Klima, Corona, Ukraine-Krieg – die weltweiten Krisen setzen der Jugend zu. Jeder Fünfte nimmt ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch, wie eine Studie zeigt. Die Erwartungen an Arbeitgeber sind hoch – doch es gibt auch eine Überraschung.
Zwei Jahre Corona-Krise und der Krieg in der Ukraine haben die Jugend in Deutschland nachhaltig erschüttert. Unter der Oberfläche einer grundsätzlichen jugendtypischen Zufriedenheit hat sich ein beträchtliches Ausmaß an Verunsicherung herausgebildet. Das ist das Ergebnis der Trendstudie „Jugend in Deutschland“.
Zweimal im Jahr erheben die Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann dafür in einer repräsentativen Befragung die Befindlichkeiten von jungen Menschen von 14 bis 29 Jahren. Ihr Befund: Das Krisen-Triple von Klima, Krieg, Corona strapaziert die psychische Gesundheit von immer mehr Angehörigen der jungen Generation.
„Die dichte Aufeinanderfolge von tief in das Leben eingreifenden Krisen setzt der Jugend zu“, sagte Hurrelmann. Nach zwei Jahren Einschränkungen durch die Pandemie drücke jetzt die Bedrohung durch einen Krieg in Europa als weitere schwere emotionale Last auf die Stimmung. „Viele machen sich große Sorgen um ihre berufliche, finanzielle und wirtschaftliche Zukunft.“
Das zeigt sich vor allem an den von den Forschern erhobenen Daten zur seelischen Befindlichkeit. Die drei am häufigsten berichteten Belastungen sind Stress (45 Prozent), Antriebslosigkeit (35 Prozent) und Erschöpfung (32 Prozent). Erschreckende 27 Prozent berichten von einer Depression, 13 Prozent von Hilflosigkeit und sieben Prozent sogar von Suizidgedanken.
Wie ernst das Problem ist, drückt sich darin aus, dass 17 Prozent der jungen Menschen ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Fast ebenso viele nutzten Yoga, Meditation und andere Achtsamkeitsübungen für ihr inneres Gleichgewicht. Mit jeweils sieben bis acht Prozent folgten Health-Influencer, Motivationstraining und schulische Beratungsangebote.
Vor allem in den Schulen wünschten sich die Jugendlichen einen weiteren Ausbau der Angebote, haben die Forscher festgestellt. „Grundsätzlich lässt sich erkennen, dass ein offenes Gespräch über psychische Belastungen und Störungen in der jungen Generation nicht mehr an die gleichen Tabugrenzen stößt wie in den älteren Generationen. Die jungen Menschen sind sich ihrer psychischen Belastungen bewusst und reden offen darüber.“
Ukraine-Krieg hat Schock ausgelöst
Aktuell ist die Sorge vor einem Krieg in Europa sprunghaft an die erste Stelle aller Ängste sowie Befürchtungen getreten und hat geradezu einen Schock ausgelöst. „Kriegsangst hat die bisher dominierende Angst vor dem Klimawandel verdrängt“, schreiben die Forscher.
Auch die nach wie vor sehr hohen Belastungen durch die Corona-Pandemie seien dadurch in den Hintergrund geschoben worden. Neben Krieg (68 Prozent) und Klimawandel (55 Prozent) haben die jungen Menschen Angst vor der Inflation (46 Prozent), einer sozialen Spaltung der Gesellschaft (40 Prozent) und einer Wirtschaftskrise (39 Prozent).
Wie aber wirken sich die Krisenerfahrungen auf die Arbeits- und Lebensplanung der jungen Menschen aus? Hier zeigen die Forscher einen Trend auf, am anschaulichsten dokumentiert wohl in der Aussage eines 21-jährigen Auszubildenden aus Hessen: „Möglichst viel Geld für möglichst wenig Arbeit und Verantwortung.“
Als wichtigsten Aspekt für den idealen Arbeitsplatz nennen die Jugendlichen mit 88 Prozent eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit, dicht gefolgt von einer „guten Arbeitsatmosphäre“, die 87 Prozent wichtig oder sehr wichtig ist. Weitere Aspekte sind gute Vorgesetzte (81 Prozent), Sicherheit des Arbeitsplatzes (80 Prozent) und ein hohes Einkommen (78 Prozent). „Vorgesetzten kommt aus Sicht der jungen Generation eine besonders wichtige Rolle in ihrem Arbeitsleben zu: Sie müssen Feedback geben. Jugendliche sind es gewohnt, sich durch Feedback zu orientieren“, schreiben die Forscher.
Überraschend ist aber auch, was bei der Frage nach dem idealen Arbeitsplatz am unteren Ende der Wunschliste steht. Mit 41 Prozent auf dem letzten Platz nämlich rangiert die Möglichkeit zu Homeoffice und Remote Work. „Die Homeoffice-Erfahrungen der letzten zwei Jahre waren für viele ernüchternd, weil ihnen der direkte Austausch mit anderen, das Arbeiten in Teams und praktische Erfahrungen gefehlt haben“, heißt es dazu.
Und noch ein anderes Thema ist eher nachrangig: Nur für 59 Prozent der jungen Leute ist es wichtig, im Job Verantwortung zu übernehmen. Dieses aus Arbeitgebersicht eher ernüchternde Ergebnis kommentierte Schnetzer so: „Junge Menschen sind genauso leistungsbereit. Allerdings müssen wir sie anders für Leistung motivieren und begeistern. Sie wollen verstehen, welchen Sinn ihre Aufgabe hat. Wir müssen es schaffen, den Funken zu entzünden.“
Was junge Menschen motiviert: Geld und Spaß
Allerdings: Bei der Frage, was junge Menschen zu Leistung motiviert, rangiert „Spaß“ inzwischen nicht mehr wie noch in den Jahren zuvor an erster Stelle. Inzwischen steht „Geld“ (57 Prozent) vor „Spaß“ (45 Prozent) an Platz eins – ein deutliches Zeichen dafür, dass die aktuellen Preissteigerungen akute Ängste schüren, den Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Aufschlussreich ist auch der Blick ans untere Ende der Motivationsskala: „Großes bewegen“ (sieben Prozent) und „Karriere“ (vier Prozent) werden von den Jungen kaum als motivierend wahrgenommen.
Wie aber steht es nun um die Gesamtbewertung des eigenen Lebens, alle Aspekte zusammengenommen? Hier können die Jugendforscher Entwarnung geben. Denn trotz der angespannten Lage haben die Jungen ihren grundsätzlichen Optimismus nicht verloren. Rund 60 Prozent sind mit ihrer aktuellen Lebenssituation sehr zufrieden oder zufrieden, nur sieben Prozent rechnen in der Zukunft mit einer Verschlechterung.
Mit Blick auf die gesellschaftliche Gesamtsituation allerdings halten sich die positiven und die negativen Stimmungen die Waage. „Diese Kluft kann als eine für die junge Generation typische Haltung eingeschätzt werden“, heißt es in dem Report. „Sie traut sich selbst zu, auch unter widrigen Umständen das eigene Leben in den Griff zu bekommen.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen