25 Mai 2022

Karl Lauterbach und die Affenpocken - Entzieh dem Affen Zucker! (Cicero+)

Karl Lauterbach und die Affenpocken
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Entzieh dem Affen Zucker! (Cicero+)
Dass notorische Panikmacher wie Karl Lauterbach das Auftreten einiger Fälle von Affenpocken begierig aufgreifen, war zu erwarten. Das eigentliche Problem ist die mediale Berichterstattung, die der deutschen Bevölkerung in ihrer stets latenten Angstbereitschaft mal wieder entgegenkommt.
VON RALF HANSELLE am 25. Mai 2022 
Dieser Text ist ein Problemfall. Vermutlich würde es ihn gar nicht geben, wäre der Mensch nicht auch und vor allem ein angstbegabtes Wesen. Die Angst, so hat der dänische Existenzphilosoph Sören Kierkegaard einmal gesagt, ist die Begierde nach dem, wovor man sich fürchtet. Und so betrachtet scheint der moderne Mensch ein schier unendlich begieriges Wesen zu sein. Er fürchtet sich nämlich nahezu vor allem und jedem: vor dem Zahnarzt und der Dunkelheit, vor Corona, aber auch vor der Corona-Impfung. Manche fürchten sich vor dem Atomschlag, andere wiederum vor einer Welt, in der dieser Schlag aufgrund der Abwesenheit von atomaren Waffen am Ende vielleicht gar nicht mehr möglich wäre. Mithin: Grund zur Angst gibt es mehr als genug. Eigentlich eine beruhigende Feststellung. Denn nur wer in Angst war, findet auch Ruhe.
Aber wie gesagt: Dieser Text ist ein Problemfall. Er funktioniert nämlich nur aufgrund Ihrer Angstlust. Er spielt mit den Gespenstern in Ihrem Keller und mit der Furcht vor dem Fall ins Bodenlose. Oft reicht da schon ein einziges Wort, und der sichere Grund fängt an zu wackeln: „Inflation“ zum Beispiel wäre ein solches. „Klimawandel“ ein anderes. Und seit ein paar Tagen: „Affenpocken“. Man stelle sich das doch auch nur einmal vor: Der ganze Körper überzogen mit Pusteln, die nur noch der ausgewiesene Mediziner genauer zu spezifizieren weiß: Macula, Papula, Vesikula und natürlich Pustula. Da bekommt der alte Affe Angst nicht nur Zucker, ihn plagen regelrechte Juckattacken. Aber genug des flapsigen Untertons. Immerhin soll man bei Kindern unter 16 Jahren, die mit der virulenten zentralafrikanischen Variante des in Fachkreisen auch Othopoxvirus simiae genannten Erregers infiziert sind, bei früheren Ausbrüchen eine Fallsterblichkeit von bis zu elf Prozent beobachtet haben. So zumindest sagt es das zuständige Robert-Koch-Institut. Nur die westafrikanische Variante soll hingegen mit einer deutlich geringeren Fallsterblichkeit einhergehen.

Karl Lauterbach ist nur ein Problemfall zweiter Ordnung

Sage also niemand, er habe jetzt keine Angst. Immerhin ist „Affenpocken“ der aktuelle „Trigger Term“ auf Twitter und Facebook. Und so lebt auch dieser Text letztlich nur von der anschwellenden Panikattacke. Wie gesagt: Ein echter Problemfall. Vor diesem wirkt der so oft gescholtene Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) letztlich nur wie ein Problemfall zweiter Ordnung. Denn dass der am gestrigen Dienstag den Deutschen Ärztetag in Bremen dafür genutzt hat, um zusammen mit RKI-Präsident Lothar Wieler und Ärztekammerpräsident Klaus Reinhardt eine Pressekonferenz zu eben diesen Affenpocken abzuhalten, ist eigentlich nur selbstverständlich. Was sonst hätte der oberste Hüter der Kranken und Infizierten, dem man zudem eine fast schon krankhafte Geltungssucht nachsagt, tun sollen, wenn irgendwo in Deutschland eine viral ansteckende Erkrankung auftaucht? Eine, die in diesen Breitengraden zudem wenig zu suchen hat und die anzeigepflichtig nach dem Tiergesundheitsgesetz und dem Infektionsschutzgesetz ist?

