Tausende falsche Stimmzettel – „Mit einer DDR-Nonchalance mit Wahlen umgegangen“ (WELT+)
Die Berliner Landeswahlleitung hat gegenüber dem Verfassungsgerichtshof
offengelegt, was ihr über die Pannen bei der Wahl im September 2021
bekannt ist. Kläger Marcel Luthe ist entsetzt über das Ausmaß der
Fehler. Er sieht nur eine mögliche Konsequenz.
Nun lässt sich das Chaos noch genauer beziffern. Die Berliner Landeswahlleitung geht derzeit davon aus, dass bei der Abgeordnetenhauswahl
im September 2021 – einer von drei abgehaltenen Wahlen an jenem Tag –
in 3577 Fällen falsche Stimmzettel ausgegeben wurden. In 4706 Fällen
wurde zudem gänzlich vergessen, Erst- oder Zweitstimmunterlagen an
Wahlberechtigte auszuteilen.
Am 26. September 2021 mussten Wähler
in der deutschen Hauptstadt immer wieder abgewiesen werden, weil zu
wenige Stimmzettel vorhanden waren. Die zwischenzeitlichen Schließungen
der Wahllokale addierten sich auf mindestens 55 Stunden.
Das geht
aus einer Antwort der stellvertretenden Wahlleiterin Ulricke Rockmann
auf Fragen des Berliner Landesverfassungsgerichtshofs hervor. Der
Verfassungsgerichtshof wird in den kommenden Monaten über eine
Wiederholung der Wahl entscheiden müssen. Diese wäre dann notwendig,
wenn bewiesen wurde, dass die Unregelmäßigkeiten Auswirkungen auf die
Sitzverteilung im Parlament hatten.
In der Stellungnahme nennt die Wahlleitung Gründe, aus denen es zur Verwechslung von Stimmzetteln gekommen sein soll. Demnach habe die beauftragte Druckerei Fehler gemacht – und die Bezirke haben offenbar wenig Sorgfalt walten lassen. So heißt es: „Nach Bekanntwerden von Vermischungen und Falschbeschriftungen von Kartons während der Briefwahl wurde allen Bezirken angeboten, die erhaltenen Pakete durch Mitarbeitende der Druckerei kontrollieren zu lassen.“ Hiervon sei jedoch nur vereinzelt Gebrauch gemacht worden.
Es liegen mehr als 30 Einsprüche gegen die Wahl vor. Eine Anfechtung kommt vom Freie-Wähler-Politiker Marcel Luthe. Luthe sagte WELT: „Es geht um ein ganz zentrales Prinzip, das Demokratieprinzip, die Frage, welche Rolle der Bürger als Souverän noch spielt. Hier wurde mit einer DDR-Nonchalance mit Wahlen umgegangen.“ Es sei „unfassbar wichtig“, dass es nun zu einer vollständigen Aufklärung komme. Denn sonst könne man „Wahlen irgendwann ganz vergessen“.
Innensenator kannte „außerordentliche Herausforderung“
Ein Anhang der Stellungnahme zeigt zudem, dass dem damaligen Innensenator Andreas Geisel (SPD) bewusst war, dass auf Berlin eine „außerordentliche Herausforderung“ zukommen würde. Neben der Abgeordnetenhauswahl fand auch die Bundestagswahl, die Wahl der Bezirksverordnetenversammlungen und ein Volksentscheid statt. In einem Brief am 21. Mai fragte der damalige Innensenator die Bezirksbürgermeister deshalb nach dem Stand der Vorbeitungen. Geisel wollte wissen, wie viele Wahlhelfer im Einsatz seien und wie die Schulungen dieser Helfer vorbereitet würden.
Dass nicht die personelle Besetzung, sondern deutlich banalere Probleme die Wahl ins Chaos stürzen würden, ahnte Geisel offenbar nicht. So gaben Wahlhelfer später in verschiedenen Bezirken zu Protokoll, dass die Stimmzettel teils bereits am Mittag ausgegangen seien. In vielen Fällen hätte der angeforderte Nachschub nicht geliefert werden können, da gleichzeitig zur Wahl der Berlin-Marathon stattfand und Straßen gesperrt waren. In vielen der Fälle mussten Helfer mit Fahrrädern selbst zu den Bezirkswahlämtern fahren und die nötigen Unterlagen abholen.Die Protokolle aus den Wahllokalen liegen dem Verfassungsgerichtshof vor. Die Wahlleitung hat laut eigenen Angaben dagegen keinen Zugang. Sie habe auch keine Ermittlungsbefugnisse, schreibt Rockmann.
