09 Januar 2025

Musk und seine Kritiker - Die wahren Profis der Wahlbeeinflussung (WELT+)

Präzise Beschreibung der politischen Doppelmoral und Heuchelei
Musk und seine Kritiker
Die wahren Profis der Wahlbeeinflussung (WELT+)
Von Frank Lübberding Freier Autor, 09.01.2025, 9 Min
Fremde Einmischung unerwünscht! Deutsche Politiker sind sich einig, wenn es um Elon Musk geht. Allerdings hat sich an diesen hehren Grundsatz noch nie jemand gehalten – auch nicht Olaf Scholz, Friedrich Merz oder Ursula von der Leyen. Eine kleine Geschichte der Einflussnahme.
Am 9. Januar wird sich die AfD-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Alice Weidel mit dem amerikanischen Unternehmer Elon Musk zu einem Gespräch treffen. Das wird live auf X übertragen. Praktischerweise ist der Unternehmer gleichzeitig Eigentümer des Netzwerks, so muss er nicht befürchten, dass dieses Vorhaben durch politische Einflussnahme verhindert wird.
Bekanntlich hatte das vorherige Management von X, das damals noch Twitter hieß, den damals amtierenden US-Präsidenten Donald Trump nicht nur mit sogenannten „Faktenchecks“ publizistisch gemaßregelt, sondern ab dem 9. Januar 2021 sogar gesperrt. Vergleichbar agierten Facebook und Instagram, beide werden vom Unternehmer Mark Zuckerberg kontrolliert – der sich gerade, man geht im Silicon Valley schließlich mit der Zeit, in einer öffentlichen Ansprache vom Instrument der „Fact-Checks“ losgesagt und eine Rückkehr zur „Free Speech“ der Ursprünge angekündigt hat.
Knapp zwei Jahre nach der Trump-Sperre wurde in den „Twitter Files“ das Ausmaß der gezielten Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung durch das frühere Twitter-Management deutlich. Ein Vorgang, der aber bei uns in Deutschland im Januar 2023 auf wenig Interesse stieß, wie WELT-Autor Jakob Schirrmacher damals feststellte. Stattdessen gab es zum Thema öffentlich-rechtliche Irreführung, etwa beim zweifelhaften „Faktenfinder“ der „Tagesschau“.
Dabei erlaubten die „Twitter Files“, die vielfältigen Versuche von Regierungen zur Einflussnahme zu beobachten. Daran waren viele beteiligt, von der Türkei bis Russland. Auch die Einflussnahme der amerikanischen Regierung auf die Innenpolitik anderer Länder gehörte dazu: „Die militärischen … Operationen der psychologischen Kriegsführung“, so Schirrmacher damals, seien geeignet, „mithilfe fragwürdiger Methoden politische Stimmungen in Ländern erzeugen zu wollen, die im Interesse der US-amerikanischen Außenpolitik sind.“ Hierzu stellte der Kollege fest, dass „unter anderem Twitter kaum intervenierte“, obwohl bei dem Unternehmen „immer wieder betont wurde, dass Twitter keine staatliche Einflussnahme in Form solcher Kampagnen dulde“ – was charakteristisch ist für die Intransparenz dieser Form der Einflussnahme.

Wo kann man gegen Musk unterschreiben?

Fehlende Transparenz ist dem amerikanischen Unternehmer Elon Musk nicht vorzuwerfen. Er sagt auf X, das er seit 2022 besitzt, jeden Tag seine Meinung, ob zur AfD schon im Juni 2024 oder über den britischen Premierminister Keir Starmer. Er kritisierte mit wenig freundlichen Worten den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten und den Vizekanzler, bedankte sich beim damaligen WELT-Chefredakteur und jetzigen Herausgeber Ulf Poschardt für einen lobenden Artikel über ihn.

Musks Gastbeitrag in der WELT AM SONNTAG mit einer Wahlempfehlung für die AfD brachte in den letzten Tagen des Jahres 2024 schließlich die Welt zum Einsturz, so jedenfalls der Eindruck in den zur Hysterie neigenden sozialen Netzwerken – und teilweise auch in den klassischen Medien. Was wird Musk vorgeworfen? Einflussnahme auf die Bundestagswahl, so lautet der Konsens von Friedrich Merz über Emmanuel Macron bis Robert Habeck, der sogar eine Unterschriftenliste gegen Musk initiierte. Wohlgemerkt: Der Vorwurf der Einflussnahme bezieht sich auf simple und offene Meinungsäußerungen, keineswegs auf die zuvor erwähnten Operationen psychologischer Kriegführung durch Staaten, auch „PsyOps“ genannt.

