Keine Panzer für die Ukraine? Natürlich darf man dieser Meinung sein!
Die Pandemie hat diesen Hang verstärkt. Und der Krieg in der Ukraine droht die angegriffenen teutonischen Nerven endgültig zu zerrütten.
Wahnsinn! Bankrotterklärung! Nichts aus der Geschichte gelernt! Da wolle wohl jemand «Vergewaltigungen belohnt sehen». Mit solchen und anderen Anwürfen – von Parlamentariern, Journalisten, Professoren und, natürlich, vom ukrainischen Botschafter in Berlin – sehen sich einige Dutzend bekannte Intellektuelle und Künstler konfrontiert, seitdem sie an diesem Freitag in der «Emma» einen offenen Brief an den deutschen Kanzler veröffentlicht haben. Darin warnen sie vor der Gefahr eines dritten Weltkriegs und bitten Olaf Scholz, sich auf seine «ursprüngliche Position» zu besinnen und weder direkt noch indirekt weitere schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.
Ja, haben sie? Natürlich sind ein Waffenstillstand und ein Kompromiss, den vor allem die ukrainische Regierung angesichts der russischen Kriegsverbrechen und immer neuer Drohungen akzeptieren könnte, derzeit kaum vorstellbar. Aber wenn beides keine Ziele mehr wären, für die westliche Politiker eintreten dürften, dann bliebe nur ein militärischer Sieg der Ukraine. Man mag diesen für möglich halten, aber es wäre verwegen, die damit verbundene Gefahr einer Eskalation des Krieges zu leugnen.
Am
wenigsten überzeugend wirkt der Brief in seiner Kritik der angeblich
«eskalierenden Aufrüstung». Besässe die Ukraine Atomwaffen, dann wäre
Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmarschiert; zumindest
wäre es der erste offene Krieg zwischen zwei Nuklearmächten gewesen. Und
stünden Polen oder das Baltikum nicht unter dem Schutz der Nato, dann
wäre die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf ihr Territorium ebenfalls
um ein Vielfaches höher. Ein gut ausgerüstetes Militär erhöht in der
unmittelbaren Nachbarschaft von imperialen Grossmächten nicht die
Kriegsgefahr; es reduziert sie.
Der Bundestag ist überzeugt, die Bevölkerung gespalten
Vielleicht
wäre die prominente Autorengemeinschaft gut beraten gewesen, beim
Verfassen ihres Briefs auch einen Offizier der Bundeswehr zu Rate zu
ziehen. Im deutschen Militär gibt es manche, die Waffenlieferungen
ebenfalls kritisch sehen und einige Punkte in dem Brief unterschreiben
würden. Aber die Behauptung, dass Abrüstung eine «gemeinsame friedliche
Zukunft» wahrscheinlicher mache, hätten sie den Autorinnen und Autoren
auszureden versucht.
In der Summe ist der Text dennoch wichtig. Während im Bundestag gerade knapp 80 Prozent der Abgeordneten für mehr deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine gestimmt haben, findet das in der Bevölkerung nur knapp jeder Zweite richtig. Diejenigen, die es anders sehen und voller Sorge um sich und ihre Familien sind, haben das Recht, sich Gehör zu verschaffen, ohne dafür beschimpft zu werden. Auch das unterscheidet den Westen von Russland. Zumindest sollte es so sein.
Wer die Gegner von Waffenlieferungen als geschichtsvergessene Idioten, Irre und Vergewaltigungsverharmloser darstellt, mag das im Glauben tun, die freie Welt zu verteidigen. In Wahrheit erinnert solche Rhetorik eher ans russische Staatsfernsehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen