bis euphorisch ausfallen: Tesla-Chef als Trailblazer. Elektropionier weist Deutschland den Weg. Auf dem Spiegel-Cover stünde nicht „Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!“, sondern „Danke, Elon!“.
Doch der Unternehmer und Verleger Musk hat sich bekanntlich anders entschieden. Nach erfolgreicher Wahl- und Spendenkampagne zugunsten von Donald Trump knöpfte er sich nun Scholz („Narr“), Frank-Walter Steinmeier („antidemokratischer Tyrann“) und Habeck („Volksverräter“) vor. Mit pathetischen Worten empfiehlt er, die AfD zu wählen, und lädt Alice Weidel für heute Abend 19.00 Uhr zum Interview auf X ein, womit er ihr eine globale Reichweite von über 200 Millionen Menschen schenkt.
Die Empörungswellen haben seit Tagen nichts von ihrer Heftigkeit verloren. Von einer „Zäsur für die Bundesrepublik“ war im Stern zu lesen.
Ihre Meinung über den Provokateur Elon Musk bilden Sie sich selbst. Hier die wichtigsten Fakten, die zumindest den Empörten bei der Senkung ihres Blutdrucks helfen könnten.
#1 Politik und Persönlichkeit
Ein Führer muss mehr als Show bieten. Er gilt als charismatisch, wenn er in der Lage ist, soziale Erwartungen und kollektive Sehnsüchte in Worte und Handlungen zu fassen.

Aus genau dieser Fähigkeit speist sich das Reputationskapital, das Musk in seinen Kerngeschäften seit Jahren anhäuft. Er versteht die kollektiven Sehnsüchte nach CO₂-freier Mobilität, planetarischer Kommunikation (ohne das Verbuddeln von Erdkabeln) und einer bemannten Mission zum Mars. Mit cleveren Geschäftsmodellen geht er daran, die Sehnsüchte in Handlungen zu verwandeln.

Der politische Influencer Musk wäre ohne seinen ökonomischen Erfolg nicht zu erklären. Innerhalb von nur 20 Jahren stieg der aus Südafrika eingewanderte Ingenieur zum reichsten Mann der Welt auf. Seine drei bekanntesten Firmen Tesla, SpaceX und X sind heute mehr als 1,5 Billionen Dollar wert.

#2 Verleger sind qua Definition Influencer

Da ihm diese Technologieunternehmen nicht ausreichen, legte sich Elon Musk 2022 eine moderne Medienfirma zu, ehemals Twitter, heute X. Dazu muss man wissen: Die Inhaber von Medienunternehmen sind zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte politisch neutral gewesen. Sonst hätten sie eine Schraubenfabrik eröffnet.

Die Besitzer von TV-Stationen und Zeitungen waren immer politisch ambitioniert. Axel Springer flog 1958 nach Moskau und versuchte, die Kreml-Herrscher von der schnellen Wiedervereinigung zu überzeugen. Silvio Berlusconi schaffte es vom Medienunternehmer zum italienischen Ministerpräsidenten. Michael Bloomberg ließ sich in seiner Heimatstadt New York zum Bürgermeister wählen. Rudolf Augstein schaffte es – immerhin – für knapp acht Wochen als FDP-Bundestagsabgeordneter in den Bundestag, bevor er den Spaß an Hinterzimmer-Intrigen und gespielter Volksnähe verlor. Er war lieber Publizist als Populist.

#3 Meinungsfreiheit gilt auch für Milliardäre

Das verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit fragt nicht nach Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Religion und auch nicht nach den Vermögensverhältnissen. Aber: Viele Persönlichkeiten schafften es auch ohne Geld und Organisationsstruktur auf die Frontseite der Zeitungen.

Das prominenteste Beispiel der Gegenwart ist die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die sich nur mit Pappschild in den Schulstreik begab. Auf ihrem Plakat stand zu lesen „Skolstrejk för klimatet“. Später erst haben die Medien ihr Potenzial erkannt und sie groß gemacht. Ihr Startkapital war nicht Geld, sondern Mut.

#4 Keine Panik: Konservative Medienunternehmer beeinflussen die Öffentlichkeit, aber dominieren sie nicht

Es gibt viele Untersuchungen, aber keinen Beleg dafür, dass in westlichen Gesellschaften der freie Wählerwille durch ein Medium oder eine Mediengruppe manipulierbar ist. Brandt wurde trotz Springer-Presse Kanzler. Kohl hielt sich trotz Spiegel-Kampagne 16 Jahre im Amt.

In den USA wurde Obama trotz Hardcore-Widerstand von Fox News und seinem Eigentümer Rupert Murdoch zweimal hintereinander zum Präsidenten gewählt. Donald Trump schaffte es umgekehrt, nicht nur die Demokraten zu besiegen, sondern im öffentlichen Diskurs die Phalanx aus CNN, Washington Post und New York Times zu durchbrechen. Der am meisten überschätzte Beruf scheint der des Medientycoons.

#5 Unternehmer sind nicht automatisch „rechts“

Im Gegenteil: Viele Unternehmer unterstützen progressive Stimmen und Strömungen. Ohne die finanzielle Unterstützung des Fabrikanten Friedrich Engels hätte der chronisch geldknappe Journalist Karl Marx seine dreibändige Reihe „Das Kapital“ niemals vollendet.

Die amerikanischen Präsidenten Clinton und Obama konnten sich auf massive Spenden aus Hollywood und auch von der Wall Street stützen. Die Milliardäre George Soros (Finanzkapital) und Michael Bloomberg (Medienunternehmer) finanzierten demokratische Wahlkämpfe mit Milliardenbeträgen.

Die SPD hatte zu ihren besten Zeiten immer wieder Unternehmer an ihrer Seite, darunter der Porzellanfabrikant Philip Rosenthal. Wichtige gesellschaftliche Impulse wurden von eher linken Unternehmern wie Robert Bosch (Spitzname: „der rote Robert“) und dm-Gründer Götz Werner geleistet, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzte.

#6 Medien können Trends verstärken, aber nicht erfinden

Viele Wahlerfolge in der westlichen Welt erfolgten nicht dank medialer Unterstützung, sondern trotz medialen Gegenwinds. Die SPD holte in der Bismarck-Zeit ihre größten Wahlerfolge nach Verabschiedung der Sozialisten-Gesetze, die ihnen Wahlversammlungen und eigene Zeitungen verboten.

Der wichtigste Influencer zugunsten von Willy Brandt war kein Unternehmer, sondern ein späterer Literaturnobelpreisträger. Sein Elon Musk hieß Günter Grass. Das Ergebnis war der größte je gemessene Wahlerfolg der SPD in der Bundesrepublik: 45,8 Prozent der abgegebenen Stimmen bei einer Rekordwahlbeteiligung von 91,1 Prozent.

Fazit: Am Wahltag werden nicht Elon Musk und Trump, wohl aber Millionen Deutsche die AfD wählen. Für die Politiker der Mitte wäre es daher bekömmlicher, sich nicht mit dem amerikanischen Trommler, sondern mit den deutschen Ursachen des AfD-Aufstiegs zu befassen. Empörung ist zuweilen nur die Tugend derer, die sich weigern, ein Problem zu lösen.

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