Ein irreführender Faktencheck
In dem Artikel ging es um staatliche Unterstützung, die Krankenhäuser für positiv getestete Corona-Kranke bekommen sollten. Die Prämie von mehreren tausend Euro wurde fällig für jeden Patienten, der sich mindestens zwei Tage lang stationär im Krankenhaus aufhielt. Der Autor fand, so werde ein Anreiz geschaffen, auch Patienten zwei Tage lang dazubehalten, die gar nicht schwer an Corona erkrankt waren. Denn dafür gab es dann ja Geld vom Staat. Das sei «grotesk».
So werde die Zahl der Patienten steigen, selbst wenn sie kaum krank seien, und das «in einer Zeit, in der wir die Belegung der Krankenhäuser zum Hauptentscheidungskriterium für eine Pandemie-Politik machen».
Wer diesen Artikel auf Facebook verbreiten wollte, bekam einen Warnhinweis eingeblendet. «Einem Beitrag von achgut.com fehlt Kontext», hiess es da. Der Beitrag könne deshalb «irreführend» sein. Dann wurde auf einen Artikel des Medienunternehmens Correctiv verlinkt, mit blauer Signalfarbe unterlegt: «Correctiv Faktenprüfung». Das Problem war nur: Der Text stellte die These des Blog-Autors gar nicht in Abrede. Er bestätigte sie indirekt sogar.
Dass Krankenhäuser Patienten als hospitalisiert melden, die wegen anderer Beschwerden aufgenommen wurden, sei «möglich», hiess es. Dafür gebe es aber keine Belege. Das hatte der Autor allerdings auch nie behauptet. Er hatte vielmehr vor einer möglichen Entwicklung gewarnt.
Das Oberlandesgericht verbot Facebook die Verbreitung dieses Faktenchecks. Der genaue Wortlaut ist für Facebook, insbesondere aber für Correctiv vernichtend. Der Begriff Faktenprüfung lege nahe, schrieb das Gericht, «dass Tatsachenangaben innerhalb des Beitrags» geprüft würden. Aber die beanstande Correctiv im Kern gar nicht. Es befasse sich stattdessen mit Werturteilen. Diese aber könnten «nicht Gegenstand einer Faktenprüfung» sein. Mit anderen Worten: Der Vorwurf von Correctiv, der Beitrag sei «irreführend», traf vor allem auf seinen eigenen Faktencheck zu.
Nur ein Beispiel von vielen
Diese Herabsetzung müsse der Kläger «bei einer Gesamtabwägung der beteiligten Interessen nicht hinnehmen», urteilte das Gericht. Es wies ausserdem darauf hin, dass Warnhinweise bei Facebook gravierende Folgen für jeden Betroffenen haben. Deshalb müsse der Faktenprüfer «besonders sorgfältig jedes Missverständnis darüber vermeiden, auf welche Äusserung sich seine Kritik bezieht» und ob sie «vornehmlich einen wertenden oder einen tatsachenbezogenen Charakter hat». Das sei hier nicht gelungen.
Es gibt noch mehr solche Beispiele. In einem weiteren Urteil verbot das Landgericht Karlsruhe eine Faktenprüfung der Deutschen Presse-Agentur (DPA) auf Facebook. Wieder ging es um einen Artikel der «Achse des Guten», dieses Mal zum Klimawandel. Der Autor schrieb im Sommer vergangenen Jahres einen Artikel über die Frage, ob Hochwasser in einer immer wärmer werdenden Welt zunehmen. Er verneinte das und zitierte dazu einen Bericht des Umweltbundesamtes.
Darin ist die Rede davon, dass extreme Hochwasserereignisse bevorzugt im Sommer auftreten. Dann folgt der Satz: «Statistisch signifikante Trends gibt es bisher – mit Ausnahme einer Abnahme der Anteile von Pegeln in der Kategorie Mittleres Hochwasser im Sommerhalbjahr – nicht.»
Diesen
Beitrag versah Facebook mit einem noch deutlicheren Warnhinweis.
«Fehlinformation», hiess es darin. «Laut unabhängigen Faktenprüfern
basiert dieser Content nicht auf Fakten.» Der dazugehörige Artikel der DPA beschäftigte sich dann aber vor allem mit einer Grafik der Umweltbehörde, die im ursprünglichen Text überhaupt keine Erwähnung findet.
Gralshüter der öffentlichen Debatte
Auch hier fällt das Fazit des Gerichts vernichtend für die Faktenprüfer aus. «Die Behauptungen des Faktenprüfers im verlinkten Artikel sind bereits unwahr», schreibt es. Der Beitrag der «Achse des Guten» beziehe sich nicht auf diese Grafik, sie werde «im Artikel nicht einmal erwähnt». Wenn der Faktenprüfer also behaupte, dass der Ausgangsartikel aufgrund einer Grafik bestimmte Schlüsse ziehe, dann sei das «bereits objektiv falsch». Auch diesen Warnhinweis untersagte das Gericht Facebook.
Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Gericht ausgerechnet eine Faktenprüfung als «unwahr» bezeichnet? Wenn diejenigen, die doch besonders viel Wert auf Tatsachen legen, selbst falsche verbreiten, noch dazu, wo sie mit solcher Macht ausgestattet sind? Sie können einen Artikel für Millionen von Nutzern mit einem Warnhinweis versehen. Ihre Einschätzung kann dazu führen, dass Facebook die Reichweite von Beiträgen einschränkt.
Mit anderen Worten: Faktenprüfer sind Gralshüter der öffentlichen Debatte. Wenn sie falschliegen, dann nimmt die Diskussion selbst Schaden. Schlimmstenfalls sogar die Wertschätzung von Fakten beim Publikum. Wer Schindluder mit Tatsachen betreibt, muss sich nicht wundern, wenn sie am Ende keiner mehr glauben will. Natürlich sind viele Faktenprüfungen korrekt. Aber schon einige wenige fehlerhafte entfalten eine verheerende Wirkung.
Aus Sicht von Fachleuten ist schon die Annahme irrig, dass Faktenchecks Menschen bekehren könnten. Der Kommunikationswissenschafter Christian P. Hoffmann von der Universität Leipzig weist gegenüber der NZZ darauf hin, dass Faktenchecks vor allem bei unpolitischen Aussagen gut funktionierten. Wenn ein Text erklärt, dass Spinat weniger gesund ist als behauptet, dann ändern die Leute ihre Einstellung.
Sie vertrauen den Medien nicht mehr
Aber die Beurteilung eines politischen Konflikts sei in der Regel «nicht faktenbasiert», sagt Hoffmann. Sondern «normativ». Natürlich gebe es «eine Faktenbasis, aber die Fakten müssen interpretiert werden, und dann müssen Schlussfolgerungen daraus abgeleitet werden. Und schon bei der Interpretation spielt das Normative eine Rolle, da kommen Werte ins Spiel.»
Deshalb laufen Faktenprüfer nach seinen Worten regelmässig in eine Falle: Sie versuchen politische Einstellungen zu bewerten. Sie wollen nicht nur prüfen, ob bestimmte Straftaten wegen Migration zugenommen haben. Sie wollen eine Aussage darüber treffen, ob Einwanderung gut oder schlecht ist.
Hier kommt die politische Schlagseite der Faktenprüfer ins Spiel. Nach Aussage von Hoffmann gibt es eindeutige Belege dafür, dass Faktenprüfer noch linker sind als Journalisten ohnehin schon. Vor allem die erste Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 und der Brexit in Grossbritannien gaben Faktenprüfern einen Schub. Viele gingen davon aus, dass Trump die Menschen erfolgreich in die Irre geführt habe. Dass er ihnen Lügen aufgetischt habe und sie ihn deshalb gewählt hätten. Diese Lügen, so ihre Hoffnung, müssten sie nur aufdecken, dann würden die Menschen wieder zur Vernunft kommen.
Aber
es ist ein Unterschied, ob die Menschen jemanden wie Trump wegen seiner
Lügen wählen oder trotz seinen Lügen. Vieles deutet auf Letzteres hin.
Man kann es daran sehen, was mit Menschen passiert, die einen
Faktencheck lesen, der ihren Einstellungen widerspricht. Die meisten
ändern daraufhin nicht ihre Haltung zu einem Thema. Sie beginnen dem
Medium zu misstrauen, das den Faktencheck zu verantworten hat.
Man nennt es Journalismus
Der Medienanwalt Joachim Steinhöfel hat zahlreiche erfolgreiche Klagen gegen Faktenchecks auf Facebook geführt, unter anderem auch in den hier zitierten Fällen. Er geht mit Faktenprüfern hart ins Gericht. Schon die immer wieder behauptete Unabhängigkeit stellt er infrage. Schliesslich werden sowohl Correctiv als auch DPA von der Bundesregierung unterstützt.
«Ich möchte nicht», sagt er der NZZ, «dass staatlich unterstützte ideologisch kontaminierte Wahrheitsfinder darüber befinden, was richtig oder falsch ist.» Die Plattformen müssten Inhalte, die gegen ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen verstiessen, schon selbst entfernen. Besser sei es aber, «sie akzeptieren diese so weit wie irgend möglich zur Wahrung der Meinungsfreiheit».
Steinhöfel ist nicht grundsätzlich gegen Faktenchecks. Er hält aber schon den Begriff für «anmassend und dünkelhaft». Das Problem sei, «wenn etwas als absolute Wahrheit verkauft und so der Diskurs hoheitlich eingeschränkt wird». Er ist verwundert darüber, wie die Debatte in Deutschland verläuft. Zuspitzung gehöre nun einmal zum Diskurs. «Ich brauche nicht einen Robert Habeck, der sagt, politische Polemik gefährdet die Demokratie. Das ist lupenreiner verfassungsrechtlicher Unsinn.»
Trotzdem findet Steinhöfel es richtig, Tatsachenbehauptungen oder Aussagen von Politikern zu überprüfen. Er schlägt allerdings einen altmodischeren Begriff dafür vor.
Er lautet Journalismus.
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