Einflussnahme durch reine Meinungsäußerungen ist allerdings eine gängige demokratische Praxis, übrigens auch in Bezug auf andere Demokratien. Da solche Einflussnahme naturgemäß nicht verdeckt stattfindet, lässt sich leicht überprüfen, ob das Handeln führender westlicher Politiker in dieser Hinsicht von Zurückhaltung geprägt ist. So hatte Frankreichs Präsident Macron in der Kampagne zu seiner Wiederwahl sicherlich nichts dagegen einzuwenden, dass ihn Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Amtskollegen aus Spanien und Portugal im April 2022 mit einem Gastbeitrag in „Le Monde“ unterstützten. Die „Tagesschau“ nannte den Vorgang immerhin „ungewöhnlich“, Empörung gab es allerdings keine.

Und Friedrich Merz? Der behauptete nach dem Musk-Gastbeitrag, er könne sich „nicht erinnern, dass es in der Geschichte der westlichen Demokratien einen vergleichbaren Fall der Einmischung in den Wahlkampf eines befreundeten Landes gegeben hat“. Dabei hätte der CDU-Kanzlerkandidat doch nur wenige Tage zurückdenken müssen: Noch Anfang Dezember 2024 machte er selbst in einem Post auf X überdeutlich, welchen Kandidaten er bei den Präsidentschaftswahlen in Rumänien empfiehlt. Es war übrigens nicht der spätere Wahlsieger, dessen Erfolg im ersten Wahlgang auf skandalöse Weise annulliert wurde.
In Ungarn schließlich trat der heutige polnische Premierminister Donald Tusk als Stargast auf einer Wahlveranstaltung der Oppositionsparteien auf. Nun ließe sich das alles noch als Teil einer europäischen Innenpolitik werten, wenn man nicht gleichzeitig versucht hätte, eine Veranstaltung der europäischen Rechten in Brüssel zu verhindern. Und Moldawien gehört auch nicht zur EU – was die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen aber kurz vor der dortigen Präsidentschaftswahl nicht daran hinderte, der amtierenden moldawischen Präsidentin mit Rat und Tat im Wahlkampf zur Seite zu stehen. Verhindert werden sollte durch diese europäische Einflussnahme, die aber nicht so heißen darf, eine russische Einflussnahme – so das gängige Argument, übrigens auch in Rumänien. Im Nicht-EU-Mitgliedstaat Georgien ist die EU ebenfalls aktiv, um der Opposition zu helfen: Dort trat der sozialdemokratische Außenpolitiker Michael Roth sogar auf Veranstaltungen der Opposition auf, um sich für europäische Werte einzusetzen.

Gedächtnisstarke Zeitbeobachter erinnern sich sicher auch noch an die Rede des früheren amerikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain im Jahr 2013 auf dem Maidan in Kiew, wo er die Demonstranten gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch „ermunterte“, wie es damals die Deutsche Welle ausdrückte. Dass Janukowitsch 2010 in für ukrainische Verhältnisse fairen Wahlen gewählt worden war, bezweifelte damals kaum jemand.

Trump, der „Hassprediger“

Und es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele: So titulierte 2016 der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump als „Hassprediger“, und der französische Staatspräsident François Hollande empfand laut Medienberichten ein „Gefühl des Brechreizes“. Allerdings meinte man zu diesem Zeitpunkt, sich das leisten zu können: In Umfragen sah Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton wie die sichere Siegerin aus. Auch als George Soros, Milliardär und mächtiger Unternehmer wie Musk, 2019 in einem Gastbeitrag Wahlwerbung für die deutschen Grünen machte, störte sich in der deutschen Medienlandschaft niemand daran.

Von Zurückhaltung in Sachen Einmischung in fremde Wahlkämpfe konnte also in den vergangenen Jahren nie die Rede sein: Niemand machte aus seinem Herzen eine Mördergrube. Warum also die Aufregung um Elon Musk, der nichts anderes tut als unzählige westliche Politiker vor ihm? Sicherlich wäre ein außenpolitisches Argument plausibel. Musk ist nicht nur mit Tesla und Starlink ein weltweit aktiver Unternehmer, sondern hat in der kommenden Trump-Regierung eine offizielle Funktion als Regierungsberater. Spricht er als Privatmann auf seinem ihm gehörenden Netzwerk oder als Vertreter der zukünftigen Administration in Washington? Das kann nur der zukünftige Präsident klären. Entsprechende Nachfragen durch europäische Regierungen wären nachvollziehbar.

Trump könnte allerdings im Gegenzug ebenfalls eine Frage stellen: Warum hat dann unser Auswärtiges Amt seine Äußerungen im TV-Wahlkampfduell mit Kamala Harris hämisch (und inhaltlich fragwürdig) kommentiert?

Einige Medien kommentierten das bei uns mit typisch deutscher Schadenfreude: Dummheit ist offensichtlich kein deutsches oder amerikanisches Privileg. Aber jenseits dessen geht es um den altehrwürdigen völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse anderer Staaten. An den hält sich in der offiziellen Rhetorik spätestens seit 2016 niemand mehr. In diesem Jahr fand man in einer russischen Einmischung die Erklärung für den Ausgang des Brexit-Referendums und den überraschenden Wahlsieg Trumps in der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Dafür gab es zwar zu keinem Zeitpunkt eine überzeugende Begründung, wie der verstorbene Theo Sommer schon 2017 in der Zeit anmerkte, aber diese These ermöglichte es, die kritische Aufarbeitung eigenen Versagens zu verhindern.