Für Luthe ist das unverständlich. In Bezug auf die Protokolle sagte er: „Wieso gibt es die überhaupt, wenn hier überhaupt keine Kontrolle stattfindet? Das ist ein riesiges Problem. Wenn keiner mehr hinschaut und keiner mehr kontrolliert, dann macht keiner mehr seinen Job. Wieso denn auch?“ Der
ehemalige Abgeordnete, der als Spitzenkandidat der Freien Wähler am
Einzug ins Parlament gescheitert war, glaubt an einen baldigen Erfolg
seiner Bemühungen. „Die Beweismittel liegen dem Verfassungsgerichtshof
vor. Ich vermute nach allem, was wir wissen, dass im September keine
Wahlen im Sinne des Artikels 38 Grundgesetz stattgefunden haben“, sagte
Luthe. Wenn das so sei, dann müsse das Verfassungsgericht sofort
einschreiten. „Denn dann hat das aktuelle Parlament keine demokratische
Legitimation“, gibt sich Luthe überzeugt.
In der Stellungnahme nennt die Wahlleitung Gründe, aus denen es zur Verwechslung von Stimmzetteln gekommen sein soll. Demnach habe die beauftragte Druckerei Fehler gemacht – und die Bezirke haben offenbar wenig Sorgfalt walten lassen. So heißt es: „Nach Bekanntwerden von Vermischungen und Falschbeschriftungen von Kartons während der Briefwahl wurde allen Bezirken angeboten, die erhaltenen Pakete durch Mitarbeitende der Druckerei kontrollieren zu lassen.“ Hiervon sei jedoch nur vereinzelt Gebrauch gemacht worden.
Es liegen mehr als 30 Einsprüche gegen die Wahl vor. Eine Anfechtung kommt vom Freie-Wähler-Politiker Marcel Luthe. Luthe sagte WELT: „Es geht um ein ganz zentrales Prinzip, das Demokratieprinzip, die Frage, welche Rolle der Bürger als Souverän noch spielt. Hier wurde mit einer DDR-Nonchalance mit Wahlen umgegangen.“ Es sei „unfassbar wichtig“, dass es nun zu einer vollständigen Aufklärung komme. Denn sonst könne man „Wahlen irgendwann ganz vergessen“.
Innensenator kannte „außerordentliche Herausforderung“
Ein Anhang der Stellungnahme zeigt zudem, dass dem damaligen Innensenator Andreas Geisel (SPD) bewusst war, dass auf Berlin eine „außerordentliche Herausforderung“ zukommen würde. Neben der Abgeordnetenhauswahl fand auch die Bundestagswahl, die Wahl der Bezirksverordnetenversammlungen und ein Volksentscheid statt. In einem Brief am 21. Mai fragte der damalige Innensenator die Bezirksbürgermeister deshalb nach dem Stand der Vorbeitungen. Geisel wollte wissen, wie viele Wahlhelfer im Einsatz seien und wie die Schulungen dieser Helfer vorbereitet würden.
Dass nicht die personelle Besetzung, sondern deutlich banalere Probleme die Wahl ins Chaos stürzen würden, ahnte Geisel offenbar nicht. So gaben Wahlhelfer später in verschiedenen Bezirken zu Protokoll, dass die Stimmzettel teils bereits am Mittag ausgegangen seien. In vielen Fällen hätte der angeforderte Nachschub nicht geliefert werden können, da gleichzeitig zur Wahl der Berlin-Marathon stattfand und Straßen gesperrt waren. In vielen der Fälle mussten Helfer mit Fahrrädern selbst zu den Bezirkswahlämtern fahren und die nötigen Unterlagen abholen.Die Protokolle aus den Wahllokalen liegen dem Verfassungsgerichtshof vor. Die Wahlleitung hat laut eigenen Angaben dagegen keinen Zugang. Sie habe auch keine Ermittlungsbefugnisse, schreibt Rockmann.
Für Luthe ist das unverständlich. In Bezug auf die Protokolle sagte er: „Wieso gibt es die überhaupt, wenn hier überhaupt keine Kontrolle stattfindet? Das ist ein riesiges Problem. Wenn keiner mehr hinschaut und keiner mehr kontrolliert, dann macht keiner mehr seinen Job. Wieso denn auch?“
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