17 Januar 2025

Der andere Blick - Musk behandelt die Deutschen so, wie sie mit dem Rest der Welt umgehen (NZZ)

Der andere Blick-
Musk behandelt die Deutschen so, wie sie mit dem Rest der Welt umgehen (NZZ)
Der Milliardär gibt ungebetene Ratschläge und beleidigt ausländische Politiker. Das ist sonst ein deutsches Privileg.
Von Eric Gujer, 17.01.2025, 5 Min
Der Bundespräsident ist ein «undemokratischer Tyrann», der Kanzler ein «Narr», und die AfD ist der «letzte Funke Hoffnung für Deutschland». Seit Elon Musk seine Weisheiten zum Besten gibt, ist der Teufel los.
Soll man Musks Plattform X stärker regulieren oder gleich die Meinungsfreiheit einschränken? Politiker der SPD und der Grünen überbieten sich mit Drohungen.
Beim Betrachten des Flohzirkus lässt sich klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ein amerikanischer Milliardär macht mit den Deutschen, was die Deutschen sonst mit dem Rest der Welt machen.
Er gibt unerbetene Ratschläge, sitzt auf dem hohen Ross und weiss alles besser. Man muss es wohl ausgleichende Gerechtigkeit nennen.
Als in Italien vor einiger Zeit eine selbsternannte deutsche «Seenotretterin» verhaftet wurde, liess Frank-Walter Steinmeier die italienische Regierung strammstehen: «Wir dürfen von einem Land wie Italien erwarten, dass es mit einem solchen Fall anders umgeht.» Es klang nach preussischem Kasernenhofton.
Danach griff Steinmeier zum Vorschlaghammer und sagte: «Wer Menschenleben rettet, kann kein Verbrecher sein.» Der Bundespräsident erklärt einem souveränen Staat, wie dessen Rechtsordnung zu funktionieren habe.

Die Wortmeldung war nichts anderes als die Einmischung in die inneren Angelegenheiten einer befreundeten Demokratie – also genau das, was seit Musks Intervention den linken Teil der deutschen Öffentlichkeit in Schnappatmung versetzt.

Bei Steinmeier handelte es sich jedoch nicht um einen Privatmann, der Musk immer noch ist, sondern um ein Staatsoberhaupt. Er sprach mit dem ganzen Gewicht der europäischen Führungsmacht. Als er Trump einen «Hassprediger» nannte, war er Außenminister. Auch damals sprach er für Deutschland: ein Land, das es offenbar liebt, andere Staaten zu schulmeistern und deren Politiker herabzusetzen.

Dem amerikanischen Milliardär steht noch eine große Karriere in Berlin bevor

Sich gegenüber dem Ausland als Gutmenschen zu gerieren, ist eine Marotte deutscher Politiker. In Afghanistan baute die Bundeswehr anfangs lieber Brunnen, als zu kämpfen. Deutschland erklärte seinen Pseudopazifismus für überlegen gegenüber den Kampfeinsätzen der Amerikaner – von denen sich die Bundeswehr aber gerne beschützen liess.

Als Berlin ohne breite Konsultation einer Million Menschen die unkontrollierte Einreise gestattete, erklärte Angela Merkel die «Willkommenskultur» zu der für alle Europäer gültigen Moral und verlangte von den Partnern, Deutschland gefälligst Flüchtlinge abzunehmen.

In der Finanzkrise hatte die Kanzlerin noch auf die Einhaltung europäischer Regeln gepocht. Wenig später stellte sie dann selbst das EU-Recht grosszügig zur Disposition.

Soll man solche Selbstüberschätzung eine Übersprunghandlung nennen angesichts der historischen Schuld? Oder ist es schlicht Heuchelei?

Vielleicht ist es auch nur der Gratismut von Politikern, die es gewohnt sind, den Mund weit aufzumachen. Sie müssen für ihre Worte nur selten Verantwortung tragen, weil sie sich im Zweifelsfall hinter den USA verstecken können.

Das Versprechen, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, war nach dem Überfall der Hamas wenig wert. Washington schickte Waffen, ohne die Israel nicht seine militärischen Siege errungen hätte. Berlin schickte seine Aussenministerin Annalena Baerbock.

Die deutsche Regierung kann sich nicht einmal zu dem unzweideutigen Statement durchringen, man werde israelische Staatsangehörige nicht ausliefern, wenn eine übergriffige und aktivistische internationale Justiz ihre Überstellung verlange.

Kanzler Olaf Scholz lässt im Gegenteil erklären, man halte sich an Recht und Gesetz, was wohl heisst, dass man einen Haftbefehl durchsetzen wird. Das Land des Völkermords leistet Beihilfe, um seine Opfer abermals zu verfolgen, diesmal mit einem konstruierten Genozid-Vorwurf. Die deutsche Staatsräson wird gerade billig verramscht.

Die Moral von der Geschicht: Wer auf ein Podest klettert und seine Überlegenheit ostentativ zur Schau stellt, landet hart auf dem Boden der Tatsachen. Das wird auch Musk erfahren, sollte er eines Tages nicht nur grosse Sprüche, sondern Politik machen.

Bis jetzt redet er nur dahin, beleidigt ausländische Partner und erreicht nichts. Wenn Musk so weitermacht, steht ihm noch eine grosse Karriere als Aussenpolitiker in Deutschland bevor.

Der Milliardär kann sich Baerbock zum Vorbild nehmen, die im Namen einer «wertegeleiteten Aussenpolitik» Israeli, Chinesen und jedem, der nicht bei drei auf dem Baum ist, Ratschläge erteilt. Gebracht hat es wenig, weder im Nahen Osten noch in Asien.

Wer klug ist, macht das Gegenteil von Musk, Baerbock und Steinmeier. Er wägt seine Worte, hält sich mit Belehrungen zurück und dosiert seine Kritik, weil er weiss, dass sie dann am wirksamsten ist. Realpolitik nennt sich das; ein Synonym lautet Diplomatie.

Diese scheint aber aus der Mode gekommen zu sein. In Trumps Amerika sowieso, aber auch in Deutschland. Als der künftige Präsident nicht ausschloss, Waffengewalt zur Erlangung von Grönland anzuwenden, kannte die Empörung in Berlin keine Grenzen.

Mit Tremolo versicherte Scholz Dänemark der Unterstützung Deutschlands, als stünde ein bewaffneter Konflikt mit den USA unmittelbar bevor.

Das deutsch-amerikanische Verhältnis braucht einen Neustart

Musk und Trump – vier Fäuste für ein Halleluja. Aber man sollte das Kino nie mit der Wirklichkeit verwechseln. Donald II. wird keinen Krieg gegen Dänemark anzetteln. Weniges steht so fest wie das. Man würde daher besser abwarten, was er mit der Finte bezweckt.

Stattdessen kopierte Berlin den hysterischen Ton des Wahlsiegers in Washington, dessen Testosteronspiegel nach seinem Triumph noch immer erhöht zu sein scheint. Es herrscht eben Wahlkampf in Deutschland, und auch dort liegt der Hormonspiegel über normal.

So sehr unterscheiden sich die politischen Mechanismen beiderseits des Atlantiks also nicht. Das hindert jedoch niemanden in Deutschland daran, sich im Vergleich mit dem «Faschisten» Trump für ungleich besser, reifer und vernünftiger zu halten.

Wenn die Zeit der Knallfrösche vorbei ist und wieder Ruhe einkehrt, müssen Berlin und Washington miteinander auskommen. Die Kanzlerschaft Scholz ist bald Geschichte, aber Steinmeier sitzt noch zwei Jahre im Schloss Bellevue.

Der nächste US-Präsident wird seinem deutschen Amtskollegen den «Hassprediger» nicht verzeihen. Der Bundespräsident kann nichts dazu beitragen, das Verhältnis zu reparieren. Er ist im Gegenteil eine Belastung.

Schröder, Merkel, Steinmeier: Der Bundespräsident ist der letzte Vertreter einer Epoche, in der man mit Antiamerikanismus und Appeasement Russlands erfolgreich Aussenpolitik machen konnte. Es war die Ära des Irakkriegs und der Nord-Stream-Pipelines.

Hätte Steinmeier nur die Gnade, zurückzutreten und den Weg frei zu machen für einen Neubeginn ohne moralische Selbstüberhöhung und mit mehr Sinn für die Realitäten. Er würde seinem Land einen Dienst erweisen.

Präsident Bush senior bot nach dem Mauerfall dem wiedervereinigten Deutschland eine «partnership in leadership» an. Die Bundesrepublik war damals noch nicht reif dafür. Sie flüchtete sich in aussenpolitische Sandkastenspiele.

Auch hier wäre eine Zeitenwende überfällig. Die geopolitische Weltunordnung erfordert eine Zusammenarbeit der globalen Führungsmacht Amerika und der europäischen Führungsmacht Deutschland. Berlin darf das nicht Polen und Italien überlassen und sich nicht in den Schmollwinkel zurückziehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen