Unabhängig vom eigenen Standpunkt lässt sich jedenfalls feststellen:
Sowohl der SPD-Minister als auch der Virenforscher sind in der Pandemie
zu sehr bekannten Persönlichkeiten geworden. Lauterbach verdankt seinen
dauermahnenden Talkshowauftritten den Kabinettsposten. Und Drosten war
zwar innerhalb seiner Zunft schon vor dem Corona-Ausbruch bekannt und
international vernetzt. Doch das ist ein ziemlich kleiner Kreis an
hochspezialisierten Forschern, die in gut abgeschotteten Laboren vor
sich hin werkeln und selten vor Fernsehkameras stehen. Zum gefeierten
Starvirologen wurde Drosten erst Dank und durch das neuartige Virus aus Wuhan.
Das neu geschaffene Amt des Starvirologen
Ein solches Amt, das des deutschen Starvirologen, gab es vor 2020
nicht einmal. Es wurde im Zuge der Corona-Krise geschaffen. Vor allem
von Journalisten, die den weißbekittelten Wuschelkopf mit der sanften
Stimme zum Helden erklärten. Die Medienfigur Drosten wurde zu einem
modernen Professor Brinkmann, der statt mit dem Audi 200 zur
Schwarzwaldklinik mit dem Fahrrad zur Berliner Charité fährt. Und
selbstverständlich ist bis heute kein Zweifel daran erlaubt, dass es
ganz Deutschland einzig und allein ihm zu verdanken hat, dass „wir so
gut durch die Pandemie gekommen sind“, wie es oft heißt.
An der Entstehung dieses Heldenmythos hat der Virologe selbst fleißig
mitgewirkt. Drosten machte stets mehr oder weniger subtil klar, dass
vor allem er hier „die Wissenschaft“ verkörpere. Andere Wissenschaftler,
die ihm in einzelnen Fragen des Pandemie-Managements widersprachen,
bekamen den Zorn seiner Anhänger zu spüren. Drosten selbst begnügte sich
damit, durch mehr oder weniger subtile Sticheleien die entsprechenden
Signale zu setzen. Den Rest erledigten seine Twitter-Follower und Fans
in den Redaktionen. So setzte sich die klare Botschaft durch: Es kann
nur einen geben.
Streit um Verschwörungsvorwurf...
Inzwischen, nachdem die Panik abgeklungen ist und sich die Frage
stellt, ob manche der teils massiven Seuchenschutzmaßnahmen nicht
übertrieben oder gar falsch waren, bröckelt der Sockel des
Drosten-Denkmals. Zum einen, weil aus den USA immer mehr Informationen
nach Deutschland herüber schwappen, die nahelegen, dass führende
Virologen sehr früh den Verdacht hegten, das hochansteckende Virus
könnte aus dem Labor stammen, dies aber vor der Öffentlichkeit verbergen
wollten. Drosten, der in diese Diskussionen eingebunden war,
unterzeichnete dennoch einen offenen Brief in einer angesehenen
medizinischen Fachzeitschrift, in dem die sogenannte Laborthese als
Verschwörungstheorie abgetan wurde.
Mit dem Hamburger Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger, der Drosten deshalb in einem Cicero-Interview
deutliche Vorwürfe machte, liefert sich der Berliner Virologe einen
juristischen Kleinkrieg, der noch nicht entschieden ist. Cicero
nahm das online veröffentlichte Interview zwar vorläufig vom Netz, aber
die mündliche Verhandlung zwischen den beiden Kontrahenten steht noch
aus. Am 20. Mai ist ein öffentlicher Termin vor dem Landgericht Hamburg
angesetzt. Wiesendanger will persönlich erscheinen. Ob Drosten selbst
kommt oder nur einen Anwalt schickt, ist offen. Es könnte spannend werden.
Offene Aufarbeitung der Corona-Politik
Anderes Ungemach könnte Drosten drohen, wenn es in Deutschland zu
einer offenen Aufarbeitung der Corona-Politik kommt. Denn er spielte als
zentraler Berater der Bundesregierung eine wichtige Rolle. Ob die
monatelangen Schulschließungen wirklich notwendig waren oder doch mehr
Schaden angerichtet als Nutzen bewirkt haben, ist eine der noch zu
klärenden Fragen. Drosten, dessen Charité-Institut sich dazu auch vor
dem Bundesverfassungsgericht geäußert hat, bekommt aus der Medizin
gerade heftigen Gegenwind.