Nein, Karl Lauterbach ist zunächst nicht das Problem. Das Problem sind Texte wie dieser. Texte, die einzig deshalb ihre Leser finden, weil die 177 Fälle von Affenpockenkrankheit, die man in den zurückliegenden Tagen in nunmehr 17 Ländern registrieren konnte (Stand: 23.05.) unsere Angstbegierde füttern. Dabei hat es Karl Lauterbach auf der gestrigen Pressekonferenz doch sehr klar kommuniziert: „Was wir mit den Affenpocken derzeit erleben, ist nicht der Beginn einer neuen Pandemie.“ Und RKI-Chef Wieler sprang dem Gesundheitsminister unterstützend zur Seite: „Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland schätzt das RKI nach derzeitigen Erkenntnissen als gering ein.“

Alles andere wäre auch ungewöhnlich. Denn schon oft hat es in der Vergangenheit auch auf der Nordhalbkugel Ausbrüche jener Krankheit gegeben, die eigentlich zoonotischen Ursprungs ist und die erstmals 1970 bei einem Menschen im Kongo nachgewiesen werden konnte. 2004 etwa sollen nach einem Ausbruch in den USA gut 70 Menschen infiziert worden sein. Da Affenpocken aber für gewöhnlich selbstlimitierend sind und sich nur relativ schwer von Mensch zu Mensch übertragen, konnte das damalige Infektionsgeschehen auch relativ schnell wieder eingedämmt werden.

Auch Kontaktpersonen sollen in Quarantäne
Doch es könnte diesmal eben auch ganz anders kommen. Es könnte, und auch das hat Karl Lauterbach gestern gesagt, diesmal auch so sein, dass sich die Anfälligkeit der Menschen für den Erreger verändert hat und dass dieser somit ein nennenswertes endemisches Geschehen aufbauen kann. Wäre ja möglich. Auch wäre es durchaus möglich, dass das Virus, das bis dato vornehmlich bei männlichen Sexarbeitern aufgetreten ist, irgendwann selbst bei Kindern und Jugendlichen vor der Tür steht. Wir leben da ganz ohne Sicherheiten. Besser also, man sieht bereits von Beginn an hinter jedem Busch einen Säbelzahntiger mit Zoonosen und greift bereits früh so richtig hart durch. 

Noch ist der Ausbruch der Affenpocken kaum messbar. Aufgrund der schwierigen Übertragung wird das – anders als bei Corona – wohl auch so bleiben. In Deutschland waren zum Zeitpunkt der gestrigen Pressekonferenz des Gesundheitsministers gerade einmal fünf Fälle bekannt – allesamt Männer, von denen drei im Ausland exponiert waren. Was aber wäre wenn? Es wäre doch möglich und könnte ja durchaus auch sein. Und da ist er dann wieder: der Minister des gepflegten Konjunktivs; der Erfinder der „Killervarianten“ für Herbst oder Winter. Und der hatte auf dem Bremer Ärztetag eine klare Botschaft für das allmählich wieder heißlaufende Nervenkostüm: „In den frühen Phasen einer Epidemie muss hart und klar reagiert werden.“

Während Ärzte noch vor grundloser Panikmache warnen, hat der Bundesgesundheitsminister zusammen mit dem RKI schon eine Isolationsanordnung entwickelt: Quarantäne für mindestens 21 Tage – das gilt für von Fieber, Lymphknotenschwellungen, Schmerzen und Hautläsionen geplagte Kranke wie für deren unmittelbares Umfeld. Weiterhin die Option auf eine sogenannte Ringimpfung. Prophylaktisch hat der Bundesgesundheitsminister schon einmal 40.000 Dosen Imvanex bestellt – ein Impfstoff, der in Deutschland für unter 18-Jährige gar nicht zugelassen ist. Als wären ihm die Millionen Corona-Impfdosen, von denen unzählige bereits jetzt aufgrund abgelaufener Haltbarkeitsdaten vernichtet werden, nicht Warnung genug, verschwendet der Sozialdemokrat öffentliche Gelder, gerade so, als ginge es um seine private Hausapotheke. 

Die Sache kommt somit in Fahrt. Nur für den Fall, dass … Man will halt vorbereitet sein, wenn aus Möglichkeitsformen Seuchen werden. Im bayerischen Landkreis Ansbach ging es dann auch gleich zur Sache. Nach einem ersten Verdachtsfall von Affenpocken muss sich seit gestern nicht nur der Betroffene selbst für mindestens 21 Tage isolieren, auch die Kontaktpersonen – also Menschen, die mit dem infizierten im selben Haushalt leben, beziehungsweise sexuellen Kontakt zu diesem hatten – müssen bis zum Ende der Inkubationszeit in Quarantäne; auch wenn sie keine Symptome haben. In Zeiten der Angst ist sicher eben sicherer. Kierkegaard hatte wohl recht: Die alte Begierde nach dem, wonach man sich fürchtet, greift um sich. Politik wie Medien verstehen sie zu nutzen. 

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