Kein Grund zur Beunruhigung? So hat es bei Corona auch begonnen (WELT+) Von Magnus Klaue 27.05.2022
Der Hype um die Affenpocken treibt auf die Spitze, was seit Corona
geschieht – die Verwandlung von Bürgern in Mitglieder einer Viehherde,
die sich als Objekte der Veterinärmedizin betrachten sollen. In einer
Hinsicht ist das neue Virus sogar besser geeignet für harte Maßnahmen.
Das geschickteste
Mittel, Panik zu verbreiten, besteht darin, vor einer möglichen Panik zu
warnen. Nachdem in den vergangenen Tagen in Berlin, Bayern,
Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt Fälle der Infektion mit Affenpocken
gemeldet wurden und Großbritannien und Belgien bereits
Quarantäneverordnungen für Infizierte erarbeitet haben, verlautbarte
Paula Piechotta, Gesundheitspolitikerin der Grünen: „Grundsätzlich tun
wir sehr gut daran, immer wieder zu kommunizieren, dass die Affenpocken
überhaupt nicht vergleichbar sind mit Corona. Die Affenpocken sind keine
komplett neue Erkrankung. Da gab es in den letzten Jahren immer wieder
Ausbrüche in verschiedenen Ländern und grundsätzlich sind wir da gut
gerüstet.“
Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, versicherte,
es handele sich um einen begrenzten Ausbruch, der für die meisten
Menschen ungefährlich sei, und fügte hinzu: „Nichtsdestoweniger wissen
wir noch nicht, wie groß er sein wird. Deswegen gilt bestimmte
Wachsamkeit.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte an, die
Herstellung eines Impfstoffs speziell gegen Affenpocken vorbereiten zu
lassen.
Beruhigend kann diese Reaktionen nur finden, wer vergessen hat, dass
die medial gestützte Corona-Panikpolitik der Bundesregierung vor etwas
mehr als zwei Jahren mit fast wortgleichen Beschwichtigungen begonnen
hatte. Auch damals wurde auf die lokale Begrenztheit der aufgetretenen
Fälle hingewiesen, auch damals wurde ventiliert, es handele sich bei der
Infektion um keine wirklich neue Erkrankung. Das hinderte die
Bundesregierung nicht, im März 2020 von einer Expertenkommission unter
Beteiligung des österreichischen Germanisten Otto Kölbl – einem ausgewiesenen Mao-Fan, der Geld aus Peking bekam
– ein Strategiepapier erarbeiten zu lassen, in dem das Schüren von
Panik zwecks Erleichterung der Durchsetzung repressiver Hygienemaßnahmen
empfohlen wurde.
Dysfunktionale Hygienemaßnahmen
Zwar sprechen die im Vergleich mit Covid-19 spezifischere Symptomatik
des Affenpockenvirus und die andere Form seiner Übertragung dagegen,
dass es sich in ähnlicher Weise für Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle
und für Einschränkungen grundlegender Freiheitsrechte kapern lässt wie
Covid-19. Doch andererseits wird bis heute auf Covid-19 durch
dysfunktionale Hygienemaßnahmen wie die Desinfektion von Tischen
reagiert, obwohl das Virus nicht durch Schmierinfektion übertragbar ist.
Außerdem ist das Affenpockenvirus wegen der mit ihm verbundenen
Symptomatik (archaisch anmutender Hautausschlag) und seiner
Übertragungsweise (naher Körperkontakt mit anderen Menschen
oder mit kontaminierten Materialien) besser als Covid-19 geeignet,
Angstphantasien zu entfesseln, die in der Corona-Krise massenhaft
aktiviert wurden.
Vor allem lässt sich im Fall der Affenpocken die naturgeschichtliche
Verbindung menschlicher Gesellschaften zur Tierwelt, deren Lust- und
Angstbesetzung ebenfalls bei Covid-19 offenbar geworden ist, besonders
gut manipulativ ausbeuten – schließlich wurden die Affenpocken, daher
ihr Name, 1958 erstmals bei Laboraffen nachgewiesen.
Mit der Überdeutlichkeit einer Realsatire zeigte sich dies anlässlich
der öffentlichen Erklärung Karl Lauterbachs, die Gesundheitsminister
der Länder planten „eine sehr realistische Übung“, in der es darum gehe,
„dass aus einem Leopardenbiss eine Pockenpandemie sich entwickeln
könnte“, die in „vier Stufen“ beherrschbar gemacht werden solle. Wie
sich die Verbreitung von Pocken durch die Simulation von Leopardenbissen
unter Einwohnern bundesdeutscher Städte proben lassen soll, ohne dass
die Politik sich in ein Reenactment von „Monty Python’s Flying Circus“
verwandelt, hat Lauterbach nicht erklärt.
Erinnerung an die Aids-Hysterie
Hinzukommt, dass Ausbrüche von Affenpocken wegen den Bedingungen
ihrer Übertragung bisher vor allem unter homosexuellen Männern mit
häufig wechselnden Sexualkontakten zu beobachten waren. Ein Ausbruch auf
Gran Canaria wurde von Virologen mit einem dort veranstalteten
Fetisch-Festival in Verbindung gebracht.
Auch wenn diese Korrelation empirisch verifizierbar sein mag und
männliche Homosexuelle und promiskuitiv lebende Menschen stärker von
Affenpocken betroffen sein sollten als andere Bevölkerungsgruppen, ruft
die Vehemenz, mit der in der Öffentlichkeit diese Verbindung
skandalisiert wird, Erinnerungen an die imaginäre Überformung der
Aids-Hysterie in Erinnerung, wie sie Susan Sontag 1989 in ihrer Studie „Aids und seine Metaphern“ kritisiert hat.
Weit davon entfernt, die Aids-Panik jener Zeit als Produkt purer
Projektion darzustellen, ging es Sontag in ihrem Essay darum, dass die
Unterscheidung zwischen den imaginativen und ideologischen Implikationen
der Aids-Angst und deren empirischem Substrat Voraussetzung für eine
effektive Gesundheitspolitik beim Kampf gegen Aids hätte sein müssen.
Auch die Angstpolitik angesichts der Affenpocken würde nicht
funktionieren ohne Rekurs auf die kollektive Phantasie, dass Ansteckung
mitsamt ihren tödlichen Folgen genuin etwas mit Sexualität als der
somatischen Grundlage jeder zwischenmenschlichen Kommunikation zu tun
hat. In dieser Angst wird die seit zwei Jahren virulente Panik vor der
ansteckenden Promiskuität der „Aerosole“ reaktiviert, obwohl diese Angst
mit Covid-19 empirisch so wenig zu tun hatte wie Covid-19 mit den
Affenpocken.
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