Die Absurdität wurde schon beim Ausgang des Brexit-Referendums deutlich. Denn niemand anders als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit den Nachrichtenbildern der Marschkolonnen von Flüchtlingen auf der Balkanroute den EU-Befürwortern in London den Knockout verpasst. Und Hillary Clinton scheiterte im selben Jahr nicht an Russland, sondern an ihrer Arroganz gegenüber der amerikanischen Unterschicht und Mittelklasse. Die Warnung vor russischer Einflussnahme war nichts anders als der klägliche Versuch, die eigene Unzulänglichkeit zu ignorieren.

Bleibt die klassische psychologische Kriegsführung: Politiker hielten sich zwar früher mit ihren Äußerungen zurück, aber ansonsten spielte der Grundsatz der Nichteinmischung keine Rolle. So gaben die Vereinigten Staaten Ende der Fünfzigerjahre jährlich eine Milliarde Dollar zur Beeinflussung der Weltmeinung aus, wie der Politikwissenschaftler Kenneth Osgood 2010 feststellte. Social Media erweiterte lediglich das Operationsgebiet. Die damalige Sowjetunion betrieb die Einflussnahme im Kalten Krieg vor allem über die kommunistischen Parteien in Westeuropa, sie waren in Frankreich und Italien die stärksten Oppositionsparteien.

Auch die Bundesrepublik Deutschland war in dieser Hinsicht ein verlässlicher Partner. So unterstützte der sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt die Sozialisten in Spanien und Portugal schon vor dem Sturz der dort jahrzehntelang herrschenden rechten Diktaturen. In seinen Erinnerungen war er aufgebracht über die „gelegentlichen Mäkeleien“ über die „bescheidenen Hilfen“ durch westdeutsche Parteien und Stiftungen an verwandte Gruppierungen auf der iberischen Halbinsel. Er meinte die SPD und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Brandt verhinderte, dass die portugiesische Kommunistische Partei der in der Nelkenrevolution „gerade gewonnenen Demokratie den Garaus“ machen konnte. Das war echte Einflussnahme – übrigens auch außenpolitisch gegenüber Moskau und Washington.

Um die ging es auch zwanzig Jahre später. In Russland drohte 1996 der russische Präsident Boris Jelzin die Präsidentschaftswahlen zu verlieren. Erst nach seinem Sieg präsentierte „das US-Magazin Time alle Details des fremden Eingriffs in Russlands innere Angelegenheiten“, wie damals der „Spiegel“ lakonisch berichtete. Jelzins Nachfolger Wladimir Putin wird das sicherlich mit Interesse gelesen haben. Wie selbstverständlich das alles war, konnte man 2017 noch in der „Süddeutschen Zeitung“ nachlesen. Sie interviewte den damals auch schon von Theo Sommer zitierten Dov H. Levin, der in seiner Dissertation die Einmischungsversuche seitens der USA und der UdSSR oder Russlands auf nationale Wahlen im Zeitraum von 1946 bis 2000 untersucht hat. Insgesamt habe es „117 Fälle gegeben, 36 Mal mischten sich die UdSSR oder Russland, 81 Mal die USA ein. Bei jeder neunten nationalen Wahl in diesem Zeitraum gab es demnach eine externe Einmischung.“

Corona, war da was?

Und wie anders ist die folgende Formulierung aus der Corona-Pandemie zu interpretieren? In den RKI-Protokollen ist mit Datum vom 28. September 2020 ein interessanter Satz über die Zulassung eines Impfstoffes zu finden: „Zulassung bei FDA vor US-Wahlen ist nicht gewünscht, auch nicht bei europäischer Behörde, d.h. es wird erste Ergebnisse nicht vor November geben.“ Am 3. November desselben Jahres fanden die amerikanischen Präsidentschaftswahlen statt, sechs Tage später – Joe Biden hatte gegen Donald Trump gewonnen – haben Pfizer und Biontech „erste Ergebnisse aus der laufenden, abschließenden Studie zu ihrem Impfstoff-Kandidaten vorgelegt“, so hieß es in der „Tagesschau“. Ein Schelm, wer in diesem absichtlichen Aufschub eine gut versteckte Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahlen sieht.

So warten wir auf die nächste Einmischung von Elon Musk mithilfe eines Gesprächs mit Weidel, das man allerdings nicht Interview nennen sollte. Der Unternehmer mit der unklaren Rollenbeschreibung ist schließlich kein Journalist. An Transparenz wird es trotzdem nicht fehlen, jeder kann sich ein Bild machen – das zumindest ist sicher.

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