20 Mai 2022

Business Class: Die wahren Kosten der Russland-Sanktionen

Business Class: 
Die wahren Kosten der Russland-Sanktionen

Guten Morgen,
die Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland haben (erwartungsgemäß) nicht den Krieg beendet, aber sie haben erstens Putin und zweitens dem Westen selbst einen schweren ökonomischen Schlag verpasst. Die unbequeme Wahrheit ist diese: Man zielte auf Russland und hat dabei auch sich selbst ins Knie geschossen.

Im Grunde war alles, was jetzt passiert, ökonomisch vorhersehbar: In einer Welt der freien Warenströme und der Geschäftsbeziehungen zum gegenseitigen Vorteil kann kein Partner sich einseitig zurückziehen, ohne zugleich sich massiv selbst zu schaden.

Politiker, die den schnellen politischen Effekt wollten – um damit weniger Putin, als vielmehr ihre Wähler zu beeindrucken – haben damit ihre eigenen Volkswirtschaften unter Stress gesetzt. Weltweit – und eben nicht nur in Russland – reagiert die Wirtschaft mit Fieberschüben und Schüttelfrost. Wir sind Zeitzeuge einer vorsätzlichen und das heißt von Menschenhand herbeigeführten globalen Energie-, Ernährungs- und Wirtschaftskrise.

Alles begann damit, dass als erste Reaktion auf Putins völkerrechtswidrige Invasion ein ökonomisches Kräftemessen mit dem zweitgrößten Gas- und drittgrößten Ölproduzenten der Welt einsetzte; das wiederum führte an den Weltenergiemärkten erst zu Verunsicherung und dann zu historisch einmaligen Preisschüben, von denen vor allem die Hersteller – also auch Russland und seine Energiegiganten Gazprom, Rosneft und Lukoil – profitieren.

Der Anteil der EU-Gasimporte aus Russland ist bereits von 40 Prozent im vergangenen Jahr auf 26 Prozent gesunken, sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen voller Stolz. Was sie verschweigt: Ein Ergebnis des europäischen Rückzugs ist, dass Russland zu günstigeren Preisen nach Indien und nach China liefert. Und dass die Verbraucher an der Angebotsverknappung in der EU leiden, die zu Preissteigerungen führt.

Für sozial Schwächere – darunter allein in Deutschland 21 Millionen Rentner – bedeuten die Kosten fürs Kochen, Heizen und Autofahren ein Viertel bis ein Drittel ihrer monatlichen Lebenshaltung. Sie zahlen für die ökonomische Kriegsführung des Westens einen hohen Preis.

Die Staaten, die diese Energiepreisexplosion gegenüber den sozial Schwachen ausgleichen wollen und müssen, leiden mit. Allein das Entlastungspaket des Finanzministers, das alle Einkommensteuerzahler um 300 Euro entlastet, kostet 15 Milliarden. So findet das Sanktionsregime über die Energiepreise seinen Weg in die Staatsverschuldung.


Die steigenden Energiepreise befeuern zugleich die Inflation, die zum Beispiel in Großbritannien bei 9 Prozent, in den USA und in Spanien bei 8,3 Prozent gemessen wurde. Bei gleichzeitig ausbleibendem Wirtschwachtswachstum – Spaniens Wirtschaft legte im ersten Quartal nur noch um 0,3 Prozent zu; Frankreichs Wirtschaft wuchs überhaupt nicht – droht eine Stagflation. Und auch in Deutschland sind stagnative Tendenzen bei einer monatlichen Inflation von 7,4 Prozent und einem BIP-Wachstum von lediglich 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zu erkennen. Die Folge: Jobverluste für viele und Wohlstandseinbußen für alle.

Die Notenbanken haben keine andere Wahl, als die steigende Inflation mit steigenden Zinsen zu bekämpfen, oder es zumindest zu versuchen. Das wiederum lässt die Weltbörsen taumeln, die vom billigen Geld der Investoren längst abhängig waren. Es kommt zur Kapitalvernichtung in den Depots, was auch die Lebensversicherungen und viele private Investoren in ihrer Vermögensdisposition berührt.

Auch die Klimapolitik ist betroffen, denn Brüssel gab gestern grünes Licht für eine gesteigerte Kohleverbrennung. Die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl soll verständlicherweise beendet werden, die Klimapolitik muss warten. Die Europäische Kommission gab jetzt ihr Einverständnis, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren fünf Prozent mehr Kohle verbraucht werden darf als eigentlich geplant.

Es wird erwartet, dass die Kohle in den nächsten fünf bis zehn Jahren jährlich weitere 100 Terawattstunden Strom produzieren wird, was etwa dem Stromverbrauch Belgiens entspricht. Auf die Frage, ob der neue Plan mit dem „Green Deal" der EU zur Dekarbonisierung der Wirtschaft vereinbar sei, antwortete Frans Timmermans, der für die Umsetzung des Plans zuständige Kommissar, dass „wir keine andere Wahl haben".

Auch der International Monetary Fund meldete sich bereits in mahnender Absicht zu Wort, denn die nun gestörten Lieferketten mit Russland könnten als Zweitrundeneffekt eine Hungersnot in Afrika verursachen. Die Invasion und die Sanktionen „haben weltweit eine Krise nach der anderen ausgelöst, in der Länder mit Nahrungsmittelknappheit und stark gestiegenen Preisen für Lebensmittel, Energie und Düngemittel konfrontiert sind.“  

Mittlerweile haben alle führenden Industrienationen ihre Wachstumszahlen für 2022 und 2023 massiv nach unten korrigiert. Das bedeutet: Der ökonomische Schaden des Ukraine-Krieges – und damit auch der Reaktion darauf – übertrifft das traditionell mickrige russische Sozialprodukt um ein Vielfaches. Der Westen hat in einem tragischen Doppelschlag Putin und sich selbst einen verpasst: So wurde Putins Krieg zu unserer Krise

Der geschulte Berufspolitiker will genau diese Rechnung nicht öffnen. Mit den empörten Worten „was wäre denn die Alternative gewesen“ verweigert man in Berlin und Brüssel die Rechnungsannahme.

Der journalistische „Fehlergucker”, ein Begriff, den ich mir bei Stefan Aust abgelauscht habe, ist weitgehend immun gegen derartige Denkbarrieren. Er weiß: Probleme, die nicht beschrieben werden dürfen, lassen sich niemals lösen. Hermann Hesse hat uns dazu das Nötige gesagt:
"Die Praxis sollte das Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt"

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