Eine überhastete Energiewende hatte Deutschland nach dem Reaktorunfall von Fukushima in die Fänge von Putins Gas-Geopolitik getrieben. Jetzt macht sich Berlin von chinesischen Windrotoren und Solarplatten abhängig. Klug ist das nicht.
Von 24.05.2022
«Nach dem Rathaus ist man schlauer», belehrt der Volksmund jene, die im Nachhinein alle Übel vorhergesehen haben wollen. Heute gehört es zur Standardweisheit, dass sich Deutschland leichtfertig in die Abhängigkeit von russischem Gas (55 Prozent) und Öl (42 Prozent) begeben und alle Warnungen selbstherrlich in den Wind geschlagen habe. Wohlfeil ist auch der Vorwurf, der deutsche Wohlstand beruhe auf dem Import relativ billiger Energie aus dem Osten. Manche unterstellen insbesondere den Sozialdemokraten gar eine mafiose Kumpanei mit Putins steinreichen Kumpanen.
Gefügigkeit dank Abhängigkeit
Während andere Länder ihre Atompläne revidieren, wird in Deutschland stur daran festgehalten, die letzten drei verbliebenen Atommeiler stillzulegen.
Zwei
Aspekte kommen in der Debatte um die selbstverschuldete
Energieabhängigkeit allerdings zu kurz. Einmal hat Deutschland – wie
auch andere Länder – seit den achtziger Jahren Pipelines aus Sibirien
nicht nur aus Eigeninteresse mitfinanziert. Insgeheim war die Strategie
«Wandel durch Handel» mit dem Hintergedanken verknüpft, Moskau auf diese
Weise von westlichen Devisen abhängig zu machen.
Das
hat selbst im kältesten kalten Krieg funktioniert. Die Sowjetunion kam
nicht nur stets ihren Lieferverträgen nach, sondern hat sich selbst auch
Mässigung auferlegt, um den Geldfluss aus dem Energieverkauf (2020: 71
Prozent aller Einnahmen) nicht zu gefährden. Naiv waren eben auch die
Herrscher im Kreml, die sich mit dem bequemen Verkauf von Rohstoffen
begnügt haben, anstatt selbst eine wettbewerbsfähige Industrie
aufzubauen. Auch das war westliches Kalkül.
Dass
Deutschland selbst unter der CDU-Kanzlerin Merkel so lange an Nord
Stream 2 festgehalten hat, entsprang diesem Denken: Russland werde es
schon nicht riskieren, den sicheren Devisenstrom über diese weitere
Gaspipeline versiegen zu lassen. Diese Abhängigkeit halte selbst einen
aggressiven Putin davon ab, rote Linien zu überschreiten, dem man eben
gewisse territoriale Interessen wie etwa bei der Annexion der Krim 2014
zubilligen müsse.
Die
deutsche Abhängigkeit hat ihre tiefere Ursache zudem in einer naiven
Energiewende: Der überhastete Ausstieg sowohl aus der Kernenergie wie
auch aus der Kohleverstromung hat Deutschland geradezu in Putins Arme
getrieben. Achtzig neue Gaskraftwerke sollten als «Brückentechnologie»
die Stromlücken füllen, wenn die vielen Windräder gerade einmal wieder
stillstehen oder schlechtes Wetter die Solarplantagen lahmlegt.
Doch
während andere Länder früh die Realität zur Kenntnis nahmen und jetzt
ihre Atomausstiegspläne revidieren oder gar neue Kernreaktoren bauen,
wird in Deutschland stur daran festgehalten, zum Jahresende auch noch
die letzten drei verbliebenen Atommeiler stillzulegen.
Alte und neue Versprechen
Zerschlagen haben sich auch die Versprechen vom «grünen Jobwunder» durch die Energiewende: Die deutsche Solarindustrie liegt ebenso am Boden wie die Windkraftbranche. Siemens Energy schreibt tiefrote Zahlen. Und mit der Nordex AG droht dem letzten Windradbauer das Aus, weil chinesische (Staats-)Konzerne mit Dumpingpreisen den deutschen Markt auch hier vollständig ausgehebelt haben.
So schlittert Deutschland von einer Abhängigkeit in eine weitere: Ohne massive Importe aus China ist die «grüne» und CO2-freie Wirtschaft nicht möglich. Gestärkt wird damit zudem eine Macht, die Putin nicht nur politisch den Rücken freihält, sondern auch noch Moskaus finanzielle Ausfälle kompensiert. Denn China nutzt (wie Indien) die Gunst der Stunde, um aus Russland günstig Energie einzukaufen. Damit kann es noch wettbewerbsfähiger produzieren.
Unglücklicherweise verlieren deutsche Hersteller wegen gestiegener Rohstoffpreise und der Sanktionsblockaden wichtige Marktanteile. So schneidet man sich mit einer aktionistischen Politik gleich doppelt ins eigene Fleisch. In Peking, das seine hegemonialen Ansprüche längst nicht mehr verbirgt, reibt man sich die Hände. Derweil man in Berlin von einer Naivität in die nächste stolpert. Das Rathaus, das die von der deutschen Ampelregierung verkündete «Zeitenwende» zum realistischen Pragmatismus einläutet, muss erst noch gebaut werden.
Wolfgang Bok, früher Chefredaktor der «Heilbronner Stimme», arbeitet als freier Publizist. Der Politologe lehrt zudem an der Hochschule Heilbronn strategische Kommunikation.
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