16 Januar 2025

Der andere Blick - Friedrich Merz rudert zurück: Die Christlichdemokraten verlässt bei der Atomkraft der Mut (NZZ)

Der andere Blick -
Friedrich Merz rudert zurück: Die Christlichdemokraten verlässt bei der Atomkraft der Mut (NZZ)
Der Kanzlerkandidat der Union hat die deutsche Regierung zurecht angegriffen für ihre Fehlentscheidung, die letzten Reaktoren abzuschalten. Nun klingt er ganz anders. Für Deutschland ist das fatal.
Von Morten Freidelon, 16.01.2025, 3 Min
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg hat allen vor Augen geführt, dass die zerbrochene deutsche Regierung einen Weiterbetrieb der Meiler niemals ernsthaft erwog. Im Gegenteil: Die grün geführten Ministerien tricksten und täuschten, wo sie konnten, um die Kraftwerke trotz Energiekrise so schnell wie möglich abzuschalten.
Sie veröffentlichten einseitige Vermerke zulasten der Kernkraft, sie gaben Gefälligkeitsgutachten in Auftrag, deren Ergebnisse vorher feststanden, sie nahmen für den Atomausstieg sogar eine unsichere Versorgung in Kauf. Die Aussagen von Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck an diesem Donnerstag fallen da kaum noch ins Gewicht.
Das alles ist ein Skandal, für den sich Grüne und SPD bis jetzt kaum verantworten müssen. Stünden die Liberalen dabei im Mittelpunkt, wären die Abendsendungen voll davon. So aber gehen die Bürger achselzuckend ihrer Wege.
Bei aller berechtigten Kritik an der deutschen Koalition sollte man eines allerdings nicht vergessen: die unrühmliche Rolle der Union. Die meisten Atommeiler sind unter ihrer Führung abgeschaltet worden. Stoisch hielt sie an ihrem Kurs fest, trotz allen Warnungen von Fachleuten und Journalisten.
Merz hat der Mut verlassen
Dem neuen Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten der CDU Friedrich Merz kann man das natürlich nicht vorwerfen. Er war zu jenem Zeitpunkt kein Politiker mehr und hat den Kurs seiner Partei in der Sache mehrfach kritisiert. Wohl aber kann man ihm mangelnde Glaubwürdigkeit vorwerfen.

Immer wieder hat Merz die zerbrochene Regierung in den vergangenen Monaten und Jahren für den Atomausstieg angegriffen. Er sprach von einem «schweren strategischen Fehler» und von «blanker Ideologie». All das ist richtig. Nun aber ist von Merz’ deutlichen Worten nur noch ein kaum vernehmbares Säuseln geblieben. Eine Rückkehr zur Atomkraft hielt er erst vor wenigen Tagen bei einer Parteiveranstaltung für unwahrscheinlich.

Damit bleibt Merz sogar noch hinter seiner Partei zurück, die immerhin prüfen will, ob sich die zuletzt abgeschalteten Reaktoren wieder ertüchtigen lassen. Schon das war eher mutlos. Wer eine Rückkehr zur Atomkraft will, sollte sie fordern, nicht prüfen. Merz scheint der Mut so kurz vor der Wahl nun endgültig verlassen zu haben.

Verliererthema Kernkraft?

Die Union macht damit denselben Fehler gleich zweimal: Sie gibt eine strategische Position auf, um kurzfristig Geländegewinne zu erzielen. 2011 beschloss Angela Merkel nach Fukushima den Atomausstieg, um die Grünen in Baden-Württemberg noch zu überholen. Nun sagt Merz den Wiedereinstieg ab, um ein Streitthema mit möglichen linken Koalitionspartnern noch vor der Wahl abzuräumen.

Man kann die Parteistrategen förmlich sprechen hören: Wir müssen mit SPD oder Grünen ohnehin so viele strittige Punkte klären, da sollte uns nicht auch noch das Verliererthema Kernkraft im Weg stehen.

Aber es ist kein Verliererthema, schon gar nicht im Rest der Welt. Laut der Internationalen Energieagentur steht die nukleare Energie vor einer weltweiten Rückkehr, in Amerika werden alte Meiler ertüchtigt, überall in Europa und Asien werden neue gebaut. Amazon, Microsoft und Google wollen Kleinreaktoren errichten, um damit ihre Rechenzentren anzutreiben.

Nur in Deutschland will man das nicht begreifen. Nicht einmal die Christlichdemokraten bringen dafür offenbar die Kraft auf. Den Sarg für die Atomkraft hat die Union unter der früheren Kanzlerin Angela Merkel selbst gezimmert. Nun gestattet sie es der amtierenden Regierung, den letzten Nagel hineinzuhämmern.

Die Union scheint ihre Entscheidung getroffen zu haben

Dabei ging es in Deutschland nie nur um ein paar marode Kraftwerke, deren Zeit ohnehin abgelaufen war. Es geht um die grundsätzliche Frage, wie sich Klimaneutralität in einem Industriestaat erreichen lässt. Wie sich die Errungenschaften der Moderne und Klimaschutz verbinden lassen. Ohne die Atomkraft wird das in einem Land wie Deutschland sehr schwer, wenn nicht unmöglich.

Man kann es auch ausdrücken, wie der frühere amerikanische Energieminister und Physiknobelpreisträger Steven Chu es einmal in einem Gespräch über die Atomkraft tat: Die Deutschen, sagte er, müssten sich entscheiden. «Wollen sie eine prosperierende Wirtschaft und gleichzeitig ihre Klimaziele erreichen, oder wollen sie nur ihre Klimaziele erreichen?»

Die Union scheint ihre Entscheidung getroffen zu haben.

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