Im Hessischen Ärzteblatt ist ein bemerkenswert kritischer Artikel zu den Schulschließungen
erschienen, in dem die Charité-Stellungnahme auseinandergenommen wird.
Der Autorin Ursula Heudorf, einer anerkannten Expertin für öffentliches
Gesundheitswesen, sprang daraufhin die Deutsche Gesellschaft für
Krankenhaushygiene bei und veröffentlichte eine ebenso bemerkenswerte Stellungnahme. Darin heißt es:
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur
Verhältnismäßigkeit der Bundesnotbremse im Hinblick auf Kinder und
Schulen ist aus medizinischer (vor allem pädiatrischer) und
wissenschaftlicher Sicht fragwürdig unter anderem, weil sie sich auf ein
unzureichendes Gutachten der Charité stützt. Wichtige Aspekte der
anderen Gutachten und Mängel der Stellungnahme des Instituts für
Virologie der Charité wurden nicht gewürdigt, obwohl das Gericht auf
diese Widersprüche und Fehler hingewiesen wurde. Wir sehen, wie Frau
Prof. Heudorf, die Gefahr, dass auch in Zukunft Kinder und Jugendliche
in ihren Lebenschancen u.a. in ihrem Recht auf Bildung und
uneingeschränkte altersentsprechende soziale Teilhabe aufgrund dieser
Entscheidung stärker eingeschränkt werden, als es durch die Studienlage
und auch durch die Erfahrungen in anderen Ländern geboten wäre.“
Ein starker Vorwurf sowohl gegenüber Drosten als auch den Karlsruher
Richtern, die mit der ihnen zugedachten Rolle als Kontrollinstanz des
Regierungshandelns in der Corona-Pandemie offenbar überfordert waren.
Doch das Medienecho blieb aus. Natürlich kann das am Krieg in der
Ukraine liegen, der andere Themen gerade in den Hintergrund drängt. Aber
es hat wohl auch damit zu tun, dass in den Redaktionen, vor allem den
öffentlich-rechtlichen, die Angst umgeht, das selbst geschaffene Denkmal
des Berliner Corona-Papstes könnte beschädigt werden.
Lauterbach sieht seine Felle davonschwimmen
Eine Furcht, die offenbar auch der Gesundheitsminister teilt. Denn
Lauterbach, der stets ein Verfechter möglichst strenger
Lockdown-Maßnahmen war, sieht seine Felle davonschwimmen. Er versuchte,
eine Expertenkommission auszubremsen, die den gesetzlichen Auftrag hat,
die deutsche Pandemie-Politik kritisch zu beleuchten. Eigentlich soll
diese Kommission ihren Bericht Ende Juni vorlegen. Doch Lauterbach
wollte auf Zeit spielen und behauptete, das sei nicht möglich, weil
wesentliche Daten fehlten. Intern gab es darüber wohl Streit, der durch
Berichte der Welt an die Öffentlichkeit drang. Und das wiederum
brachte das Kommissionsmitglied Christian Drosten so auf die Palme,
dass er die Kommission jetzt verlassen hat.
Drostens Rückzug gab Lauterbach am Donnerstag per Twitter-Meldung
bekannt und fügte hinzu: „Das ist ein schwerer Verlust, weil niemand
könnte es besser.“
Natürlich nicht. Wer könnte schon besser die Sinnhaftigkeit von
Pandemiebekämpfungs-Maßnahmen beurteilen, an deren Entstehen er selbst
als Berater beteiligt war? Diese Frage hat übrigens, parallel zu den
Querelen innerhalb der Kommission, der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki
gestellt. Und zwar an den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, von
dem er sich eine juristische Antwort darauf erhofft. Kubicki will
wissen, ob Drosten überhaupt Mitglied dieser Kommission hätte sein
dürfen, die laut Gesetzestext aus „unabhängigen Sachverständigen“
bestehen soll.
Der jüngste Eklat zeigt, wie dringend notwendig es ist, dass
Deutschlands Corona-Politik umfassend durchleuchtet wird. Dazu zählt
auch das Zusammenwirken von wissenschaftlichen Beratern und der
Regierung.
Siehe auch:
Mal wieder eine kernige
Auseinandersetzung in der Corona-Politik: Nachdem Chefvirologe Christian
Drosten aus dem Sachverständigenausschuss ausgeschieden ist, der bis
Ende Juni für Bundesregierung und Bundestag das Infektionsschutzgesetz
evaluieren soll, wird der Graben in der Bewertung der Corona-Politik
deutlich, der Politik, Gesellschaft und Wissenschaft teilt.
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