31 Januar 2025

The Pioneer - Business Class Edition AfD: Angela die Große belehrt Friedrich III.

AfD: Angela die Große belehrt Friedrich III.
Gabor Steingart, Veröffentlicht am Freitag, 31.01.2025
Angela Merkel will jetzt Recht behalten und nicht zuerst Wahlen gewinnen. Zur Verteidigung ihrer Migrationspolitik (und damit ihrer Reputation) riskiert sie alles, auch den sicher geglaubten Wahlsieg der eigenen Parteienfamilie.
Palastrevolte: Wie einst Katharina die Große, die ihren Ehemann Peter III. stürzte, ist auch Merkel beim Aufbegehren gegen Merz nicht allein. Von der Präsidentin des Zentralkomitees der Katholiken über Michel Friedman (der aus Protest gegen Merz die CDU verlässt) bis zu Armin Laschet haben die stolzen Recken ihrer Prätorianergarde Position bezogen. Mittendrin und damit moralisch gut gepanzert: Merkel, die das Bildnis der russischen Herrscherin einst auf ihrem Schreibtisch platziert hatte.
Wobei die Kanzlerin
a.D. nicht wie das historische Vorbild hoch zu Pferde ins Foyer des Adenauer-Hauses trabte. Ihr reichte eine Erklärung, die sie hochoffiziell aus dem Büro der ehemaligen Bundeskanzlerin verschickte. So erzielte sie die gleiche Wirkung. Sie ließ Merz auch nicht liquidieren, wie Katharina ihren Göttergatten Peter, sondern betonierte ihn nur bei lebendigem Leibe in seiner eigenen Brandmauer ein. So sieht zivilisatorischer Fortschritt aus.
Rückblende: Nachdem Friedrich III. (erst im dritten Anlauf wurde er Parteichef) im Bundestag mit den Stimmen von FDP, CDU, CSU und AfD eine Verschärfung der Asylpolitik durchzusetzen versuchte, inklusive Grenzschließung für Menschen ohne rechtsgültige Einreisepapiere, beendete sie ihre majestätische Duldungsstarre.
In einer gestrengen Depesche erinnert sie Merz an sein am 13. November im Bundestag gegebenes Versprechen, bis zur Bundestagswahl alle CDU/CSU-Initiativen mit SPD und Grünen abzustimmen, um zu verhindern, so Merz damals, dass „diese Damen und Herren von Rechtsaußen plötzlich die Mehrheiten besorgen“.
Merkel fand diesen damaligen Merz-Vorstoß richtig („große staatspolitische Verantwortung“) und lehnt es jetzt umso heftiger ab, dass er sich nach den Morden von Aschaffenburg daran nicht mehr gebunden fühlt:

Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.

Totalschaden: Spätestens mit dem Vorstoß der Altkanzlerin hört die Union (lat. Unio für Einheit) vier Wochen vor der Wahl auf, eine Einheit zu bilden. Plötzlich stehen die eigenen Truppen im Vorgarten von Merz, wo sie den CDU-Vorsitzenden auf eine parlamentarische Zusammenarbeit mit den Kräften links der Mitte festlegen wollen.

Schon sein Versuch, durch die Brandmauer hindurch per Klopfzeichen die Verständigung mit Alice Weidel zu suchen, wurde bemerkt und geahndet. Merz ist mit seiner November-Festlegung und der für heute im Bundestag erneut geplanten Verletzung dieser Festlegung in eine Falle getappt, die er selbst aufgestellt hatte. Merkel brauchte sie nur noch scharfzustellen.

Das eben ist der Unterschied zwischen Strategie und Taktik. Der Stratege verfolgt ein langfristiges Ziel, für das er Verbündete sucht und Koalitionen schmiedet. Der Taktiker folgt der Stimmung des Tages oder oft auch nur – wie Merz nach Aschaffenburg – der Emotionalität des Augenblicks.

Es gab und gibt strategische Gründe für das bürgerliche Lager, den eigenen Aktionsradius zu erweitern und die Umklammerung durch Grüne und Sozialdemokraten zu lockern. Die Erkenntnis, dass ein Kontaktverbot mit den Rechten zugleich ein Machtmonopol für die Linken zementiert und damit den Antagonismus des bundesdeutschen Systems außer Kraft setzt, ist nicht deshalb falsch, weil Merkel sie nicht teilt.

Zumal es dieselbe Erkenntnis war, nur spiegelverkehrt, die die SPD in den 90er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts an die Seite der Grünen trieb. Den Koalitionspartner FDP hatte man unter Helmut Schmidt an die CDU von Kohl verloren. Also pirschte man sich an die zunächst anarchistisch-kommunistisch anmutenden Grünen heran.

Vom Unvereinbarkeitsbeschluss über die Drohung des ehemaligen Maurerpoliers und späteren hessischen SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner, der den Grünen einen Schlag mit der Dachlatte verpassen wollte, bis zur Tolerierung und schließlich der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Führung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer vergingen anderthalb Jahrzehnte.

Der Versuch von Merz, eine Abkürzung zu nehmen, hat nicht funktioniert. Zumal die damals einsetzende Häutung der Grünen bei der AfD bisher keine Entsprechung findet. Dort sind nicht Häutungen, sondern Verhärtungen zu beobachten. Tritt man dieser Partei zu nahe, schimmert es bräunlich.

Und nun? Der Leader Merz blickt – zumindest innerparteilich – auf eine dezimierte Zahl von Followern. Nicht sein Machtwille, wohl aber seine Führungskünste werden bezweifelt. Er steht noch, wenn auch ein wenig windschief. Merkel hat ihn nicht zerstört, nur entmannt.

Der Kanzlerkandidat erlebt mitten im Wahlkampfendspurt seinen Laschet-Moment, weil die eigenen Leute vom rhythmischen Parteitagsklatschen aufs Fallenstellen umgesattelt haben. Plötzlich wird nicht mehr in die Hände gespuckt, sondern gegen sein Schienbein getreten. Gestern noch rief er: Attacke. Heute: Aua.

Wir sollten uns nicht wundern, wenn Olaf Scholz, Robert Habeck und Alice Weidel heute im Bundestag schlecht ausgeschlafen erscheinen. Sie finden seit Tagen vor Lachen kaum in den Schlaf.

Und Merkel? Lauert in ihrer moralisch gut gesicherten Festung auf den weiteren Fortgang der Ereignisse. Katharina die Große hat 34 Jahre regiert, Merkel offiziell nur 16. Ihre Restenergie ist daher enorm, was Merz jetzt zu spüren bekommt. Denn Merkel teilt das zentrale Motto von Katharina:

Jeder Mann ist ein Manuskript, das erst korrigiert werden muss.

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