24 Mai 2022

Nun darf Peking die Strippen ziehen – Deutschland stolpert naiv von einer Energieabhängigkeit in die nächste (NZZ)

Nun darf Peking die Strippen ziehen – Deutschland stolpert naiv von einer Energieabhängigkeit in die nächste (NZZ)
Eine überhastete Energiewende hatte Deutschland nach dem Reaktorunfall von Fukushima in die Fänge von Putins Gas-Geopolitik getrieben. Jetzt macht sich Berlin von chinesischen Windrotoren und Solarplatten abhängig. Klug ist das nicht.

Von Wolfgang Bok 24.05.2022

«Nach dem Rathaus ist man schlauer», belehrt der Volksmund jene, die im Nachhinein alle Übel vorhergesehen haben wollen. Heute gehört es zur Standardweisheit, dass sich Deutschland leichtfertig in die Abhängigkeit von russischem Gas (55 Prozent) und Öl (42 Prozent) begeben und alle Warnungen selbstherrlich in den Wind geschlagen habe. Wohlfeil ist auch der Vorwurf, der deutsche Wohlstand beruhe auf dem Import relativ billiger Energie aus dem Osten. Manche unterstellen insbesondere den Sozialdemokraten gar eine mafiose Kumpanei mit Putins steinreichen Kumpanen.

Gefügigkeit dank Abhängigkeit
Als stichhaltigster Beleg für diese These wird die enge Verbundenheit des deutschen Ex-Kanzlers mit dem russischen Präsidenten angeführt. Gerhard Schröder habe nicht nur den Weg für die neue Gaspipeline Nord Stream 2 geebnet, sondern den vom Kreml kontrollierten Ölkonzernen auch noch drei der fünf Raffinerien zugeschanzt. Ein Ölboykott, wie ihn die EU in ihrem x-ten Sanktionspaket beschlossen hat, würde nicht nur diese Veredelungsanlagen in ihrer Existenz gefährden, sondern ebenso die energetische Infrastruktur insbesondere in Nord- und Ostdeutschland austrocknen. Die Versorgung des Berliner Flughafens (BER) etwa mit Kerosin wäre akut gefährdet.
Während andere Länder ihre Atompläne revidieren, wird in Deutschland stur daran festgehalten, die letzten drei verbliebenen Atommeiler stillzulegen.

Zwei Aspekte kommen in der Debatte um die selbstverschuldete Energieabhängigkeit allerdings zu kurz. Einmal hat Deutschland – wie auch andere Länder – seit den achtziger Jahren Pipelines aus Sibirien nicht nur aus Eigeninteresse mitfinanziert. Insgeheim war die Strategie «Wandel durch Handel» mit dem Hintergedanken verknüpft, Moskau auf diese Weise von westlichen Devisen abhängig zu machen.
Das hat selbst im kältesten kalten Krieg funktioniert. Die Sowjetunion kam nicht nur stets ihren Lieferverträgen nach, sondern hat sich selbst auch Mässigung auferlegt, um den Geldfluss aus dem Energieverkauf (2020: 71 Prozent aller Einnahmen) nicht zu gefährden. Naiv waren eben auch die Herrscher im Kreml, die sich mit dem bequemen Verkauf von Rohstoffen begnügt haben, anstatt selbst eine wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen. Auch das war westliches Kalkül.

Dass Deutschland selbst unter der CDU-Kanzlerin Merkel so lange an Nord Stream 2 festgehalten hat, entsprang diesem Denken: Russland werde es schon nicht riskieren, den sicheren Devisenstrom über diese weitere Gaspipeline versiegen zu lassen. Diese Abhängigkeit halte selbst einen aggressiven Putin davon ab, rote Linien zu überschreiten, dem man eben gewisse territoriale Interessen wie etwa bei der Annexion der Krim 2014 zubilligen müsse.

Die deutsche Abhängigkeit hat ihre tiefere Ursache zudem in einer naiven Energiewende: Der überhastete Ausstieg sowohl aus der Kernenergie wie auch aus der Kohleverstromung hat Deutschland geradezu in Putins Arme getrieben. Achtzig neue Gaskraftwerke sollten als «Brückentechnologie» die Stromlücken füllen, wenn die vielen Windräder gerade einmal wieder stillstehen oder schlechtes Wetter die Solarplantagen lahmlegt.

Doch während andere Länder früh die Realität zur Kenntnis nahmen und jetzt ihre Atomausstiegspläne revidieren oder gar neue Kernreaktoren bauen, wird in Deutschland stur daran festgehalten, zum Jahresende auch noch die letzten drei verbliebenen Atommeiler stillzulegen.

Alte und neue Versprechen

Derweil schürt Wirtschafts- und Klimaminister Habeck von den Grünen den Glauben, Ersatz liesse sich umgehend durch vielfach teureres Fracking-Gas (dessen Förderung in Deutschland verboten ist) oder vage «Energiepartnerschaften» etwa mit dem wenig demokratischen Katar beschaffen. Dabei hat Deutschland noch keine Häfen, in denen das Flüssiggas entladen werden könnte. Der «grüne Wasserstoff», der als Ersatztechnologie gepriesen wird, brauchte bei der Herstellung zunächst einmal viel Strom, der durch den Zwang zu Wärmepumpen und zur Elektromobilität ohnehin noch knapper und teurer werden dürfte.
Zerschlagen haben sich auch die Versprechen vom «grünen Jobwunder» durch die Energiewende: Die deutsche Solarindustrie liegt ebenso am Boden wie die Windkraftbranche. Siemens Energy schreibt tiefrote Zahlen. Und mit der Nordex AG droht dem letzten Windradbauer das Aus, weil chinesische (Staats-)Konzerne mit Dumpingpreisen den deutschen Markt auch hier vollständig ausgehebelt haben.

So schlittert Deutschland von einer Abhängigkeit in eine weitere: Ohne massive Importe aus China ist die «grüne» und CO2-freie Wirtschaft nicht möglich. Gestärkt wird damit zudem eine Macht, die Putin nicht nur politisch den Rücken freihält, sondern auch noch Moskaus finanzielle Ausfälle kompensiert. Denn China nutzt (wie Indien) die Gunst der Stunde, um aus Russland günstig Energie einzukaufen. Damit kann es noch wettbewerbsfähiger produzieren.

Unglücklicherweise verlieren deutsche Hersteller wegen gestiegener Rohstoffpreise und der Sanktionsblockaden wichtige Marktanteile. So schneidet man sich mit einer aktionistischen Politik gleich doppelt ins eigene Fleisch. In Peking, das seine hegemonialen Ansprüche längst nicht mehr verbirgt, reibt man sich die Hände. Derweil man in Berlin von einer Naivität in die nächste stolpert. Das Rathaus, das die von der deutschen Ampelregierung verkündete «Zeitenwende» zum realistischen Pragmatismus einläutet, muss erst noch gebaut werden.

Wolfgang Bok, früher Chefredaktor der «Heilbronner Stimme», arbeitet als freier Publizist. Der Politologe lehrt zudem an der Hochschule Heilbronn strategische Kommunikation.

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