22 Januar 2025

Gefährder: „Zweistellige Anzahl“ – Islamisten mit Terror-Bezug mischten sich unter Ukraine-Flüchtlinge

Gefährder
„Zweistellige Anzahl“ – Islamisten mit Terror-Bezug mischten sich unter Ukraine-Flüchtlinge
Von Lars Winkelsdorf, Stand: 22.01.2025, Lesedauer: 4 Minuten
Nach Putins Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 haben Islamisten offenbar gezielt die Flüchtlingsströme aus der Ukraine genutzt, um Personen „mit Bezug zu Terrorismus“ nach Deutschland zu schleusen. Bisher hatte sich Innenminister Nancy Feaser (SPD) dazu nicht geäußert.
Seit dem russischen Angriff im Februar 2022 ist laut Angaben der Bundesregierung eine mittlere zweistellige Zahl von Personen mit „Bezügen zum islamistischen Terrorismus“ aus der Ukraine in die Bundesrepublik eingereist. Vor allem unmittelbar nach Ausbruch der Kampfhandlungen sollen sich Islamisten unter die flüchtende Zivilbevölkerung gemischt haben und gelangten so nach Deutschland.
Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen (Bündnis Sahra Wagenknecht) hervor, die WELT vorliegt. Die Herkunft der mutmaßlichen Gefährder reiche von Afghanistan über Russland bis zu Tadschikistan oder Kirgisistan. Dass diese derart umfassende Transitroute für Gefährder erst bald drei Jahre später thematisiert wird, ist für den Abgeordneten Christoph de Vries (CDU) ein Skandal: „Hier ist der Schutzstatus für die ukrainischen Flüchtlinge offensichtlich durch islamistische Terroristen ausgenutzt worden, die ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die Sicherheit und Ordnung in Deutschland darstellen“, sagte de Vries, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium angehört, das mit der Kontrolle der Nachrichtendienste betraut ist.

„Ich frage mich, warum die Innenministerin das Parlament und die sicherheitsrelevanten Gremien nicht aktiv darüber informiert hat, zumal sie selbst regelmäßig vor der hohen Gefahr eines islamistischen Terroranschlags in Deutschland öffentlich warnt“, so de Vries weiter.

Tatsächlich hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Vorfeld der Fußball-EM im vergangenen Jahr und angesichts der massiven Drohungen der Terrororganisation ISPK, eines Ablegers des Islamischen Staates (IS) aus der zentralasiatischen Provinz Khorasan, wiederholt auf abstrakte Gefahren hingewiesen. Dass ISPK-Anhänger aus der Ukraine eingereist sein könnten, thematisierte Faeser bislang jedoch nicht.

Dabei legen die aufgeführten Herkunftsländer den Verdacht nahe, dass die Flüchtlingsströme zu Kriegsbeginn zielgerichtet ausgenutzt worden sein könnten, um selbst aus Ländern wie Saudi-Arabien und Jordanien und sogar in Einzelfällen Islamisten aus Afrika in die Bundesrepublik zu schleusen. Wo genau sich diese Personen inzwischen aufhalten und wie die Sicherheitsbehörden die Gefahren durch diese Islamisten einschätzen, führt die Bundesregierung nicht weiter aus.

Angesichts der hohen Zahl an Flüchtlingen zu Beginn des Krieges in der Ukraine war vielfach auf genaue Dokumentationen der Einreisenden verzichtet worden. Schon im September 2023 musste die Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU einräumen, dass es hier zur Einreise von Gefährdern gekommen war: „Der Bundesregierung liegen Erkenntnisse zu 13 ‚mutmaßlichen Islamisten bzw. islamistischen Terroristen‘ im o. g. Sinne vor, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine aus der Ukraine nach Deutschland über die deutschen Grenzen eingereist sind“, hieß es in der Antwort.

Dass diese Zahl jedoch deutlich höher ist und sogar Personen aus Nordafrika und dem Nahen Osten umfasste, zeuge von einer gänzlich anderen Bedrohungslage, warnt CDU-Politiker Christoph de Vries: „Ich erwarte Aufklärung von der Innenministerin, ob diese Personen inzwischen abgeschoben wurden – zum Beispiel auf Grundlage des §58a AufenhG zur Abwehr einer Gefährdung der Sicherheit oder einer terroristischen Gefahr.“

Erst vor wenigen Tagen drohte der regionale IS-Ableger ISPK auf einer Propagandaplattform erneut mit Anschlägen auch in Deutschland. Konkret benannt wurde dabei das Oktoberfest in München mit jährlich bis zu sieben Millionen Besuchern. Auf eine Anfrage von WELT antwortete das Bundesinnenministerium bisher nicht.

Schon im Jahre 2023 hatte der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, davor gewarnt, dass islamistische Terroristen die Ukraine-Route nutzen könnten. „Islamisten haben stets auch Fluchtrouten und Fluchtbewegungen genutzt, um potenzielle Kämpferinnen und Kämpfer nach Europa einzuschleusen“, sagte Kramer dem „Handelsblatt.“ „Deswegen war es so wichtig, möglichst viele Einreisende unverzüglich zu kontrollieren und Identitäten festzustellen, nicht erst, wenn Sozialleistungen beantragt werden“, sagte Kramer damals.
Auch andere Sicherheitsbehörden zeigen sich intern alarmiert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine spiele den Terroristen in die Hände, heißt es in Sicherheitskreisen schon lange. Gewarnt wurde unter anderem vor radikalisierten Personen aus Staaten wie Tadschikistan, Usbekistan oder Kirgisistan.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in seinem aktuellsten Jahresbericht, der ISPK setze auch auf Anschläge gegen „Ungläubige“ im Westen, um seine Bedeutung innerhalb des IS zu manifestieren. Dabei stehe auch Deutschland im Zielspektrum der Terrorgruppe.

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